Ihr täglich Brot kaufen die Menschen immer noch beim Bäcker in der Ortsmitte von Leipheim, da hat sich an den Vorlieben nichts geändert. Aber dass in den Köpfen etwas vor sich geht, das merkt die Verkäuferin hinter der Theke seit Jahren. Die Leute reden ja, wenn sie morgens an den Stehtischen ihren Kaffee trinken. "Viele schimpfen auf die Regierung, die bis jetzt dran war", sagt die Frau, die eigentlich lieber Brote verkauft, statt über Politik zu reden – und deswegen ihren Namen nicht in einem Artikel lesen will. "Der Grund für die schlechte Laune ist die Flüchtlingspolitik." Sie sehe oft genug, wie in aller Frühe "Ströme" von Asylbewerbern Richtung Rathaus unterwegs sind, weil sie etwas mit der Behörde zu klären haben. Wie groß die Ströme sind, lässt sich gerade nicht überprüfen, dafür ist der Tag zu weit fortgeschritten.
Was sich sehr wohl beweisen lässt: Die Leipheimerinnen und Leipheimer wählen jetzt verstärkt AfD. 29 Prozent der Stimmen gingen an die Rechtspopulisten, doppelt so viele wie im bayerischen Landesdurchschnitt. Das ist selbst für Schwaben einer der Rekordwerte. Vor allem in Stimmkreisen im Westen Schwabens und im Unterallgäu war die AfD besonders stark. Wer nach dem Warum fragt, bekommt von den Menschen auf der Straße ziemlich ähnliche Antworten – und ziemlich eindeutige.
AfD-Wähler: "Der Bürger will doch einfach normale Zustände"
Zum Beispiel von Robert Messerschmid, Handwerker im Ruhestand. Auf der Leipheimer Marktstraße, zwischen einem seit Jahren geschlossenen Café und einem ebenfalls verlassenen Gasthof, beschließt er, "kein Blatt mehr vor den Mund zu nehmen". Er habe einst die Grünen gewählt, damals, als sie neu waren im politischen Betrieb, dann die CSU. "Heute bin ich AfD-Wähler", sagt der 67-Jährige, der in Günzburg lebt. Er habe Infoveranstaltungen der Partei besucht. "Da erschien mir alles einleuchtend. Der Bürger will doch einfach normale Zustände. Und die AfD macht die Politik dafür."
Weil diese Meinung jeder sechste Wähler teilt, ist Ulrich Singer, bislang Fraktionschef der AfD im Landtag, bestens gelaunt an diesem Montagvormittag. Schließlich darf er sich ein wenig wie der kommende bayerische Oppositionsführer fühlen. Ob er das wirklich wird, dürfte sich kommende Woche zeigen, wenn die neue AfD-Fraktion erstmals zusammenkommt. Singer will wieder als Vorsitzender kandidieren und macht für sich geltend, dass er die von internen Streitereien geplagte, alte Fraktion gut zusammengehalten habe. Auch das hätten die Wähler geschätzt. "Unser Erfolg ist ja nicht vom Himmel gefallen." Ob Singer wirklich gewählt wird, steht auf einem anderen Blatt. Schließlich gibt es da noch die beiden AfD-Spitzenkandidaten Katrin Ebner-Steiner und Martin Böhm, die bereits einen angriffslustigeren Kurs angekündigt haben.
Ebner-Steiner und Böhm gelten als Gefolgsleute des Rechtsextremisten Höcke
Beide gelten als stramme Gefolgsleute des Rechtsextremisten Björn Höcke und auch in der neuen Landtagsfraktion dürften die Höcke-Leute den Ton angeben, sagen Kenner der Partei. Mehr als die Hälfte der 32 AfD-Abgeordneten wird neu sein. Sie sind dank eines 0,2-Prozent-Vorsprungs vor den Grünen Oppositionskraft Nummer eins im Landtag, und das bringt eine Reihe von Vorteilen mit sich. Dazu zählen eine längere Redezeit und das Recht, als erste nach den Vertretern der Staatsregierung zu sprechen. Bei der Besetzung der Vorsitzenden in den wichtigen Landtagsausschüssen (bislang gibt es 17) darf die AfD nun an dritter Stelle auswählen. Wenn das Parlament in die Sommer- und Weihnachtspause geht, hätte neben Staatsregierung und Landtagspräsidentin ein Mitglied der AfD das letzte Wort. Weihnachtswünsche von Ebner-Steiner, die der Regierung schon mal unterstellt, sie betreibe einen Bevölkerungsaustausch?
Mit einer Änderung der Geschäftsordnung wäre so ein Auftritt wohl zu verhindern. Bleibt die Frage, ob die anderen Parteien die AfD wie in den vergangenen fünf Jahren nach Kräften ausbremsen wollen. Beispiel Landtagsvizepräsident: Auf diesem prestigeträchtigen Posten wollten die anderen Parteien keinen Rechtspopulisten sehen. Bleibt es bei dieser Haltung, "dann wird es lustig", droht Singer. "Wir werden wesentlich härter austeilen, wenn man uns unsere Rechte weiter verwehrt." Er könne ja verstehen, dass man einzelne AfD-Abgeordnete aus Gewissensgründen für die eine oder andere Position ablehne, so Singer. Aber: "Das Gewissen kann nicht die ganze AfD ablehnen."
