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München
Atomausstieg ins Nirgendwo: Die Energie-Fehler der Staatsregierung
Die CSU täuscht mit ihrem Faible für Atomkraft darüber hinweg, dass sie den Ausstieg einst selbst vorangetrieben hat. Das Energieproblem Bayerns könnte viel kleiner sein.
Söder vor Atomkraftwerk.jpeg       -  Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) protestierte im Frühjahr 2023 stark gegen die Abschaltung der letzten deutschen AKW, hier vor Isar 2.
Foto: Peter Kneffel, dpa (Archivbild) | Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) protestierte im Frühjahr 2023 stark gegen die Abschaltung der letzten deutschen AKW, hier vor Isar 2.
Uli Bachmeier
 |  aktualisiert: 11.03.2024 10:35 Uhr

Weiß und blau strahlte der Himmel über Kloster Andechs am 21. Mai 2011. Der Frühling zeigte sich von seiner schönsten Seite. Aber im CSU-Parteivorstand, der sich hinter den dicken Klostermauern zu einer Klausur zusammengefunden hatte, herrschte eine recht ungemütliche Stimmung. Eine Katastrophe hatte rund zwei Monate zuvor die Welt erschüttert. Erstmals war es in einem westlichen Industrieland zu einem atomaren Super-GAU gekommen.

Im japanischen Fukushima hatte sich nach der ersten Reaktorkatastrophe in Tschernobyl 1986 der zweite „größte anzunehmende Unfall“ in der Geschichte der friedlichen Nutzung der Kernkraft ereignet. Was nie geschehen sollte, war passiert. Und die einstige „Atompartei“ CSU stand vor einer der schwierigsten Entscheidungen ihrer Geschichte. Die öffentliche Meinung war damals in Deutschland eindeutig: „Atomkraft? – Nein danke!“ Für Bayerns Ministerpräsident, CSU-Chef Horst Seehofer, stand deshalb fest, dass am Atomausstieg kein Weg vorbeiführt. Auch Bundeskanzlerin und CDU-Chefin Angela Merkel war davon überzeugt. Im CSU-Vorstand allerdings gab es Zweifler. 

Sieben Stunden lang dauerte die Sitzung. Zentrales Thema: Der Vorschlag Seehofers und seines Umweltministers Markus Söder, bis Ende des Jahres 2022 alle Meiler in Deutschland vom Netz zu nehmen und abzubauen, also auch die fünf bayerischen Atomreaktoren – zwei im schwäbischen Gundremmingen, zwei an der Isar bei Landshut und einen im unterfränkischen Grafenrheinfeld. Die Einwände, die damals von Seehofers Widersachern formuliert wurden, waren zum Teil allgemeiner Natur: Der Schock über Fukushima werde wieder in Vergessenheit geraten. Die Union werde diese Phase überstehen. Und dann könne man weitermachen wie bisher. 

Seehofer setzte den Atomausstieg 2011 in den eigenen Reihen durch

Es gab aber auch Einwände, die speziell die Situation in Bayern betrafen. Kein anderes Bundesland habe wirtschaftlich so von der Atomkraft profitiert wie Bayern. In keinem anderen Bundesland hänge die Industrie so sehr von der Versorgung mit günstigem Strom ab wie hier. Seehofer hatte einige Mühe, die Zweifler zu überzeugen. Als er danach zu den Journalisten kam, zeigte er sich bester Laune: „Ich habe Euch doch gestern gesagt, wie das ausgeht. Es war eine muntere, sehr an der Sache orientierte Diskussion in der Partei.“ 

Die eigentliche Sache, die Energiewende, freilich erwies sich als höchst kompliziert. Das erste Konzept sah – kurz gefasst – so aus: Parallel zur schrittweisen Abschaltung der Meiler werden in Bayern erneuerbare Energien massiv ausgebaut. Es werden große Stromtrassen errichtet, die Windstrom von Nord nach Süd und Sonnenstrom von Süd nach Nord transportieren können. Es gab auch ein starkes Bekenntnis zur Windkraft an Land – der damalige Umweltminister Söder war geradezu euphorisch. Er wollte mal 1500 neue Windräder. Und als Reserve im Hintergrund sollte es fünf neue, hochmoderne Gaskraftwerke geben, die den großen Vorteil hätten, dass man sie bei Bedarf schnell hoch- oder runterfahren könne, um so Stromlücken zu schließen, wenn es mal nicht genug Sonne oder Wind gebe. 

