Alte und kranke Menschen pflegen, das wollte Mustapha Manku. Es war sein Traumjob. Denn er bringe Erfahrung mit, erzählt der 23-Jährige und lächelt. Seine Oma im Gambia habe er auch gepflegt. Und im Caritas-Seniorenzentrum Notburga im Landkreis Augsburg war man mit der Arbeit des Afrikaners, der seine geflochtenen Haare nach hinten gebunden trägt, auch sehr zufrieden: Er bekam einen Ausbildungsvertrag zum Pflegefachhelfer. Doch beginnen durfte er im September 2022 nicht. Seine Duldung war erloschen, sagt er. Trotz Ausbildungsvertrag sollte er ausreisen. Bei der Caritas ist das Unverständnis darüber bis heute groß.
Teure, aufwendige Flüge für einen Ausbildungsplatz in Bayern
Wer einen Ausbildungsplatz hat, eine Arbeitsstelle, müsse natürlich dableiben können. Es sei "völlig widersinnig, den durch die halbe Welt zurückzuschicken, um Visa im Heimatland zu beantragen". Das soll Bayerns Ministerpräsident Markus Söder erst vor Kurzem auf einer Veranstaltung der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft gesagt haben. Voraussetzung sei freilich, dass der Geflüchtete sich nicht strafbar gemacht hat. Josefine Steiger macht diese Aussage des CSU-Chefs wütend. Denn seit 2019 müsse die frühere langjährige Ausbildungsleiterin der Industrie- und Handelskammer (IHK) Schwaben regelmäßig mit Gruppen junger Geflüchteter in die deutschen Botschaften ihrer jeweiligen Heimatländer reisen, weil sie eben sonst abgeschoben werden würden, obwohl sie einen Ausbildungsplatz haben. Der Organisationsaufwand und die Kosten für diese Flüge seien enorm.
Doch auch Lorenzo Tomassetti scheute weder Geld noch Aufwand und setzte sich mit seinem Auszubildenden Enes Karaca im März 2022 in einen Flieger nach Istanbul. Der 53-Jährige gehört zur Leitung des italienischen Restaurants "Il Camino" in Nördlingen. In diesem Jahr können sie 20-jähriges Jubiläum feiern. Seit jeher beschäftigt er Menschen aus aller Herren Länder. Was aber alles nötig wird, damit er Enes Karaca, einen Kurden, der aus der Türkei geflohen und seit 2019 in Deutschland ist, ausbilden darf, konnte er sich vorher nicht vorstellen. Der junge Mann stand eines Tages in seinem Restaurant und sagte: "Ich heiße Enes. Ich möchte arbeiten." Gekommen war er von der nahe gelegenen Asylunterkunft. Und Tomassetti, verheiratet mit einer Lehrerin und Vater von drei Kindern, ließ ihn zur Probe arbeiten. Schließlich werde jede Hand gebraucht. Der Fachkräftemangel sei gerade in der Gastronomie sehr groß.
Tomassetti setzt sich an einen Tisch, bittet Karaca neben sich. Der strahlt. "Enes sticht heraus", sagt Tomassetti. "So etwas spürt man, wenn man täglich mit Menschen arbeitet." Stets freundlich, hilfsbereit, motiviert – darauf komme es an. "Unsere Mitarbeiter bei uns sind kein Personal", erklärt Tomassetti, "sie sind unsere Familie." Und Enes wollte er in seine Familie aufnehmen, organisierte auch ein Zimmer für ihn.
Doch sein Asylantrag wurde abgelehnt. Er sollte zurück in seine Heimat. Tomassetti verstand die Welt nicht mehr. Denn auch er dachte, wenn ein geflüchteter Mensch in einem Betrieb gebraucht wird, kann er bleiben. "Doch das deutsche Asylrecht ist hoch kompliziert", weiß er heute. Er holte sich Unterstützung bei einem Anwalt und kontaktierte den zuständigen Mitarbeiter im Landratsamt. "Dort hat man mir wirklich sehr geholfen." Aber schon kam die nächste Hürde: Das "Il Camino" war kein offizieller Ausbildungsbetrieb. Also ließ sich Tomassetti bei der IHKSchwaben zum Ausbilder schulen und lernte dort in AugsburgJosefine Steiger kennen. Und so buchte auch er für sich und Karaca einen Flug nach Istanbul zur deutschen Botschaft, um ihm mit einem Visum eine legale Einreise nach Deutschland zu ermöglichen. Drei Tage später sollte der Rückflug sein. Doch zurück kam nach drei Tagen nur Tomassetti. Karaca habe man monatelang in Istanbul auf sein Visum warten lassen. Erst im August habe er zurückgekonnt. Die Lernlücken waren dann so groß, dass er sein erstes Ausbildungsjahr wiederholen musste.
