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Maskenaffäre
Maskenmillionärin Tandler geht vor Gericht in die Offensive
Politiker-Tochter Andrea Tandler hat mit Maskendeals in der Corona-Krise viel Geld verdient. Dabei soll sie 23,5 Millionen Euro Steuern hinterzogen haben. Im Prozess kündigt sie „volle Transparenz“ an.
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Foto: Peter Kneffel, dpa | Die Angeklagte Andrea Tandler steht an ihrem Platz im Gerichtssaal zwischen ihren Anwältinnen Cheyenne Blum (links) und Sabine Stetter.
Holger Sabinsky-Wolf
 |  aktualisiert: 11.03.2024 10:21 Uhr

Es ist 9.06 Uhr, als Andrea Tandler in den Gerichtssaal kommt. Handschellen muss sie keine tragen, obwohl sie aus der Untersuchungshaft gebracht worden ist und laut Haftbefehl Fluchtgefahr besteht. Die Angeklagte trägt ein blaues Kleid und dunkelblaue Sneaker. Die Haare hat sie zum Pferdeschwanz gebunden, sie trägt eine dunkle, modische Brille mit goldenen Bügeln. Das alles ist erwähnenswert, weil der letzte öffentliche Auftritt dieser Schlüsselfigur der Maskenaffäre um einiges bizarrer ausgefallen war.

Damals, im Juli 2022, als Tandler im Untersuchungsausschuss des Landtags Antworten auf Fragen der Abgeordneten verweigerte, war sie quasi vermummt erschienen: Ein sehr großer, sehr bunter Schal, verspiegelte Sonnenbrille, dunkle Baseballkappe und Corona-Schutzmaske. Wahrscheinlich wollte Andrea Tandler, die Tochter der CSU-Legende Gerold Tandler einfach unerkannt bleiben, schließlich gab es bis dahin so gut wie keine Fotos von ihr. Doch die Reaktionen auf ihre Kostümierung waren verheerend. Der SPD-Politiker Markus Rinderspacher sprach nach Tandlers Auftritt von einer "respektlosen Maskerade", hinter der sich „Habgier und Gewinnsucht verbergen“.

Dieses Mal ist der Auftritt um einiges seriöser gehalten. Andrea Tandler, 40, hat auch kaum eine andere Wahl. Dieser Strafprozess hier ist alles andere als ein Zirkus. Die Tochter des einst so einflussreichen CSU-Mannes und Strauß-Vertrauten und ihr Partner Darius N. sollen unter anderem über ihre Firma Little Penguin (Zwergpinguin) im Zusammenhang mit Maskengeschäften 23,5 Millionen Steuern hinterzogen haben. Wenn Tandler verurteilt wird, droht ihr eine mehrjährige Gefängnisstrafe. Seit mehr als acht Monaten sitzen Tandler und ihr Partner Darius N. bereits in Untersuchungshaft. Ende Januar waren die beiden wegen Fluchtgefahr überraschend verhaftet worden. Es war der vorläufige Tiefpunkt dieser Maskenaffäre Tandler.

Andrea Tandler geht am ersten Prozesstag um die Maskenaffäre in die Offensive

Doch am Mittwochmorgen geht die Politiker-Tochter Tandler in die Offensive. Direkt nach Verlesung der Anklage beginnt sie mit einer langen Erklärung. Es ist das erste Mal, dass sie sich äußert. Und es ist bemerkenswert. Sie könne sich gut vorstellen, was viele jetzt denken: Da sitzt sie, die Tochter eines CSU-Amigos, die keine Ahnung habe, was Arbeit bedeute, aber in der Corona-Krise unverschämt abkassiert habe. Das sei das Bild, das in der Öffentlichkeit von ihr gezeichnet worden sei. Tandler betonte, dass sie weder CSU-Mitglied noch politisch aktiv sei. Vielmehr sei sie in die bekannte Politiker-Familie Tandler hineingeboren worden, wofür sie nichts könne. 