Die Gaskraftwerke waren zu teuer, die Windkraft bremste die CSU mit 10H aus

Heute weiß man, dass es anders gekommen ist. Sehr schnell erwies es sich als Trugschluss, auf neue Gaskraftwerke zu setzen – der Strom, der dort produziert wird, so hieß es, sei viel zu teuer. Der damalige Wirtschaftsminister Martin Zeil (FDP) hatte sogar zu kämpfen, das bereits bestehende hochmoderne Gaskraftwerk in Irsching, einem Ortsteil von Vohburg an der Donau, am Netz zu halten. An Neubauten war zunächst nicht zu denken. Erst im Jahr 2018 gab es den Zuschlag für eine Erweiterung der Anlagen.

Ein große Dynamik dagegen gab es zunächst beim Ausbau der Windkraft an Land. Die Zahl der Genehmigungen für Windräder schnellte in Bayern von 113 im Jahr 2011 auf 244 im Jahr 2014 hoch. Damit aber war der Höhepunkt auch schon erreicht. Immer öfter formierte sich vor Ort Widerstand. Das Schlagwort von der „Verspargelung der Landschaft“ machte die Runde. Und die CSU, die seit 2013 wieder alleine regierte, machte dem Windkraftausbau in Bayern mit der heftig umstrittenen 10H-Regelung endgültig den Garaus.

Es fanden sich kaum mehr Standorte für Anlagen, die zehnmal weiter von Bebauung entfernt sind, als sie hoch sind. Das Argument der CSU, es könnten doch immer noch Windräder gebaut werden, wenn in der Gemeinde Einigkeit herrsche, erwies sich als nicht realistisch. Überall gab's plötzlich Windkraftgegner. Bis zum Jahr 2017 sank die Zahl der Baugenehmigungen auf unter zehn pro Jahr. Erst jetzt, nach der Entschärfung der 10H-Regel durch Söder und einem vielerorts spürbaren Gesinnungswandel in der Bevölkerung, ändert sich das langsam wieder. Derzeit liegen 44 Genehmigungsanträge vor, vier Windräder wurden im ersten Halbjahr 2023 genehmigt. 

Weil Trassen fehlen, können die Bayern bald mehr für Strom bezahlen müssen als die Norddeutschen

Dass sich die Energiewende in Bayern erheblich verzögerte und mittlerweile die für den Freistaat höchst ärgerliche Debatte um unterschiedliche Strompreiszonen wieder hochkocht, hängt noch mit einem weiteren Umstand zusammen. So wie gegen die „Verspargelung der Landschaft“ formierte sich im Jahr 2014 auch gegen die großen Trassen breiter Widerstand. Sie wurden als „Monstertrassen“ bekämpft. Der aktuelle bayerische Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler), damals noch in der Opposition, demonstrierte eifrig mit. Ministerpräsident Seehofer zeigte so viel Verständnis für die Trassengegner, dass er als „oberster Wutbürger im Freistaat“ gelten durfte.

Er schlug vor, die Leitungen auf weite Strecken unter die Erde zu verlegen. Das erwies sich als weitaus schwieriger als gedacht. Wären die Trassen, wie ursprünglich geplant, schon weitgehend fertiggestellt, müssten die Bürgerinnen und Bürger im Süden Deutschlands heute keine Sorge haben, mehr für den Strom bezahlen zu müssen als im Norden. Und was beim Netzausbau im Großen nicht funktionierte, klappte auch im Kleinen nicht. Dass heute kleine wie große Stromerzeuger ihren Strom stundenweise nicht verkaufen können und ihre Anlagen abregeln müssen, liegt oft nur daran, dass die Netze vor Ort nicht aufnahmefähig genug sind.

Nur sehr langsam setzte ein Umdenken ein, das durch den Ukraine-Krieg noch einmal erheblich beschleunigt wurde. Mittlerweile rühmt sich die Staatsregierung damit, dass Bayern bei erneuerbaren Energien Spitze sei – nicht nur bei Sonnenergie, Biomasse, Wasserkraft und bald auch bei der Windkraft an Land. So ganz stimmt das bei näherem Hinsehen zwar nicht, weil da immer mit der installierten Leistung und nicht mit dem tatsächlich erzeugten Strom argumentiert wird. Doch immerhin tut sich wieder was. 

Fest steht allerdings auch, dass wertvolle Jahre verloren gegangen sind und dass noch viel mehr hätte getan werden müssen, weil die Stromlücke, die sich mit dem Atomausstieg aufgetan hat, in Bayern am größten war. Dass das so sein wird, wusste man schon im Jahr 2011.

 
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