Söder will gegen die AfD weiter klare Kante zeigen
Kann es sehr wohl, sagte die Grünen-Spitzenkandidatin Katharina Schulze. Sie persönlich werde nie für einen Vertreter der unter Rechtsextremismus-Verdacht stehenden Partei stimmen. Für den bayerischen SPD-Chef Florian von Brunn ist wichtig, wie mit dem stark gestiegenen Zuspruch für rechtspopulistische und rechtsextreme Positionen umgegangen wird. "Ich glaube, das ist eine hohe Verantwortung für die demokratische Mitte, dass wir da etwas entgegensetzen."
Nur was?
Freie-Wähler-Chef Hubert Aiwanger plädierte am Montag dafür, sich um die Themen der AfD zu kümmern. Er nannte Migration und Bürokratie-Abbau. Das deckt sich mit Ankündigungen von CSU-Chef Markus Söder kurz vor der Wahl. Gegen die AfD selbst will Söder aber weiter klare Kante zeigen, wie er am Montag betonte.
Erst vergangene Woche war sein Innenminister Joachim Herrmann mit AfD-Spitzenfrau Ebner-Steiner aneinandergeraten. Diese hatte behauptet, die Polizei ignoriere Bitten um einen besseren Schutz von Wahlveranstaltungen und hatte den Innenminister verantwortlich gemacht. "Frei erfunden und gelogen" sei das, keilte Herrmann zurück. Die AfD wolle sich wieder einmal in die Rolle des Opfers bringen.
Die Opfer-Masche der AfD zieht offenbar bei den Wählerinnen und Wählern
Das wirkt bei Wählern wie Robert Messerschmid aus Günzburg. Einer der Hauptgründe für seine Wahlentscheidung sei, "wie die Partei fertiggemacht wird, von allen anderen Parteien. Klar, da sind ein paar Rechtsradikale darunter, aber deshalb darf man nicht die ganze Partei verurteilen." Er wähle die AfD, sagt Messerschmid, "um die anderen Parteien zu zwingen, dass sie ihren Kurs ändern". Bei der Energiepolitik etwa, wo die Ampel den Bürgern mit dem Heizungsgesetz "von heute auf morgen Angst eingejagt" habe, oder bei der Migrationsstrategie. "Das sind einfach viel zu viele Flüchtlinge."
Gefragt nach dem großen Erfolg der AfD in manchen Teilen Schwabens, sind viele Polit-Vertreter ziemlich ratlos. Der Günzburger Oberbürgermeister Gerhard Jauernig, Mitglied der schwer angeschlagenen SPD, hat zumindest eine Vermutung: "Die AfD hat es offenbar geschafft, zu Themen, die von den Menschen als solche wahrgenommen werden, einfache Botschaften zu vermitteln, ohne auch nur einen einzigen Lösungsansatz anzubieten." Auf die Flüchtlingsbewegung angesprochen und darauf, dass die AfD bereits seit Längerem fordere, nicht anerkannte Asylbewerber konsequent abzuschieben, sagt Jauernig: Er stimme in manchem überein. "Das Ziel nennen sie, aber nicht, wie sie es machen wollen."
Im Stimmkreis Günzburg ist Gerd Mannes als Landtagskandidat für die AfD angetreten. Er holte 24,4 Prozent – das beste Erststimmenergebnis eines AfD-Kandidaten in ganz Bayern. "Mannes macht gute Arbeit", sagt Messerschmid, der Handwerker in Rente. Beim Bäcker in Leipheim kennen sie den 54-jährigen Mannes gar nicht. "Der kauft hier nicht sein Brot", sagt einer, der jeden Vormittag herkommt. Ein anderer Stammgast äußert seine Enttäuschung über CSU-Chef Markus Söder. Der habe ja in den vergangenen Jahren selbst fast schon grüne Thesen vertreten, sagt er. Und die Grünen sind für ihn das Schlimmste überhaupt. Die AfD lehnt er zwar auch ab, "aber lieber noch die als die Grünen". Er selbst ist sich treu geblieben: "Ich war immer ein Schwarzer und ich bleibe es auch."
36,1 Prozent hat die CSU im Stimmkreis Günzburg geholt, etwas weniger als im schwäbischen Schnitt. Direktkandidatin Jenny Schack zieht mit einem ähnlichen Ergebnis (35,6 Prozent) zum ersten Mal in den Landtag ein – der Beginn einer neuen Ära nach dem Rückzug des CSU-Alphatiers Alfred Sauter, der nach seinen Verstrickungen in der Maskenaffäre aus dem Landtag ausscheidet. Wie viel die Affäre Sauter zum Stimmenverlust der CSU in Schwaben beiträgt? "Nach Sauter hat es jeder schwer", sagt ein Wähler in dessen Heimatort Ichenhausen – vor allem eine neue Kandidatin wie Jenny Schack mit vergleichsweise "wenig Profil". Auf die Wahlentscheidung hat sich die Maskenaffäre seiner Einschätzung nach nicht besonders stark ausgewirkt: "Ich glaube, das ist für die Leute gegessen."