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Mindelheim
Streifzug durch Spielhallen: Ewig lockt das Spiel mit der Hoffnung
Die Wenigsten wollen Spielotheken in ihrer Nähe wissen. Doch warum gibt es sie dann an jeder Ecke? Unser Reporter hat sich für diese Frage in Glücksspielhöhlen umgesehen.
Spielsucht_2       -  Spielotheken sind in Mindelheim, wie in den meisten deutschen Städten, sehr verbreitet. Sie erzählen Geschichten von Einsamkeit, Hoffnung und Kontrollverlust.
Foto: Ole Spata, dpa | Spielotheken sind in Mindelheim, wie in den meisten deutschen Städten, sehr verbreitet. Sie erzählen Geschichten von Einsamkeit, Hoffnung und Kontrollverlust.
Benedikt Dahlmann
 |  aktualisiert: 11.03.2024 13:01 Uhr

Von außen versprühen Spielotheken einen zwielichtigen Eindruck. Die Fenster sind abgedunkelt, sodass die Menschen draußen nicht rein- und die Menschen drinnen nicht hinausschauen können. Gleichzeitig sind die Logos der großen Ketten häufig unschuldige, beinah kindliche Motive: die lachende Sonne, der grinsende Löwe oder einfach ein vierblättriges Kleeblatt. Es gibt sie an Bahnhöfen, im Gewerbegebiet und mitten in unseren Innenstädten. Gerade in Kleinstädten sind sie die einzigen Läden, die spätabends noch geöffnet haben. Dadurch erzählen Spielhallen viel über die Orte, an denen wir wohnen.

Im Radius von anderthalb Kilometern gibt es in Mindelheim fünf Spielotheken

"In Mindelheim gibt es ja sonst nichts", sagt Tariq. "Hier kann man sich wenigstens bis drei Uhr beschäftigen", sagt Sliman. Die Namen der beiden Männer sind nicht echt, aber sie kommen beide aus Ländern, in denen die Menschen seltener Basti oder Timo heißen und häufiger Tariq oder Sliman. Beide wohnen wie ich in Mindelheim. In meiner Nachbarschaft gibt es auf einem Radius von anderthalb Kilometern fünf Spielotheken. Im bayerischen Vergleich ist das keineswegs eine Besonderheit. In Aichach, Landsberg oder Illertissen hätte ich Ähnliches erleben können.

Tariq und Sliman sind die Ersten, die sich mit mir unterhalten. Zuvor hatte ich es in zwei größeren Spielhallen probiert, die beide zur gleichen Kette gehören. Die eine ist im Keller eines Autohofs, die andere im Industriegebiet. "Ich brauche keine Psychotherapie, ich will hier mein Spiel spielen", war eine der ersten Reaktionen auf meine unbeholfene Kontaktaufnahme. Ich hatte den jungen Mann mit schwarzem Hoodie und Basecap gefragt, ob er schon einmal etwas gewonnen hat. Hatte er, 1500 Euro, vor vier oder fünf Jahren, danach nicht mehr. Ob er häufiger komme? "Vier- bis fünfmal die Woche." Ob er auch online spiele? Dann kam die Zurückweisung.

Spielhallen geben sich Mühe, dass sich ihr äußerliches Schmuddel-Image im Inneren nicht widerspiegelt. Letztlich sind es immer größere Räume mit Spielautomaten, die mit ausreichend Abstand zueinander angeordnet sind. Die Stühle vor den Automaten sind hochwertig und bequem, die Plätze sauber und das warme Deckenlicht soll Gemütlichkeit ausstrahlen. In Kombination mit den grell blinkenden Automaten wirkt es auf mich jedoch eher düster. Das Personal ist auffallend freundlich und äußerst diskret. 

Zehn Euro verspielt und noch nicht einmal verstanden, wie Spielautomaten funktionieren

In der ersten Spielothek kontrollierte ein durchtrainierter Mann in weißem Hemd und schwarzer Weste den Einlass. Fragen zu seiner Arbeit wollte er nicht beantworten. Zu allem Überfluss hatte er sogar seinem Kollegen in der zweiten Spielothek Bescheid gesagt, dass jemand in ihre Spielhallen kommt und komische Fragen stellt. In größeren Ketten wird das offenbar nicht gerne gesehen. Auch die dritte, kleinere Spielhalle brachte mir kein Glück. Diesmal bekam ich überhaupt keine Antworten auf meine Fragen. Mittlerweile hatte ich fast zehn Euro verspielt und noch nicht einmal ansatzweise verstanden, wie die Automaten funktionieren. Dann fuhr ich in die vierte Spielothek und lernte Tariq und Sliman kennen.

