Michael Stolze will nicht mehr. Der parteilose 54-Jährige, seit 2020 Bürgermeister von Markt Schwaben im Landkreis Ebersberg bei München, legt sein Amt zum 31. Mai nieder. Drei Monate lang musste der Lokalpolitiker Beleidigungen und Beschimpfungen über sich ergehen lassen, und das vor allem wegen einer politischen Entscheidung, die er selbst gar nicht getroffen hat. Sein Rücktritt ist die Konsequenz eines unerbittlichen Streites über eine Flüchtlingsunterkunft im Ort – und könnte laut dem Deutschen Städte- und Gemeindebund nicht der letzte seiner Art gewesen sein.
Bürgermeister Stolze: Die Erwartungen der Bevölkerung seien enorm und unrealistisch
"In den vergangenen Wochen habe ich nun zunehmend festgestellt, dass ich meiner Rolle nicht mehr gerecht werde", zitierte die Gemeinde Markt Schwaben am Donnerstag ihren Bürgermeister in einer kurzen, vagen Mitteilung, die seinen Rückzug ankündigt. Am Wochenende sprach Stolze dann mit dem Bayerischen Rundfunk. Es habe nicht den einen Grund für seine Entscheidung gegeben, sagte er, vielmehr hätten ihm viele kleine Beispiele gezeigt, dass "Anstand und Respekt als Werte verloren gehen". Die Erwartungen der Bevölkerung seien enorm und unrealistisch, alles müsse immer und sofort erfüllt werden. Dabei meine er zwar nicht ausschließlich die Diskussionen um die Flüchtlingsunterkunft, doch habe dieses Thema "die Situation im Ort fundamental geändert".
Im Dezember war in Markt Schwaben bekannt geworden, dass leer stehende Gewerbebauten am Bahnhof zu einer Flüchtlingsunterkunft umgebaut werden sollen. Umgehend formierte sich Widerstand unter den rund 14.000 Einwohnerinnen und Einwohnern, eine Bürgerinitiative wurde ins Leben gerufen und ein Bürgerbegehren vorbereitet. Als Bürgermeister hatte Michael Stolze mit der Entscheidung der Regierung von Oberbayern eigentlich nichts zu tun – trotzdem richtete sich die Wut gegen ihn und seine Gemeindeverwaltung. Auf einer Informationsveranstaltung zur Flüchtlingsunterkunft sah er sich mit heftigen Anschuldigungen wegen seiner angeblich mangelhaften Kommunikation konfrontiert, die fortan nicht mehr abreißen sollten. Der Ton im Gemeinderat wurde immer rauer – manche Sitzung stand wohl kurz vor dem Abbruch – und auch in den sozialen Medien schlug dem Bürgermeister teils blanker Hass entgegen.
Bürgerinitiative bedauert den Rücktritt und weist die Schuld von sich
Die Bürgerinitiative "Burgerfeld wird Bürgerfeld", die gegen die geplante Unterkunft ins Feld gezogen war, bedauert Stolzes Rücktritt und weist die Schuld daran von sich. "Trotz aller Kontroversen waren wir mit dem Bürgermeister und allen Gemeinderäten immer im konstruktiven Dialog. Wir sind immer mit einem gemäßigten Tonfall aufgetreten und haben alles versucht, die Situation nicht eskalieren zu lassen", sagt Initiator Michael Kümpfbeck. Vielmehr sei nach dem Rücktritt auch die Bürgerinitiative von Hass und Hetze im Netz betroffen. Man erhalte unzählige anonyme Nachrichten, die der Bürgerinitiative "widerwärtiges" Verhalten und Fremdenfeindlichkeit unterstellten, berichtet Kümpfbeck.
Für Uwe Brandl (CSU), Präsident des Deutschen Städte- und Gemeindebunds sowie des Bayerischen Gemeindetags, steht der Fall dagegen exemplarisch für die Überforderung der Gemeinden und die damit einhergehende Verrohung der politischen Diskussionskultur. "Bei den Themen rund um die Unterbringung von Flüchtlingen formiert sich sehr schnell massiver Bürgerprotest, der bedauerlicherweise die Sachebene oft verlässt und die Amtsinhaber vor Ort attackiert und persönlich dafür verantwortlich macht. Und das mit Mitteln, die nicht zu tolerieren sind." Er mahnt: "Natürlich sind diese Diskussionen schwierig, aber ein ,Weiter so!' wird die Gesellschaft überfordern. Doch wenn das passiert, bekommt man eine Situation, die sich niemand wünschen sollte. Gerade wenn ich mir die politischen Ränder anschaue, macht mir das Sorgen." Selbst große Teile der sogenannten Mitte würden mittlerweile in einer "befremdlichen Art und Weise" diese Debatten führen.
Auch fürchtet Brandl, dass der rohe Umgang mit Mandatsträgern Menschen davon abhalten wird, sich in der Lokalpolitik zu engagieren. "Wenn manche Bürgermeisterinnen und Bürgermeister unter Polizeischutz zu Informationsveranstaltungen über Flüchtlingsunterkünfte geführt werden müssen, bloß weil sie dort eine Position zu vertreten haben, die sie sich nicht ausgesucht haben, dann geht das an das Fundament des demokratischen Verständnisses." Man dürfe sich nicht wundern, wenn sich immer weniger dazu bereit erklären, sich "da die Watschn einzufangen", sagt Brandl.
Die Gemeinde hat unterdessen einen Kompromissvorschlag ausgearbeitet, den auch die Bürgerinitiative unterstützt, und hofft auf die Bereitschaft der oberbayerischen Regierung, die Lösung mitzutragen. Am 14. März wird der Antrag im Marktgemeinderat vorgestellt und darüber beraten. Somit dürfte wenigstens in den beiden kommenden Woche etwas Ruhe in Markt Schwaben einkehren.