Tandler kündigt an, im Prozess für volle Transparenz zu sorgen. „Keine Frage wird unbeantwortet bleiben“, sagt sie. Sie habe nichts zu verbergen. Es sei damals im Frühjahr 2020 eine „extrem hektische Zeit“ gewesen, „in der Fehler passiert sein können“. Sie und ihr Geschäftspartner seien aber an einem korrekten Geschäft interessiert gewesen: „Wir haben das Geld in Deutschland verdient und wollten hier auch korrekt unsere Steuern entrichten.“ Seit den Ermittlungen und der Verhaftung seien ihrer beider Leben komplett aus den Fugen geraten.

Tandler trägt ihre Erklärung ruhig und klar vor. Nur einmal bricht ihre Stimme: Als sie vom engen Verhältnis zu ihren fünf Geschwistern berichtet und ihren Eltern, die alle Kinder immer entsprechend deren Talenten gefördert hätten.

Die angeklagte Politiker-Tochter erzählt, wie sie Ende Februar 2020 über eine Schweizer Freundin Kontakt zu einem Mittelsmann zur Firma Emix bekommen hat, über die der Monster-Maskendeal später abgewickelt wurde. Tandlers Darstellung: Sie sei gefragt worden, ob sie mögliche Vertriebsleute oder potenzielle Geschäftspartner kenne. Für Tandler offenbarte sich eine einmalige Chance auf das Geschäft ihre Lebens. Sie griff zu. Es ging mir niemals darum, zu betrügen“, sagt sie.

Doch der „Zwergpinguin“ watschelte schon früh auf dünnem Eis. Bereits am Anfang der Ermittlungen zu dubiosen Masken-Geschäften in der Corona-Krise war die Firma mit Sitz im noblen Münchner Vorort Grünwald ins Visier der Justiz geraten. Denn da waren ein paar auffällige Koordinaten: Das Mega-Geschäft einer Schweizer Handelsfirma mit mehreren deutschen Gesundheitsministerien, Volumen: rund 700 Millionen Euro. Eine Mega-Provision von mehr als 48 Millionen Euro. Und eine Politiker-Tochter mit klingendem Namen und sehr guten CSU-Verbindungen. Wenn da mal nicht was faul war.

Auch Alfred Sauter und Georg Nüßlein hatten zu jener Zeit eine Maskenaffäre am Hals

Schließlich hatten zu jener Zeit auch der frühere bayerische Justizminister Alfred Sauter und der CSU-Bundestagsabgeordnete Georg Nüßlein eine Maskenaffäre am Hals. Auch sie hatten ihre guten Verbindungen genutzt. Sauter strich über eine Firma seiner Töchter 1,2 Millionen Euro Provision dafür ein, dass er Corona-Schutzmasken an den Staat vermittelt hatte. Nüßlein sollte dieselbe Summe erhalten, nach einer ersten Rate von 660.000 Euro flog das Geschäft aber auf. Die Generalstaatsanwaltschaft München hielt das Gebaren für Abgeordnetenbestechung, der Bundesgerichtshof aber nicht. Die Provisionen mögen moralisch fragwürdig gewesen sein, strafrechtlich sind sie es nicht.

Im Fall Tandler schien die Lage auf den ersten Blick ähnlich – bis auf den gewaltigen Unterschied beim Honorar, das die bisherige Klein-Werbeunternehmerin kassierte. Diese Provisionssumme der Schweizer Firma Emix von 48,4 Millionen Euro schien den Ermittlern so absurd hoch, dass sie zunächst nach Indizien für Bestechung oder Geldwäsche suchten. Trotz aller Masken-Knappheit und Corona-Panik war es schwer zu glauben, dass für eine einzelne Maske tatsächlich bis zu 8,90 Euro (vom bayerischen Gesundheitsministerium) bezahlt worden sein sollen, ohne dass beispielsweise Politiker ein Stück von diesem üppigen Kuchen abbekommen haben.

Tatsächlich war der Deal der Schweizer Jungmillionäre von Emix mit deutschen Ministerien ja über CSU-Kanäle eingefädelt worden. Allen voran über Monika Hohlmeier, 61, die Europaabgeordnete und Tochter von CSU-Übervater Franz Josef Strauß. Aber auch den heutigen CSU-Generalsekretär Martin Huber hat Andrea Tandler nach eigener Aussage kontaktiert. Er habe das Angebot direkt an die Staatskanzlei in München weitergeleitet. Zudem gab es Kontakt zum Bundestagsabgeordneten Stephan Mayer, der im Mai 2022 nach zwei Monaten als CSU-Generalsekretär zurückgetreten ist, weil er einen Reporter bedroht hat.