Tariq ist 37 Jahre alt. Elf davon hat er als Geflüchteter in Deutschland verbracht. Er hat noch nie etwas gewonnen, sagt er. Aber vielleicht klappe es ja heute. Tariqs Familie ist in seiner Heimat geblieben. Hier im Unterallgäu verdient er sein Geld in der Produktion. In drei Stunden fängt seine Schicht an. Eigentlich will er noch mal kurz nach Hause, um sich hinzulegen, aber er hat auch noch 80 Euro im Automaten, die er nicht ungenutzt lassen will. Tariq ist sehr freundlich und aufgeschlossen, aber er beklagt, dass ihm das von seinen Mitmenschen nicht gespiegelt wird: "Es ist leider sehr schwer, hier Anschluss zu finden, die Menschen reden nicht so viel."

Sliman ist nicht so redselig wie Tariq. Auch er ist aus seiner Heimat geflohen, auch er kommt häufiger her. Tariq und Sliman kennen sich schon länger. Befreundet sind sie aber nicht. "Ich kenne hier jeden in Mindelheim, aber ich hab' zu niemandem Kontakt", sagt Sliman. Wie Tariq kommt er aus Langeweile in die Spielothek. Wie Tariq hat Sliman fast nie etwas gewonnen. "Ganz am Anfang hab' ich mal Hundert Euro rausbekommen. Danach immer nur verloren", sagt er mit unsicherem Grinsen. 

Wenn Glücksspiel zur Sucht wird, dann hängen die meisten am Automaten

Auf einmal passiert auf meinem Bildschirm etwas Ungewöhnliches: Da steht, dass ich zehn Freispiele gewonnen habe. Unregelmäßig drücke ich auf den einzigen Knopf, von dem ich gelernt habe, dass er irgendetwas kann. 'Start' steht darauf. Es werden immer mehr Freispiele und nach kurzer Zeit habe ich 42,60 Euro auf meinem Spielkonto. "Anfängern passiert das häufiger", sagt Manuela Petrus. Ihr Name ist ebenfalls nicht echt. Aber so kann sie offener von ihrer Arbeit in der Spielothek erzählen: "Als ich noch woanders gearbeitet habe, war da mal ein 18-jähriger Junge, der hat von seinem Kumpel zum Geburtstag zehn Euro für die Spielothek geschenkt bekommen. Der Junge hat 800 Euro gewonnen. Danach war er unser Stammgast." Sie schüttelt den Kopf: "18-Jährige sollten sich draußen mit ihren Freunden treffen, die sollten nicht alleine in einer Spielothek sitzen."

Mehr als 500.000 Menschen zwischen 16 und 65 Jahren weisen zumindest ein problematisches Glücksspielverhalten auf, schätzt man im Bundesgesundheitsministerium. Und: Sobald Glücksspiel zur Sucht wird, hängen die meisten Betroffenen am Automaten. Für die deutsche Automatenwirtschaft rechnet sich das. 2,8 Milliarden Euro Nettoumsatz macht die Branche eigenen Angaben zufolge. Die Faustformel der Glücksspielforschung lautet: 80 Prozent dieses Umsatzes wird gerade einmal durch 20 Prozent der Kunden erwirtschaftet. 

Neben den Spielautomaten tragen zu einem kleinen Teil auch Billardtische, Kicker und Dartscheiben zum Umsatz der Branche bei. Davon ist in den Mindelheimer Spielotheken aber nichts zu sehen. Leider, wie Manuela Petrus findet: "Vor der Pandemie hatten wir noch einen Billardtisch hier. Da hatten die jungen Leute etwas, womit sie sich beschäftigen konnten. Jetzt gibt es in Mindelheim ja nichts mehr. Sie können sich entscheiden zwischen Spielotheken und McDonald's. Das gilt übrigens auch für Rentner."

Häufiger Grund für Glücksspiel und Spielsucht: "Hier gibt es ja sonst nichts"

Es sind diese drei Sätze, die sich durch den Abend ziehen: "Hier gibt es sonst nichts." "Ich habe noch nie etwas gewonnen." "Vielleicht ja heute." Larissa Schwarzkopf vom Institut für Therapieforschung in München kennt solche Sätze. "Es gibt viele verschiedene Gründe, warum Menschen Glücksspiel betreiben. Faktoren, die wir häufig beobachten, sind Nervenkitzel, Kontrollillusion, Gewohnheit und Ablenkung." Schwarzkopf ist Gruppenleiterin der Landesstelle Glücksspielsucht in Bayern. Während die einen also das Adrenalin brauchen, wollen die anderen vor allem dem Alltag entfliehen. 