Freie-Wähler-Politiker Hold sagt: In weiten Teilen der CSU habe man Angst vor dem Spurwechsel
Doch wie passt das zusammen? Warum erklärt Söder, dass, wer einen Ausbildungs- oder Arbeitsplatz hat, bleiben kann und gleichzeitig werden weiter so viele von ihnen abgeschoben? Alexander Hold kennt diese Fragen nur zu gut. Er ist nicht nur der Vizepräsident des bayerischen Landtags, sondern in seiner Partei, den Freien Wählern, auch der Sprecher für Asyl und Integration. "Täglich habe ich diese Fälle auf dem Tisch, in denen Unternehmen Asylbewerber als Auszubildende oder Arbeitskräfte dringend brauchen, ihnen Verträge geben und dann werden sie trotzdem abgeschoben." Seit Langem kämpften die Freien Wähler für einen liberaleren Umgang und vor allem für die sogenannte 3+2-Regelung. Sie sollte eigentlich garantieren, dass ausreisepflichtige Ausländer über eine Duldung eine Berufsausbildung in Deutschland machen können und anschließend noch zwei Jahre eine Arbeitserlaubnis erhalten. Auch das Ende 2022 beschlossene sogenannte Chancen-Aufenthaltsrecht werde in der CSU in großen Teilen "verteufelt". Es soll gut integrierten Ausländern, die über fünf Jahre ohne gesicherten Status in Deutschland leben, Deutschkenntnisse und die Sicherung ihres Lebensunterhalts nachweisen können, eine Perspektive geben.
Nach Einschätzung von Hold ist das Hauptproblem: "Zwar hat der Innenminister nach anfänglichem Zögern die schnelle und lückenlose Anwendung verfügt. Aber in weiten Teilen der CSU gilt nach wie vor die große Angst vor dem Spurwechsel." Das heißt, dass abgelehnte Asylbewerber über den Ausbildungs- und Arbeitsmarkt dauerhaft in Deutschland bleiben. Man fürchte einen Pull-Effekt, dass sich dieser Weg unter Flüchtlingen herumspricht und noch mehr nach Deutschland kommen.
Arbeit ist ein wichtiger Faktor für die Integration
Hold sieht dies allerdings anders: "Wer sich nichts zuschulden kommen lässt und arbeiten will, den können wir doch brauchen. Für mich ist Arbeit der beste Integrationsfaktor." Der Allgäuer Landtagsabgeordnete sagt: "Was ich seit Jahren predige, habe ich nun auch vom Ministerpräsidenten vernommen, dass, wer einen Ausbildungs- oder Arbeitsplatz hat, natürlich bei uns bleiben darf. An diesem Satz wird sich Söder künftig messen lassen müssen." Denn es sei doch "geradezu aberwitzig, dass hochrangige Politiker in den Balkan und in andere Länder reisen, um dort um Fachkräfte zu werben und bei uns sagt man den Asylbewerbern, die von Betrieben gebraucht werden: Geh nach Hause, weil Du kein Aufenthaltsrecht hast."
Und was sagt das bayerische Innenministerium dazu? Dort verweist man auf die bundesrechtlichen Bestimmungen und erklärt: "Das Bundesrecht sieht dabei im Grundsatz eine klare Trennung von Asyl- und Arbeitsmigration vor. Für bestimmte ausreisepflichtige ausländische Staatsangehörige sieht das geltende Recht unter gewissen Voraussetzungen die Möglichkeit zur Legalisierung des nicht rechtmäßigen Aufenthalts auch ohne eine vorherige Ausreise vor." Bayern wende bereits die gesetzlichen Möglichkeiten "offensiv an, um gut integrierten Personen eine Bleibeperspektive zu eröffnen". Dies gelte insbesondere für Ausländer, die sich in einer qualifizierten Berufsausbildung befinden – "bei der damit angesprochenen Ausbildungsduldung nimmt Bayern bundesweit einen Spitzenplatz ein".
Josefine Steigerärgern auch diese Sätze gewaltig. Sie sitzt im Nuno, dem Restaurant im Augsburger Textilmuseum. Die 68-Jährige betont zwar, wie gut sie mit den Ausländerbehörden zusammenarbeite, "doch infolge der oft gnadenlosen politischen Entscheidungen in Bayern müssen oft gerade die wieder ausreisen, die Integrationsleistungen vorweisen können und von Unternehmern dringend gebraucht werden. Andere, die einfach schon über fünf Jahre da sind, sich aber bei Weitem nicht so anstrengen, die dürfen jetzt bleiben. Das ist doch nicht fair".
Ohne Hilfe hätte er es nicht geschafft, in Deutschland einen Beruf zu erlernen
Genau das stört auch Mihael Malesic. Er betreibt zusammen mit Nbras Mshaweh das Nuno. Auch er wünscht sich, dass bei der Aufnahme Geflüchteter besser differenziert wird und vor allem Integrationsleistungen gewürdigt werden, auch der Wille zu arbeiten.
Einer, der diesen Willen mitbringt, ist aus seiner Sicht Mustapha Manku. Der läuft freudig auf Josefine Steiger zu, umarmt sie. Ihr hat er es schließlich zu verdanken, dass er doch noch eine Ausbildung machen kann. Zwar nicht in der Pflege, denn dort könne man nur immer am 1. September starten. Aber er lernt nun im Nuno Koch, Platz zwei auf seiner Berufswunschliste. Der Ausbildungsvertrag hilft ihm aber wieder nicht, um bleiben zu dürfen: Er gehört zu fünf Gambiern mit denen Steiger im Mai nach Dakar in die Botschaft fliegen muss, sagt sie – also wieder so eine völlig widersinnige Weltreise für einen Ausbildungsplatz in Bayern. Doch Manku freut sich: Denn ohne Hilfe, das sei ihm heute klar, hätte er es nicht geschafft, in Deutschland einen Beruf zu erlernen und zu arbeiten.