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Neuer Akt im alten CSU-Drama?
Führungsstreit: Machtwechsel in der CSU begleiten seit Jahrzehnten öffentliche Inszenierungen, die einem erstaunlich konstanten Drehbuch folgen. Bislang hat dies der Partei nie dauerhaft geschadet.
Deutsche Meisterschaft im Fingerhakeln       -  Wer hat mehr Kraft, wer zieht den anderen über den Tisch? Was beim Fingerhakeln gilt, ist in einer Partei auch nicht viel anders. Jetzt steht in der CSU ein neuer Akt in einem alten Drama an.
Foto: Frank Leonhardt, dpa | Wer hat mehr Kraft, wer zieht den anderen über den Tisch? Was beim Fingerhakeln gilt, ist in einer Partei auch nicht viel anders. Jetzt steht in der CSU ein neuer Akt in einem alten Drama an.
Henry Stern
 und  Uli Bachmeier
 |  aktualisiert: 04.12.2017 03:20 Uhr

Selbst im Spott über die CSU schwingt immer schon eine gewisse Hochachtung mit – sogar bei ihren schärfsten Kritikern. Der Journalist Herbert Riehl-Heyse hat 1979 ein CSU-Buch veröffentlicht, das bis heute all jenen als Handreichung dienen kann, die sich über die Kapriolen der Alleinherrscher-Partei in München die Augen reiben. Riehl-Heyse wählte den doppeldeutigen Titel: „CSU. Die Partei, die das schöne Bayern erfunden hat.“ Da steckt gleich beides drin: Spott für die schier grenzenlose Großsprecherei. Sowie Hochachtung für den Erfolg, damit bei den Wählern immer wieder durchzukommen.

Für die SPD in Bayern ist das seit sechs Jahrzehnten ein Graus. Sogar in Phasen, in denen die CSU Schwäche zeigte, war für die Sozis im Freistaat nix zu holen. Wer verstehen will, warum, der muss in die bayerische Provinz. Als SPD-Spitzenkandidat Franz Maget im Landtagswahlkampf 2008 etwa in der hintersten Oberpfalz das kleine Bio-Energie-Dorf Schäferei besuchte, traf er auf politisch bestens informierte Gesprächspartner.

Sie lobten ausdrücklich die 2005 abgewählte rot-grüne Bundesregierung, ohne die ihr Biogas-Projekt kaum möglich gewesen wäre. Sie ermahnten Maget, im Landtag in München darauf zu achten, dass die CSU den ländlichen Raum nicht vernachlässige. Sie organisierten, „weil der Franz ein Roter ist“, sogar eine selbst gebackene Cremetorte mit knallrotem Kirschkompott als Überzug. Allein – gewählt hat ihn dort keiner. „Hier bei uns sind alle schwarz“, hieß es auf Nachfrage.

Die Bayern kennen die Schwächen der CSU und gehen doch seit Jahrzehnten mehrheitlich darüber hinweg. Skandale und Affären werden der Partei verziehen, ihre politischen Verwirrungen werden hingenommen. Dass etwa Kindertagesstätten im Freistaat noch als „sozialistisches Teufelszeug“ galten, während andernorts längst die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ganz oben auf der Tagesordnung stand – macht nix!

Die Zeit heilt alte Wunden

Dass einst der CSU-Vorsitzende Theo Waigel in Berlin für die Einführung des Euro kämpfte und der CSU-Ministerpräsident Edmund Stoiber in München dagegen wetterte – egal, es wird schon passen! Dass vor der Doppelspitze Waigel/Stoiber der wuchtige Parteichef Franz Josef Strauß lieber Ananas in Alaska züchten wollte, als Bundeskanzler zu werden, und dann 1980 doch als Kanzlerkandidat der Union antrat – ja mei, so ist das halt. Die Zeiten ändern sich.

Und die Zeit heilt im katholisch geprägten Bayern auch immer wieder alte Wunden. Die Grünen, die die CSU einst von der Polizei am Bauzaun der atomaren Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf mit Schlagstöcken und Wasserwerfern traktieren ließ, wären ihr jetzt sogar als Koalitionspartner in einer bunten Bundesregierung recht gewesen. Vom Lieblingsfeind zum Flirtpartner – was für ein unglaublicher Wandel!

Das Erstaunlichste an der CSU aber ist eine kuriose Konstante: dass sie die Machtwechsel an ihrer Spitze stets mit einer öffentlichen Inszenierung begleitet, die alle Elemente eines antiken Dramas enthält – und ihr das am Ende doch nicht schadet. Es gibt Intrigen und Verrat, Mauscheleien und Schmähungen, Dolche von hinten und Pfeile aus der Hecke.

