„In den Bergen wohnt die Freiheit. Wie ist doch dieser Satz in den letzten Jahren mißbraucht worden. Als ob Freiheit darin bestünde, daß man in den Bergen ungestraft möglichst viel Rohheiten begehen dürfte oder müßte. Als ob die Freiheit darin bestünde, auf den Gipfeln Flaschen herumzuwerfen, stundenlang mit der Trompete zu blasen, auf das Vieh Steine herabzulassen, den Zaun des Bauern abzubrechen, die Hütten zu verdrecken und unsere einzig dastehende Flora mit Stumpf und Stil auszurotten.“
(Aus dem Protokollbuch zur Gründung der Allgäuer Bergwacht im Jahr 1923)
Die Allgäuer Bergwacht wird heuer 100 Jahre alt: „Eigentlich sind wir ja Sittenwächter“, sagt das Urgestein in der Region, Otto Möslang (76) aus dem Oberallgäuer Blaichach, und lacht. Fast 55 Jahre lang engagierte er sich in der Bergrettung, davon Jahrzehnte im Allgäu und in der Landesleitung, von 2017 bis 2021 sogar als Vorsitzender in Bayern.
Warum gibt es die Bergwacht im Allgäu?
Möslang erinnert an den Gründungsgedanken der Bergwacht im Allgäu: Als die Organisation am 8. Juni 1923 in Immenstadt ins Leben gerufen wurde, ging es um den „Naturschutz- und Ordnungsdienst“ in den Bergen, wie es im Gründungsprotokoll heißt. Hintergrund war der große Ansturm von Wanderern und Bergsteigern in den 1920er Jahren und damit verbunden die Probleme auf Hütten, die Plünderung von geschützten Blumen-Beständen sowie achtlos weggeworfener Abfall auf Wegen und Gipfeln.
Bereits im Spätsommer 1923 gab es sieben Ortsgruppen der Organisation: Blaichach, Hindelang, Immenstadt, Kaufbeuren, Oberstaufen, Oberstdorf und Sonthofen. Drei Jahre später waren 200 aktive Bergwachtmänner im Einsatz, bis 1933 verdoppelte sich deren Zahl. Zugleich trat der Rettungsdienst neben der Ordnungs- und Naturschutzarbeit immer stärker in den Vordergrund. Nach dem Krieg arbeiteten die Retter immer professioneller, zugleich wurde die Bergwacht landesweit eine Unterorganisation des Bayerischen Roten Kreuzes (BRK). (Lesen Sie auch: Die derzeit hohe Lawinengefahr forderte viele Tote - was die Bergwacht nun rät)
Lawinenhunde und immer professionellere Tätigkeiten
Die Schulung und den Einsatz von eigens ausgebildeten Lawinenhunde-Teams gibt es seit den 1950er Jahren und 1966 wurden die ersten „Rettungsspringer“ der Bergwacht im Allgäu ausgebildet – die Geburtsstunde der Luftrettung mit dem Einsatz von Rettungshubschraubern. In den folgenden Jahrzehnten übernahmen Bergwachtler immer weitere Aufgaben: Beispielsweise in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Skiverband 1978 die Pistenrettung in Wintersportgebieten, und seit über 20 Jahren engagieren sich Mitglieder der Organisation bei der Krisenintervention.
Neue Freizeit-Trends stellten die Bergretter vor weitere Aufgaben: Dazu gehören die Höhlenrettung sowie Einsätze bei Canyoning- oder Gleitschirmunfällen. Und der Einsatz moderner Technik erfordert von Bergwachtfrauen und -männern immer mehr Spezialwissen, unter anderem bei der Luftrettung oder beim Einsatz von Drohnen zur Suche nach Vermissten. Heute sind über 500 Aktive bei der Allgäuer Bergwacht rund um die Uhr einsatzbereit – an 365 Tagen im Jahr. Es gibt 13 örtliche Gruppen in Orten am Alpenrand und vier ergänzende Bergrettungswachen, unter anderem in Neu-Ulm und Augsburg. Der Zuständigkeitsbereich umfasst das Gebiet von Oberstaufen bis Füssen und von Oberstdorf bis Kempten.