
Roland Weigert fühlt sich gründlich missverstanden. Ausgerechnet er ein CSU-Schreck? "Aber ich habe doch nie einen Kampf gegen die CSU geführt", ruft der Mann, der vor einer Woche den einst übermächtigen Schwarzen den früheren Stimmkreis des Ministerpräsidenten Horst Seehofer entriss. Neuburg-Schrobenhausen ist seit der Landtagswahl einer von zwei bayerischen Stimmkreisen, die in den Übersichtskarten orange statt schwarz gefärbt sind.
Neben Parteichef Hubert Aiwanger hat der 55-jährige Weigert im tiefsten CSU-Stammland das zweite Direktmandat für die Freien Wähler errungen und sagt jetzt, dass ihm die Niederlage seines Konkurrenten "ein bisschen weh tut". Darin unterscheidet sich der Oberbayer Weigert von Parteichef Aiwanger, zu dem ihm ein distanziertes Verhältnis nachgesagt wird. Während Aiwanger gerne auf Konfrontation mit der CSU geht, betont Weigert die Gemeinsamkeiten. Was den derzeitigen Staatssekretär im Wirtschaftsministerium aber nicht daran hindert, sein frisch erworbenes Direktmandat als Argument für eine weitere Kabinettsverwendung einzusetzen. Er möchte Minister werden.
Was unterscheidet den Freie-Wähler-Abgeordneten Roland Weigert von Parteichef Hubert Aiwanger?
Neuburg an der Donau, Kreisstadt mit etwas mehr als 30.000 Einwohnern, ist vorwiegend bekannt für seine prächtige Obere Stadt. Das Leben aber spielt sich mehr in der Unteren Stadt ab mit ihren Geschäften, Lokalen und Cafés. Im Café Göbel sitzen wie vor 20 Jahren die Honoratioren zusammen und reden über Gott und die Welt. Das Leben hat es nicht schlecht gemeint mit der Region. Die Arbeitslosenquote ist mit 2,5 Prozent sogar für bayerische Verhältnisse niedrig, die Einkommen sind gestiegen, die politische Hackordnung aber hat sich grundlegend geändert. Im ganzen Freistaat, in dem kleinen oberbayerischen Landkreis mit seinen insgesamt 100.000 Menschen vielleicht noch ein wenig mehr.
Abgeordnete, Landräte: Die Gegend war seit dem Krieg immer CSU-Land. In den 1990er-Jahren sprangen die Christsozialen bei Wahlen häufig über die 60-Prozent-Hürde. 2003 waren es sogar mehr als 70 Prozent. Am Sonntag landete ihr Direktkandidat noch bei 30,1 Prozent. Was ist passiert, dass aus der einstigen Übermacht ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit den Freien Wählern wurde?
Mit Edmund Stoibers Zwei-Drittel-Triumph begann der Abstieg der stolzen CSU
Da sind einmal die üblichen Erklärungen: Asyl-Krise, Merkel-Jahre, Aufstieg der AfD und am Ende die Flugblatt-Affäre, die den Freien Wählern den entscheidenden Schub gegeben haben könnte. Der Abstieg aber begann schon früher, davon ist Matthias Enghuber überzeugt. Der 39-Jährige, 2018 erstmals in den Landtag gewählt, ist schon lange dabei: Junge Union, kommunale Mandate, Referent bei Seehofer.
In Enghubers Augen begann es bergab zu gehen, als die CSU ganz oben war und 2003 unter Edmund Stoiber eine Zwei-Drittel-Mehrheit in Bayern holte. "Der Stoiber-Triumph hat uns nicht gutgetan." Radikaler Sparkurs, einsame Entscheidungen, Proteste, Parteiaustritte. Am Ende wurde Stoiber von den eigenen Leuten abgesägt, aber es nutzte nichts mehr, sagt Enghuber. "Wir haben zu viele Leute gegen uns aufgebracht, galten auf einmal als arrogant." Der spöttische Spruch "Augen zu – CSU": Das war einmal.
Ludwig Bayer aus Stepperg kann sich noch gut daran erinnern, wie das damals war. Bayer war als Kreisvorsitzender des Bauernverbandes lange ein Exot, weil er eben nicht in der CSU war. Bayer bekam mit den eigenen Leuten Ärger und musste seine Ämter ruhen lassen, "weil ich angeblich in der falschen Partei war". Bei Vorstandssitzungen wollte niemand mehr neben dem Außenseiter von den Freien Wählern sitzen. "Das muss man sich mal vorstellen."
Roland Weigert wechselte 2008 noch von der CSU zu den Freien Wählern
Auch Roland Weigert war mehr als 20 Jahre bei der "richtigen" Partei, schon in der CSU-Nachwuchsorganisation war er als rhetorisch begabter Bursche aufgefallen. Doch als es 2008 um die Nachfolge des scheidenden Landrats Richard Keßler ging, setzte die CSU auf jemand anderen und Weigert wechselte zu den Freien Wählern. Der heute 55-Jährige gewann mit seiner volksnahen Art die Landratswahl und war damit in einer Schlüsselposition. Denn einen eigenen Abgeordneten hatte der kleine Landkreis damals nicht mehr. Den gab es erst wieder mit Horst Seehofer, den die Christsozialen als "Retter" zurück aus Berlin holten und der den wieder geschaffenen Stimmkreis bekam.
Doch Seehofer ist in Rente und seitdem ist das Rennen offen. Der CSU gehe es so wie früher der SPD, sagt Wahlsieger Weigert. Den Christsozialen sei im eigenen Lager in den FW Konkurrenz erwachsen und die Bindungen seien nicht mehr so stark wie früher. "Die Menschen sind freier geworden", und das bringe für die politischen Parteien ein Stück Unsicherheit mit sich. "Das System insgesamt ändert sich."
914 Stimmen gaben bei Landtagswahl den Ausschlag für Roland Weigert
Stichwort AfD: Die Rechtspopulisten haben sich mit einer weitgehend unbekannten Kandidatin auf Platz drei etabliert und sind mit 17,3 Prozent der Gesamtstimmen noch einmal besser als im Landesergebnis. "Das ist etwas, was mich verrückt macht, weil ich es nicht verstehe", sagt der unterlegene CSU-Kandidat Enghuber. Er will in der Politik bleiben, glaubt, dass seine Partei mehr ihre Erfolge rüberbringen müsse. Ob es hilft, da ist er sich jedoch nicht sicher. "Vielleicht ist es den Leuten auch wurscht. Dann kann auch sein."
Trost kommt ausgerechnet vom Wahlsieger Weigert, dem am Ende die Kleinigkeit von 914 Stimmen zum Direktmandat reichte, nachdem er 2018 noch das Nachsehen hatte. Bis zum Schluss sei er überzeugt gewesen, dass CSU-Mann Enghuber wieder das Rennen machen werde. Dieser habe als Vertreter der ewigen Regierungspartei CSU am Ende mehr den Verdruss der Menschen abbekommen. Weigert: "Der Matthias hat einfach Pech gehabt."