Was genau sich ereignen wird, wenn Parteichef und Ministerpräsident Horst Seehofer sich an diesem Donnerstag erst mit der CSU-Landtagsfraktion und dann am Abend mit dem Parteivorstand trifft, darüber gibt es nur wilde Spekulationen. Wird er „geköpft“, wie er selbst für den Fall einer Wahlschlappe bei der Bundestagswahl vorausgesagt hat? Wird er sich den Aufrührern entgegenstellen und ihnen die Leviten lesen? Wird er „gehen oder gestürzt werden“, wie die „Süddeutsche Zeitung“ vorhersagt? Oder ist er „noch nicht fällig“, wie der „Spiegel“ meint?

Niemand weiß es. Was in der CSU alles möglich ist, mit welchen Methoden die Parteioberen und ihre Unterstützer seit jeher zu Werke gehen und welch amüsante Parallelen es zur aktuellen Führungskrise gibt, aber zeigt ein Blick in die Geschichte der Partei.

Fairplay mit Blutgrätsche

Als Anfang der 1990er Jahre der damalige CSU-Ministerpräsident Max Streibl in den Strudel der „Amigo-Affäre“ geriet, die die CSU in eine existenzielle Krise stürzte, meldete sich aus der Bundeshauptstadt, die damals noch Bonn hieß, ein junger Bundesgesundheitsminister namens Horst Seehofer zu Wort. Er warnte davor, Streibl zu sehr unter Druck zu setzen. „So etwas muss ordentlich, in einem fairen Stil geregelt werden“, sagte Seehofer – warf aber nebenbei die giftige Frage auf, ob Streibl denn „psychisch und physisch“ überhaupt noch in der Lage sei, einen harten Wahlkampf durchzuziehen. Fairplay mit Blutgrätsche, in der CSU seit Jahrzehnten vielfach praktiziert. Heute ist Seehofer selbst nicht mehr der Jüngste und er hasst es, wenn an seiner Gesundheit oder seiner körperlichen Fitness gezweifelt wird.

Als sich in der Folgezeit die Auffassung festigte, dass Streibl politisch nicht mehr haltbar sei, entbrannte zwischen Theo Waigel (damals Bundesfinanzminister und CSU-Chef) und Edmund Stoiber (damals bayerischer Innenminister) ein viele Jahre anhaltender Kleinkrieg um die Führungsrolle in der CSU.

Der ausgleichende Waigel sah sich hinterhältigen Attacken ausgesetzt, die sein Privatleben betrafen – eine außereheliche Beziehung galt weiland in der CSU noch als Sündenfall. Der vor Ehrgeiz brennende Stoiber musste sich vorhalten lassen, er polarisiere und könne die Lager der Partei nicht zusammenführen. Genau dieses Argument wird aktuell gegen den aufstrebenden bayerischen Finanzminister Markus Söder vorgebracht.

Vom Spalter zum Kanzlerkandidaten

Die Ergebnisse des Waigel-Stoiber-Duells sind bekannt: Polarisierer Stoiber setzte sich zunächst im Rennen um das Amt des Ministerpräsidenten durch und verteidigte 1993 – trotz Amigo-Affäre und trotz der starken SPD-Gegenkandidatin Renate Schmidt – die absolute Mehrheit der CSU in Bayern. Als er dann auch noch Parteichef werden wollte, hieß es aus dem Lager seiner Widersacher, dass der CSU-Vorsitzende in Bonn sitzen müsse, um den bundespolitischen Anspruch der CSU mit Nachdruck zu dokumentieren.

Im Jahr 1998, nachdem die schwarz-gelbe Regierung unter Bundeskanzler Helmut Kohl abgewählt worden war, setzte sich Stoiber aber auch hier durch und löste Waigel als Parteichef ab.

Der angeblich spaltende Hitzkopf, genannt „das blonde Fallbeil“, sorgte in der CSU für eine lange Phase der Geschlossenheit und brachte es, als die CDU tief im Parteispendensumpf steckte, von München aus sogar zum Kanzlerkandidaten der CSU – mehr bundespolitischer Anspruch geht wohl nicht. Völlig absurd ist es also nicht, wenn Herausforderer Söder heute die Strategie seines großen Vorbildes Stoiber kopiert.

Doch selbst der erfolgreichste Stratege ist in der CSU nicht davor gefeit, Opfer eines Gemetzels zu werden. Stoiber leitete seinen politischen Niedergang selbst ein, als er 2005 im letzten Moment davor zurückschreckte, Minister im ersten Bundeskabinett Merkel zu werden. Damals hätte die mächtige Landtagsfraktion ihren Parteichef gerne in Berlin gesehen – auch um ihn in München loszuwerden. So ist das in der CSU bis heute: mal so, mal so. Auch Seehofer würden viele CSU-Landtagsabgeordnete derzeit wieder gerne nach Berlin abschieben.

