
Wenn unter den Fahrradreifen der Staub aufwirbelt, die Bäume vorbeisausen und die Fahrt über Wurzeln und Steine den Berg hinab immer rasanter wird, dann fährst du auf der Mil 1“, schwärmt Klaus Flechsenhar. Der 50-Jährige fährt seit 25 Jahren Mountainbike, mindestens drei- bis viermal die Woche. Mil 1 heißt die Mountainbike-Rundstrecke durch den Naturpark Odenwald hoch über Miltenberg. 29 Kilometer und 828 Höhenmeter gilt es dort, wo Bayern, Hessen und Baden-Württemberg aufeinandertreffen, zu bewältigen. „Den Biker erwartet eine technisch und konditionell schwere Strecke“, sagt Flechsenhar.
Mit Stefan Ruprecht, ebenfalls 50, leitet er die Radsportabteilung, die dem Turnverein Miltenberg angehört. Den beiden Sportlern ist es zu verdanken, dass sich im unterfränkischen Miltenberg mit Mil 1 eine der schönsten und zugleich anspruchsvollsten Mountainbikestrecken in ganz Deutschland befindet. Das jedenfalls schreibt das Fachmagazin „Mountain Bike“. „Die Runde ist bewusst so gewählt, dass der Mountainbiker sich während der kompletten Befahrung immer an der Bergflanke oberhalb von Miltenberg bewegt“, erklärt Flechsenhar.
Die beiden Profis starten ihren Trip unten im Ort. Wer sich die zwei Kilometer lange Anfahrt bergauf sparen möchte, der beginnt am offiziellen Start- und Zielpunkt der Runde, dem Parkplatz am Schützenhaus. Dort an der Infotafel liegt auch ein Gästebuch aus, das viele begeisterte Einträge erhält. „Dieser Tobi?s Trail ist der Hammer!“ oder „Sprünge, enge Kehren, Wurzeln – und dann die Landschaft! Ich will da heute unbedingt noch mal runter.“
Über 1500 Mountainbiker sind die Strecke im vergangenen Jahr gefahren. Das wissen die beiden Profis, weil sie einen Fahrtenzähler installiert haben. „Über die Hälfte des Rundkurses verläuft auf befestigten Wegen, die andere Hälfte sind Naturwege und Trails“, erklärt Ruprecht. Der Begriff Singletrail oder Trail steht beim Mountainbiken für einen Pfad, der so schmal ist, dass man dort nicht nebeneinander fahren kann. Trails gibt es auf der Mil 1 jede Menge. Doch nun geht es vom Parkplatz am Schützenhaus aus erst mal auf einem Naturweg, der auch von Wanderern genutzt wird, bergauf.
Kick auf schmalen Wegen
Mountainbiken liegt im Trend. Immer mehr Menschen suchen den Kick und lieben es, auf schmalen Pfaden mit ihrem Bike durch die Natur zu strampeln. Laut dem Statistik-Portal Statista schwingen sich in Deutschland etwa 3,5 Millionen Menschen häufig und 11,16 Millionen Menschen ab und zu in ihrer Freizeit aufs Mountainbike. Tendenz steigend.
Erst mal oben angekommen, führt der Weg vorbei an alten Steinbrüchen und der Haagsaussicht mit Blick auf das Maintal und den Spessart. Seit fünf Jahren gibt es die Strecke Mil 1. Im November 2011 ist die Idee entstanden, vorhandene Trails und illegale Strecken zu einem Rundkurs zu verbinden. „Wir wollten eine ausgeschilderte Tour für jedermann“, erinnert sich Stefan Ruprecht. Vorbild war die Strecke Mö 1 des Mountainbikevereins Mömlingen (Lkr. Miltenberg).
Einfache Schotterwege im Wald gibt es schon immer. „Aber auf diesen zu fahren ist stinklangweilig“, sagt Flechsenhar. Trails mussten her. Dazu haben 19 Mitglieder der Abteilung Mountainbike am Berg um Miltenberg Hand angelegt. „Das war eine richtig schweißtreibende Angelegenheit“, erinnert sich Flechsenhar. Wurzelstöcke mussten ausgegraben, Äste entfernt, Pisten befestigt werden. Mehr als 1000 Arbeitsstunden haben die Mountainbiker in Mil 1 gesteckt.
