Die Chancen stehen gut, dass an diesem Dienstag erneut ein schwäbischer Politiker zum Vorsitzenden der CSU-Fraktion im Landtag gewählt wird. Der bisherige Gesundheitsminister Klaus Holetschek (Memmingen) ist, wie es in München heißt, der Wunschkandidat von Ministerpräsident Markus Söder. Er soll Thomas Kreuzer (Kempten) nachfolgen, der das Amt die vergangenen zehn Jahre ausgeübt hatte und jetzt zur Landtagswahl nicht mehr angetreten war.
Neuer CSU-Fraktionschef Klaus Holetschek? Das macht ein Fraktionschef
Es ist die erste und vielleicht sogar spannendste Personalentscheidung, die in der CSU nach der Wahl ansteht. Kaum ein Amt unterhalb des Ministerpräsidenten ist – zumindest in der Theorie – mit einer derart großen Machtfülle ausgestattet wie das Amt des Fraktionsvorsitzenden der größten Regierungsfraktion. Der Chef der CSU-Abgeordneten ist, anders als die Minister und Staatssekretäre, nicht in die Kabinettsdisziplin eingebunden. Er kann sich, wenn er es für nötig hält, gegen Kabinettsbeschlüsse stellen und im Ernstfall auch mal dem Ministerpräsidenten widersprechen. Er kann sich in jedes Fachressort einmischen, kann die Arbeit der Ministerien kontrollieren und hat bei allen Gesetzesvorhaben ein gewichtiges Wort mitzureden. Er organisiert die Arbeit der CSU-Abgeordneten, ist Herr über die Tagesordnung der Fraktionssitzungen und in jeder Hinsicht frei, eigene politische Akzente zu setzen. Wie gesagt – zumindest in der Theorie.
Gleichzeitig ist es in der Praxis für die Regierungsarbeit unerlässlich, dass der Fraktionsvorsitzende das Vertrauen des Ministerpräsidenten genießt. Die Regierungsfraktionen sind die Machtbasis einer jeden Regierung. Ihre Chefs müssen sicherstellen, dass die Reihen geschlossen bleiben und die Regierungspolitik im Landtag jederzeit eine Mehrheit findet.
Kreuzer, Herrmann, Glück – jeder CSU-Fraktionschef füllt die Rolle anders aus
Wie ein Fraktionschef oder eine Fraktionschefin diese Rolle ausfüllt, hängt von der Persönlichkeit ebenso ab wie von der konkreten politischen Situation. Das zeigt ein Blick in die Vergangenheit. Als die CSU noch mit absoluter Mehrheit regierte, konnten Fraktionschefs wie der spätere Landtagspräsident Alois Glück oder Innenminister Joachim Herrmann mit Ideen vorpreschen, Themen setzen oder den Regierungschef – damals war das Edmund Stoiber – in die Schranken weisen.
Ein Zerwürfnis mit der Fraktion kann, wie im Jahr 2007 bei Stoiber, sogar zum Rücktritt des Ministerpräsidenten führen. Es kann freilich auch genau andersrum laufen. 2013 setzte Ministerpräsident Horst Seehofer CSU-Fraktionschef Georg Schmid (Donauwörth) mit Billigung der Fraktion vor die Tür, nachdem im Zuge der Verwandtenaffäre bekannt geworden war, dass Schmid seine Frau viele Jahre als Mitarbeiterin beschäftigt hatte. Auf Schmid folgte übergangsweise die frühere Sozialministerin Christa Stewens aus Oberbayern. Bald darauf wurde Thomas Kreuzer zum Fraktionschef gewählt. Er übte das Amt weitgehend geräuschlos aus und genoss das Vertrauen von Seehofer und seit 2018 auch von Söder. Jetzt gilt Holetschek als Topfavorit. Söder will ihn, die Fraktion will ihn angeblich auch.
Klaus Holetschek war im Bundestag und Bürgermeister – wurde aber kein Landrat
Der gebürtige Niederbayer, der in Bad Wörishofen aufgewachsen ist, hat eine wechselvolle Karriere hinter sich. Er war Stadtrat in Bad Wörishofen, Mitglied im Kreistag im Unterallgäu und zog bereits 1998 im Alter von 34 Jahren über die CSU-Landesliste für vier Jahre in den Bundestag ein. Von 2002 bis 2013 war er Bürgermeister von Bad Wörishofen, musste aber, als er 2006 für das Amt des Landrats im Unterallgäu kandidierte, eine schmerzliche Niederlage einstecken. Diese Erfahrung wirkt bis heute nach. Schon als Holetschek im Jahr 2013 als Abgeordneter für den Stimmkreis Memmingen in den Landtag gewählt worden war, sagte er im Gespräch mit unserer Redaktion: „Ich mache mir keine Illusionen. Ich weiß, wie eng Aufstieg und Fall in der Politik beieinanderliegen.“
Im Landtag ordnete sich Holetschek in die Hierarchie der CSU-Fraktion ein und arbeitete mit, ohne Ansprüche auf irgendwelche Posten zu stellen. Wenige Jahre später aber kamen die Posten zu ihm. Er wurde Bürgerbeauftragter der Staatsregierung, Vorsitzender des Landesgesundheitsrats, Staatssekretär erst im Bau-, dann im Gesundheitsministerium und schließlich – mitten in der Corona-Pandemie – Gesundheitsminister. Als solcher überzeugte er mit pragmatischer Arbeit, Fachwissen und bundesweiter Präsenz. Mittlerweile ist er auch Bezirksvorsitzender der CSU in Schwaben.
Albert Füracker, Florian Herrmann oder Klaus Holetschek: Die Kandidaten für den CSU-Fraktionschef
Dass Holetschek an diesem Dienstag zum CSU-Fraktionschef gewählt wird, ist sehr wahrscheinlich, aber nicht sicher. Im Vorfeld wurden auch andere mögliche Kandidaten genannt wie Finanzminister Albert Füracker, Staatskanzleiminister Florian Herrmann oder der Parlamentarische Geschäftsführer Tobias Reiß.
Wer auch immer es wird, steht vor einer schwierigen Aufgabe. Die Fraktion, die sich traditionell als „Herzkammer der CSU“ versteht, erlebt schon seit der ersten Koalitionsregierung unter Seehofer (2008 bis 2013) einen Bedeutungsverlust. Altgediente Abgeordnete beklagen schon länger, dass die CSU-Politik unter Seehofer und Söder zu einer „Ein-Mann-Show“ geworden ist.
Gleichzeitig wird nach dieser Wahl der Ministerpräsident im aufziehenden Konkurrenzkampf mit den immer selbstbewusster auftretenden Freien Wählern die Unterstützung der Fraktion vermutlich mehr brauchen als zuletzt – und einen Fraktionschef, der die Spannungen, die sich daraus ergeben können, aushalten kann.