Kurios sind auch immer wieder die Rollen, die den Kombattanten um die Macht in der Partei und in den Medien zugewiesen werden. Die „Nacht der langen Messer“ im Januar 2007 in Wildbad Kreuth, die Stoibers Ende besiegelte, leitete einen neuen Machtkampf ein. Damals galt Herausforderer Seehofer dem Establishment in der CSU als derjenige, der polarisiert und die Partei zu spalten droht.

Exakt zum Auftakt der Klausurtagung wurde sein privater Berliner Seitensprung publik gemacht. Die Quelle blieb anonym. Fraktion und Partei setzten auf das Duo Günther Beckstein und Erwin Huber. Beckstein sei integer und allseits geschätzt, Huber ein treuer Parteisoldat. Grünen-Landeschaf Sepp Daxenberger spottete damals, in der CSU-Landtagsfraktion gehe es zu „wie in einem Hühnerstall, wenn draußen der Fuchs rumläuft“. Der CSU freundlich gesinnte Kommentatoren stellten vorschnell fest, die Partei sei mit dem integrierendem Tandem Beckstein/Huber wieder aus dem Gröbsten raus. Es kam anders: Die absolute Mehrheit ging 2008 verloren.

Seit Jahren warnt Seehofer seine Partei: Streit führt in den Untergang. Doch der Fuchs kehrte auch diesmal zurück. Erneut setzte sich mit Seehofer der „Polarisierer“ durch und holte – wie einst Stoiber nach Streibls Amigo-Desaster – 2013 die absolute Mehrheit im Landtag zurück. Die „neue CSU“, die Seehofer propagiert hatte, war wieder ganz die alte: Nicht einmal die Verwandtenaffäre, die überwiegend eine CSU-Affäre war, hatte den Wiederaufstieg stoppen können.

Mauscheleien und Schmähungen

Heute bildet Seehofer selbst das Zentrum des Establishments und kann sich doch keine Sekunde mehr sicher sein, dass er den Sturm politisch überlebt. Steht der Partei also nur ein neuer Akt im alten Drama bevor? In den Wochen seit der Bundestagswahl waren zweifellos jene „zerstörerischen Abläufe“ (O-Ton Seehofer) zu beobachten, die die CSU aus ihrer Geschichte nur allzu gut kennt.

Es gab Mauscheleien: Die Anhänger Markus Söders lancieren, dass es „jetzt schnell gehen muss“ mit dem Wechsel des Führungspersonals. Es gab Schmähungen: Söder-Mann Ludwig Spaenle etwa attestierte der Söder-Gegnerin Ilse Aigner „politisches Leichtmatrosentum“. Der Herausforderer selbst ließ sich sogar zu einem offen Affront hinreißen: Söder posierte mit seinen Fans von der Jungen Union, die ihn auf vorbereiteten blauen Schildern als Ministerpräsident forderten.

Darf die CSU trotzdem auch diesmal hoffen, nach einer Phase heftigen Streits wieder zu alter Geschlossenheit und Stärke zurückzufinden? Eine Garantie, dass sich die Geschichte wiederholt, gibt es nicht. Die Partei, die das schöne Bayern erfunden hat, kann sich nicht sicher sein, dass ihr Kredit bei den bayerischen Wählern nicht doch eines Tages aufgebraucht ist.

Bayerns Ministerpräsidenten und CSU-Chefs seit 1945

Die Ministerpräsidenten

Fritz Schäffer (parteilos, später CSU-Mitgründer): Mai-September 1945 Wilhelm Hoegner (SPD): 1945-1946, 1954-1957 Hans Ehard (CSU): 1946-1954, 1960-1962 Hanns Seidel (CSU): 1957-1960 Alfons Goppel (CSU): 1962-1978 Franz Josef Strauß (CSU): 1978-1988 Max Streibl (CSU): 1988-1993 Edmund Stoiber (CSU): 1993-2007 Günther Beckstein (CSU): 2007-2008 Horst Seehofer (CSU): seit 27. Oktober 2008 Die CSU-Vorsitzenden

Josef Müller: 1945-1949 Hans Ehard: 1949-1955 Hanns Seidel: 1955-1961 Franz Josef Strauß: 1961-1988 Theo Waigel: 1988-1999 Edmund Stoiber: 1999-2007 Erwin Huber: 2007-2008 Horst Seehofer: seit Oktober 2008

 
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