Slalomparcours zwischen Bäumen
Das Ergebnis kann sich mehr als sehen lassen: 29 Kilometer kreuz und quer durch den Wald, über Wiesen und Schotterwege. Sehr abwechslungsreich und zum Teil extrem steil. „Wäre Trail-Sucht eine Krankheit, so wären wir alle infiziert“, sagt Stefan Ruprecht. Was er an dieser Sportart liebt, ist die Abwechslung: „Die Strecke ist nie gleich. Durch das Wetter oder die Fahrweise anderer Biker verändert sich immer wieder etwas. Das ist eine Herausforderung.“
Nach Joggen entwickelt sich Mountainbiken zum Volkssport. „Durch E-Bikes und fitte Rentner werden immer mehr Interessierte hinzukommen“, schätzt Ruprecht. Tatsächlich steigen die Verkaufszahlen von Mountain-E-Bikes schon jetzt. Von den rund 560 000 E-Bikes, die laut Verband der Zweirad-Industrie (ZIV) 2016 in Deutschland abgesetzt wurden, waren 15 Prozent die sportliche Variante. „Der Absatz von E-Mountainbikes hat sich in den letzten zwei bis drei Jahren sehr dynamisch entwickelt“, sagt ZIV-Geschäftsführer Siegfried Neuberger.
Knapp zwei Kilometer nach der Haagsaussicht wird es wieder spannend. Ein kurzer Trail, der „Funtrack“, sorgt für gute Laune. Kleine Anlieger, kurz aufeinander folgende Wellen und ein Slalomparcours zwischen Bäumen sind eine Spielwiese für Biker. Stefan Ruprecht liebt diesen Teil der Strecke. Er springt über die Schanze und fährt mit Karacho auf die Wippe. „Beim Mountainbiken muss man alles andere ausblenden“, sagt er.
Starke Nerven, eine hohe Reaktionsfreudigkeit, Konzentration und eine gute Kondition sind bei dieser Sportart erforderlich. Und die Ausrüstung ist wichtig: Helm, Handschuhe, Schutzbrille. Auch das Tragen einer Schutzweste ist empfehlenswert, denn sie schützt den Rippenbereich und die Wirbelsäule bei Stürzen zusätzlich. Größere Verletzungen hatten beide Biker zum Glück noch keine.
Waghalsig geht's zum Keltensteig
Weiter geht es auf Naturwegen und Pfaden zum „Quellentrail“. Vom Ottostein bergauf auf 452 Meter Höhe. Hier kreuzt die Runde den Ringwall, eine ehemalige Keltenanlage, und führt zum „Keltensteig“, der noch steiler, schroffer und waghalsiger als der „Quellentrail“ ist. Der letzte Anstieg auf befestigten Wegen führt zum „Jägersteig“, einem Pfad, der auch von Wanderern genutzt wird. Zum Abschluss biegen die beiden ab in Richtung „Tobi Trail“, dem Höhepunkt der Strecke. Gebaut hat das 1,5 Kilometer lange Stück durch den Wald Tobias Bertelwieser. Der 40-Jährige ist auch mit dem Mountainbike-Virus infiziert. Der Trail windet sich wie eine Achterbahn im Stephleinsgraben durch die Bäume. „Dieser Teil ist für Anfänger nicht geeignet“, warnt Flechsenhar.
Kehren, Serpentinen, Felsplatten und Wurzelpassagen, dann ein Gegenanstieg, dahinter ein Steinfeld. Immer samstags bieten die beiden Radsportler einen gemeinsamen Ausritt an. „Auf dem 'Tobi Trail' geben wir auch Hilfestellung.“
Nach drei Stunden Fahrt wissen Arme, Beine und Po, was sie getan haben. Vor allem das ständige Bremsen beim Bergabfahren ist mehr als anstrengend. Die beiden Profis empfinden das ganz anders und verabreden sich schon zur nächsten Tour.