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München
Die Wohnungsnot hat sich schon vor 50 Jahren angekündigt
Vor mehr als 50 Jahren versuchte München vergeblich, die Misere durch eine Regulierung der Baulandpreise zu mindern. Die Versäumnisse der Politik wirken bis heute nach.
Münchner Frauenkirche.jpeg       -  Die Türme der Frauenkirche (l-r), ragen über die Dächer in der Innenstadt.
Foto: Peter Kneffel, dpa (Archivbild) | Die Türme der Frauenkirche (l-r), ragen über die Dächer in der Innenstadt.
Uli Bachmeier
 |  aktualisiert: 11.03.2024 10:27 Uhr

Es war eine der menschlich wie politisch beeindruckendsten Geschichten der jüngeren Zeit: Anfang des Jahres 2019 meldete sich der 93-jährige SPD-Politiker Hans-Jochen Vogel, schon damals schwer von der Parkinson-Krankheit gezeichnet, aus dem Münchner Wohnstift „Augustinum“ mit altbekannter Strenge zu Wort. Er war längst im Ruhestand und saß schon seit einiger Zeit im Rollstuhl, aber er wollte, den Tod vor Augen, noch etwas erledigen, was er in seiner aktiven Zeit als Münchner Oberbürgermeister, Bundesminister und SPD-Vorsitzender nicht geschafft hatte – einen Ausweg aus der Wohnungsmisere aufzeigen.

Vogel lud Journalisten ins Wohnstift ein, verfasste eine Streitschrift und empfing Abgeordnete aus dem Bundestag. Sein Credo lautete: „Wir brauchen eine neue Bodenordnung – nur dann wird Wohnen wieder bezahlbar.“ Doch der leidenschaftliche Appell des allseits respektierten alten Mannes verhallte ungehört. Im Juli 2020 starb Vogel.

Der Wohnungsmarkt in München ist ein heiß umkämpftes Feld

Auf dem Wohnungsmarkt ist seither nichts besser geworden. Im Gegenteil. Der Mangel an bezahlbarem Wohnraum gilt längst als die entscheidende soziale Frage unserer Zeit. Wäre es schon früher nach Vogel gegangen, hätte es nicht so weit kommen müssen. 

Seine Idee, das Problem über eine Regulierung der Baulandpreise zu lösen, stand von Anfang an unter Sozialismus-Verdacht. Er wies dies vehement zurück und präsentierte schon Anfang der 70er-Jahre als Münchner Oberbürgermeister einen unverdächtigen Zeugen. Der Jesuit, Nationalökonom und Sozialphilosoph Oswald von Nell-Breuning, der als „Nestor der katholischen Soziallehre“ gilt, hatte den Forderungen des Münchner Stadtrats an die Bundesregierung ausdrücklich seinen Segen gegeben. Durch die Ausweitung des gemeindlichen Vorkaufsrechts, die Einführung eines Baugebots, die Abschöpfung der Planungsgewinne und die Einführung einer Bodengewinnsteuer sollte Bauland erschwinglich gehalten, dem Gemeinwohl nutzbar gemacht und die Spekulation eingedämmt werden. Der Grundgedanke war denkbar einfach: Boden ist keine Ware. Er ist nicht beliebig vermehrbar und er ist unverzichtbar. Seine Nutzung muss der Allgemeinheit dienen.

Wer heute sehen will, dass solche oder ähnliche Konzepte in der Praxis funktionieren können, der muss nur nach Wien fahren. Die österreichische Metropole gilt als Musterstadt des sozialen Wohnungsbaus. Rund 60 Prozent der 1,9 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner leben in Wohnungen, die mit Wohnbauförderung errichtet oder saniert wurden. Die Mieten sind erschwinglich. Die Wohnungssuche ist im Vergleich zu München, Nürnberg oder Augsburg ein Spaziergang. Und das System refinanziert sich seit vielen Jahrzehnten selbst und ermöglicht sogar neue Investitionen in neue Bauprojekte – nur halt ohne hohe Renditen für Spekulanten und Finanzinvestoren.

Kontinuität ist entscheidend für eine gute Wohnungsbaupolitik

Es gibt im Detail eine ganze Reihe von Unterschieden zwischen dem Wiener Modell und Vogels Konzept. Doch darauf kommt es nach Einschätzung von Fachleuten nicht so sehr an. Entscheidend ist vor allem ein Faktor: die Kontinuität in einer Wohnungsbaupolitik, die die wirklich Bedürftigen im Blick hat – junge Familien, Studienanfänger und -anfängerinnen, Berufseinsteiger und seit einigen Jahren auch Geflüchtete. Daran hapert es in Bayern und Deutschland gewaltig.

Die Ursachen für die aktuelle Wohnungsmisere und die horrenden Mieten in den Ballungszentren liegen zum Teil Jahrzehnte zurück. Nach dem Zweiten Weltkrieg, als die Wohnungsnot in den ausgebombten Städten am größten war, wurde notgedrungen fleißig gebaut. Ein Instrument, um auch jenen Menschen Wohnraum anbieten zu können, die weniger Geld hatten, gab es bereits seit der Kaiserzeit. Die Wohnungsgemeinnützigkeit, die Unternehmen dauerhafte Steuerbefreiungen gewährte, wenn sie preisgünstigen Wohnraum zur Verfügung stellen, trug in den 50er und 60er Jahren dazu bei, breite Bevölkerungsschichten mit Wohnungen zu versorgen. Ein weiteres Instrument war der soziale Wohnungsbau, bei dem der Staat Bauprojekte privater Unternehmen mit Darlehen oder Zuschüssen fördert und im Gegenzug eine zeitlich befristete Sozialbindung festschreibt.