So wurden im Bund und in Bayern Türen in Gesundheitsministerien geöffnet. Hohlmeier und Tandler sind gut befreundet, sie kennen sich seit Tandlers Kindheit. Doch Hinweise auf Korruption fanden die Ermittler nicht. Hohlmeier selbst hat nach Stand der Dinge kein Geld erhalten oder auch nur verlangt. Das hatte sie auch immer betont. Im Untersuchungsausschuss des Bayerischen Landtags sagte Hohlmeier, es sei "zwingende Aufgabe von uns Abgeordneten gewesen", Anfragen weiterzugeben, "die potenziell Menschenleben retten". Von Tandlers riesigen Provisionen habe sie erst später erfahren. Anlass zu Misstrauen habe sie damals nicht gehabt.

Unter Freunden ist das ja auch nicht üblich. Bei der Justiz ist das anders, da gehört Misstrauen zur zwingenden Grundausstattung. In Fällen von Wirtschaftskriminalität ist es oft so: Wenn Strafverfolger das tiefe Gefühl haben, bei einem Verdächtigen stimmt etwas nicht, sie aber keine Belege für Korruption, Geldwäsche oder Ähnliches finden können, dann suchen sie bei der Steuer. Das war schon beim berühmten Gangsterboss Al Capone so. Und gerade das komplexe deutsche Steuerrecht ist geradezu prädestiniert dafür, dass sich leicht jemand darin verstrickt. Oder eben bewusst versucht, den Fiskus zu betrügen.

8,90 Euro pro Stück: Die Tandler-Corona-Masken waren absurd überteuert

Dass Andrea Tandler für die Schweizer Firma Emix Geschäfte anbahnte, mit denen der deutsche Staat ganz offenkundig abgezockt wurde, gilt längst als unstrittig. Masken für bis zu 8,90 Euro pro Stück waren selbst in den turbulenten Anfangstagen der Pandemie absurd überteuert. Ebenfalls klar ist, dass die CSU-Politikerin und langjährige Tandler-Freundin Monika Hohlmeier ihr mit guten Kontakten Türen in die Ministerien geöffnet hat. Doch juristisch ebenso unstrittig ist inzwischen, dass die Deals, die Tandler gemeinsam mit ihrem Geschäftspartner Darius N. eingefädelt hat, legal waren. In einer akuten Krise gibt es auch immer Krisengewinner. Oder, wie es der damalige Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) in einer direkten Nachricht an Andrea Tandler formulierte: „Wir nehmen immer noch von allem alles.“

Bleibt die Frage, ob Tandler also ihre immensen Provisionen auch noch auf illegale Weise steuerlich optimiert hat. Darum geht es in diesem Prozess.

So soll die Politiker-Tochter die ersten Aufträge zum Beispiel über ihre eigene Marketing-Agentur Pfennigturm mit Sitz in München angestoßen haben. Bis dahin war diese Firma aber nicht gerade mit einer Expertise für medizinische Schutzausrüstung bekannt geworden, sondern hatte sich um ein paar bayerische Mittelständler gekümmert. Einen Plattlinger Wursthersteller, Landhausmöbel vom Chiemsee, Bier aus Neuötting.

Als Corona das Land überrollte und sich für Tandler im Frühjahr 2020 das Geschäft ihres Lebens anbahnte, wickelte sie praktisch ihren gesamten E-Mail-Verkehr über ihre Pfennigturm-E-Mail-Adresse ab. Ihre Einnahmen ließ Tandler aber offenbar nicht an Pfennigturm fließen, sondern an die erst Mitte April 2020 neu gegründete Little Penguin. Dass diese in Grünwald sitzt, dürfte kaum dem Zufall geschuldet sein: Der Münchner Prominenten-Vorort gehört zu den Gemeinden mit den niedrigsten Gewerbesteuersätzen der Republik, verlangt nicht einmal den halb so hohen Satz wie München. Tatsächlich aber sollen die Maskendeals von München aus eingefädelt worden sein, nämlich von Tandlers Wohnung aus und den Lokalen ihres Partners Darius N.