Tariq hat inzwischen den Absprung geschafft. Er hat sich sein letztes Geld auszahlen lassen und verabschiedet sich: "Hundert Euro rein, hundert Euro raus, immer das gleiche Spiel." Heute waren es 150 Euro rein und 50 Euro raus. "Hauptsache die Zeit ist rumgegangen." Seit 15 Uhr war er in der Spielothek, jetzt ist es 19 Uhr. In drei Stunden beginnt seine Schicht. Viel Schlaf wird er nicht mehr bekommen. Ohne Tariq wird Sliman noch wortkarger als zuvor. Ob er auch Online spielt? "Ne, dann sitze ich ja wieder nur zu Hause." Und Sportwetten? "Kenn' ich mich nicht mit aus." 

Dafür hat Manuela Petrus noch einiges zu erzählen. Vor vielen Jahren ist sie aus einem Nachbarland nach Deutschland gekommen. In der Spielothek hat sie sich von einer 450-Euro-Stelle hochgearbeitet. Nun leitet sie mehrere Filialen in Schwaben und Oberbayern. Der Job macht ihr Spaß, weil sie unterschiedlichsten Menschen begegnet. Anders als ich empfindet Petrus den Ort als angenehm und hell. Gleichzeitig sei ihr Job sehr anstrengend: "Ich hatte hier schon Frauen, die unter Tränen mit ihren Kindern zu mir kamen, weil ihre Männer das ganze Geld der Familie verspielt haben", sagt Petrus. "Gerade junge Menschen versuche ich darum, immer wieder anzusprechen und ermutige sie, zu gehen, damit sie nicht irgendwann in solche Situationen kommen."

Schwarzkopf sagt: "Wir haben in der Forschung zwar festgestellt, dass viele Spieler sehr auf ihren Bildschirm fixiert sind, trotzdem gehen sie in die Spielothek, weil sie da unter anderen Menschen sind. Dazu kommt, dass Spielotheken sehr verfügbar sind."

Therapie für Glücksspielsucht: Gut, wenn Problem früh erkannt wird

Auch ich will mir meinen Gewinn auszahlen lassen und gehen. Allerdings ist das schwieriger als gedacht. Eine gefühlte Ewigkeit sitze ich da und überweise mir meine 42,60 Euro vom Spielkonto auf den virtuellen Geldspeicher. Erst vom Geldspeicher aus kann ich mir den Betrag bar auszahlen lassen. In einer halben Stunde bekommt man auf diesem Weg maximal 400 Euro. Ein Trick der Automatenbranche, um mich länger ins Spiel zu verwickeln, denke ich. "Das läuft unter vermeintlichem Spielerschutz", sagt Manuela Petrus. Die Idee dahinter sei, dass süchtige Spieler im Moment des Gewinns eine Auszeit bekommen sollen, um das eigene Spielverhalten zu reflektieren. Die Realität sieht anders aus, findet Petrus: "Das ist kompletter Unsinn. Den Leuten wird langweilig und sie spielen weiter. Mit Spielerschutz hat das nichts zu tun."

Gerade Angehörige leiden häufig unter der Spielsucht eines Freundes oder Familienmitgliedes. Darum ist es wichtig, problematisches Spielverhalten so früh wie möglich zu thematisieren, betont Schwarzkopf. "Das Thema Glücksspielsucht ist sicherlich unangenehm, aber wenn man das Gefühl hat, dass jemand im Freundes- oder Bekanntenkreis die Kontrolle über Spielzeiten verliert, sollte man das unbedingt ansprechen." Je früher, desto besser kann Betroffenen geholfen werden. Auf der Webseite der Landesstelle Glücksspielsucht in Bayern gibt es einen einfachen Selbsttest, mit dem man schnell das eigene Verhalten überprüfen kann.

Inzwischen ist das Geld auf dem Geldspeicher meines Automaten angekommen. Schon komisch, wenn aus zwölf plötzlich 42 Euro werden. Ich frage mich, wie es sich anfühlen würde, wenn ich das gerade nicht für meine Recherche, sondern in meiner Freizeit erlebt hätte. Wahrscheinlich wäre ich dann jedoch gar nicht hier. Ich bin froh, die Spielothek wieder verlassen zu können. Am Platz nebenan spielt Sliman gerade Roulette. Er hat noch 6,80 Euro Einsatz. Bis drei Uhr wird das nicht reichen. Doch seine leise Hoffnung wird bald wiederkommen.

 
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