In München freilich reichte das schon Ende der 60er Jahre nicht mehr aus, um dem Mangel Herr zu werden. Da trat Vogel mit seiner Idee einer sozialen Bodenpolitik erstmals auf den Plan. Er wollte den Kommunen weitreichende Vorkaufsrechte für Grundstücke einräumen, um sie dem Zugriff von Spekulanten zu entziehen und den Städten und Gemeinden mehr Spielräume bei der Nutzung ihrer Flächen zu geben. Er plädierte für ein Baugebot, damit baureife Grundstücke nicht ungenutzt brach liegen. Er wollte die Planungsgewinne abschöpfen, die Grundeigentümern durch die Erschließung von Flächen zufließen, ohne dass sie dafür etwas tun müssen. Und er forderte eine Bodengewinnsteuer. Keinem Grundeigentümer sollte sein Eigentum genommen werden, aber „leistungslose Bodengewinne“ – allein bedingt durch rasant steigende Preise – sollte es nicht mehr geben.

Vogel scheiterte als Oberbürgermeister und wenig später auch als Bundesbauminister. Er hatte damals, in Bonn im Jahr 1973, sogar die CSU auf seiner Seite. CDU und FDP zeigten sich reservierter, waren aber zunächst auch bereit, in erstaunlich vielen Punkten mitzugehen. Die umfassende Reform des Bodenrechts scheiterte dann aber doch am Widerstand der FDP.

Die Sozialwohnungen in Bayern wurden immer weniger

Ein Wendepunkt zum Schlechteren in der Wohnungsbaupolitik war dann Ende der 80er Jahre die Abschaffung der Wohnungsgemeinnützigkeit. Das System war durch den Skandal um die gewerkschaftseigene Wohnungsbaugesellschaft „Neue Heimat“ in Verruf geraten. Vorstandsmitglieder hatten sich persönlich bereichert. Das Vertrauen in die Gemeinnützigkeit war dahin. Ein Ersatz für das System, das den Schwächsten in der Gesellschaft helfen sollte, wurde nie geschaffen.

Der Mangel blieb und wurde in Schüben immer größer – auch weil für den sozialen Wohnungsbau phasenweise immer weniger Geld zur Verfügung stand. Bis zum Ende des 20. Jahrhunderts verringerte sich die Anzahl der Sozialwohnungen drastisch. Im Jahr 1987 gab es in Deutschland noch 3,9 Millionen, Ende 2001 waren es nur noch rund 1,8 Millionen Wohnungen. Zwischendurch ging es zwar wieder nach oben. Im Jahr 2006 waren es wieder knapp 2,1 Millionen Wohnungen. Bis zum Jahr 2020 aber kam es zu einem erneuten Rückgang auf etwas mehr als 1,1 Millionen. Ähnlich unstet ging es auch bei der Förderung privaten Wohneigentums zu. Es gab immer wieder steuerliche Vergünstigungen und Abschreibungsmöglichkeiten und von 1995 bis 2005 auch die teure und umstrittene Eigenheimzulage des Bundes. Eine Kontinuität in der Wohnbauförderung aber gab es nicht – weder vom Bund noch vom Freistaat Bayern.

Besonders fatal wirkten zwei Umstände nach der Jahrtausendwende. Statistiker sagten einen weitgehenden Stopp des Bevölkerungswachstums in der Metropolregion München voraus – in der Folge wurde auch die Wohnraumförderung zurückgefahren, obwohl in der Realität die Zuwanderung in den attraktiven bayerischen Arbeitsmarkt stieg. Und als Konsequenz aus der Finanzkrise 2008 explodierten die Preise für Immobilien, weil Investoren dem „Betongold“ hinterherjagten. Dazu kam ein ärgerlicher Spezialfall in Bayern. Um die Pleite der Bayerischen Landesbank zu bewältigen, trennte sich der Freistaat im Jahr 2013 von rund 32.000 staatseigenen Wohnungen, die danach schrittweise dem preisgünstigen Segment verloren gingen. Die Leidtragenden waren erneut die sozial Schwächsten. Noch einmal verschärft wurden die Folgen einer verfehlten Wohnungsbaupolitik durch die vielen Geflüchteten, die seit 2015/16 und dann nach Beginn des russischen Kriegs in der Ukraine ins Land kamen.

Mit den aktuell gestiegenen Zinsen, mit Lieferkettenproblemen, Fachkräftemangel und Inflation lässt sich die Misere auf dem Wohnungsmarkt also nicht erklären. Die Versäumnisse liegen viele Jahre, zum Teil Jahrzehnte zurück. In München zeigt sich das, wie Hans-Jochen Vogel kurz vor seinem Tod vorrechnete, besonders krass. Der Anteil der Baulandpreise an den Neubaukosten lag dort im Jahr 2019 bei 80 Prozent. Und im Vergleich zu 1950 sind die Baulandpreise in der Landeshauptstadt um sagenhafte 39.390 Prozent gestiegen. Er sei erstaunt, so hielt Vogel in seiner Streitschrift fest, dass diese Zahlen „so gut wie keine öffentlichen Protestbewegungen und bisher auch keinen Medienaufruhr verursacht haben.“

 
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