Welche Beziehung gab und gibt es zwischen Andrea Tandler und Darius N.?

Bei dem 52-Jährigen geht die Staatsanwaltschaft davon aus, dass er auch Tandlers Lebensgefährte ist, so klingt es jedenfalls in Chat-Protokollen der beiden. Tandler weist dies im Prozess zurück. Sie seien vielmehr „Geschäftspartner fürs Leben“. So oder so soll Tandler Darius N. einen Teil der Provisionen zukommen haben lassen. Das wäre steuerrechtlich eine Schenkung gewesen, was die beiden aber nicht angegeben haben.

Die dritte Art der Steuerhinterziehung, die Tandler vorgeworfen wird, dreht sich um die Einkommensteuer. Die Politiker-Tochter soll einen Teil der Einkünfte aus den Maskendeals über eine Firma haben laufen lassen, hätte diese aber privat versteuern müssen. So habe sie laut Anklage illegal vom niedrigeren Firmensteuersatz profitiert. Insgesamt soll Tandler 23,5 Millionen Euro Steuern hinterzogen haben. Konkret geht es laut Anklage um nicht gezahlte Einkommenssteuern von 8,7 Millionen Euro, gemeinschaftlich hinterzogene Schenkungssteuern von 6,6 Millionen Euro und Gewerbesteuerhinterziehung von 8,2 Millionen Euro. Von ihrem Geld hatten sich Tandler und N. kiloweise Gold und Villen in Grünwald gekauft. Tandler, ihr Partner und deren Anwälte haben den Vorwürfen immer widersprochen. Es gilt die Unschuldsvermutung. Andrea Tandler und Darius N. betonen, dass sie Steuerrechtsexperten einer Münchner Kanzlei zu Rate gezogen hätten. Diese Steuerkanzlei habe nie darauf hingewiesen, so Tandler, dass bei der Gewerbesteuer etwas privat zu versteuern sei. Doch die Richter legen ihr ein Dokument aus den Akten vor, auf dem sich genau solch ein Hinweis findet.

Von ihrem bekannten Nachnamen will Andrea Tandler nicht profitiert haben, behauptet sie. Jedenfalls habe sie ihn nicht bewusst eingesetzt und auch ihren Vater, den früheren bayerischen Innen-, Wirtschafts- und Finanzminister Gerold Tandler nicht um Hilfe gebeten. "Es war uns überhaupt nicht klar, dass der Name Tandler wertvoll sein könnte." Jedoch hätten zu Anfang mindestens zwei Ministerien darauf hingewiesen, dass man sich wegen ihres Namens voll auf sie verlasse. Und in den Akten findet sich ein WhatsApp-Chat, in dem Tandler einmal schrieb: "Mein Vater war früher Finanzminister in Bayern, ich denke, man nimmt mir das also glaubhaft ab."

Am Rande taucht in der Anklage noch ein weiterer Punkt auf: Subventionsbetrug. Während sie bereits auf die riesige Provision wartete, hatte Andrea Tandler im April 2020 noch rasch 9000 Euro Corona-Hilfe vom Staat für ihre Marketing-Agentur Pfennigturm beantragt und erhalten. Begründung: Wegen Corona seien die Geschäfte eingebrochen. Die 9000 Euro hat Tandler ein Jahr später zurückgezahlt – zu spät, findet die Staatsanwaltschaft und hat auch dieses Delikt angeklagt.

Der Prozess findet vor der 6. Strafkammer des Landgerichts München I statt. Vorsitzende Richterin ist Andrea Wagner, die als sehr akribisch und erfahren gilt. Vor einem Jahr haben Wagner und ihre Kollegen Starkoch Alfons Schuhbeck zu einer Haftstrafe von drei Jahren und zwei Monaten verurteilt – wegen Steuerhinterziehung. Acht Prozesstage bis zum 17. November hat das Gericht vorläufig anberaumt. Für einen Wirtschaftsstrafprozess ist das eher wenig. Zeugen aus den Gesundheitsministerien im Bund, in Bayern und in Nordrhein-Westfalen sind geladen, Politiker sind bislang nicht darunter.

 
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