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München
Sind die Grünen eine reine Stadt-Partei geworden?
Die schmerzlichsten Verluste bei der Landtagswahl muss die Öko-Partei in den ländlichen Räumen verkraften – im Allgäu und in weiten Teilen Oberbayerns. Einen Ausweg hat sie bislang nicht gefunden.
428857072.jpg       -  Die grünen Spitzenkräfte leben größtenteils in Städten.
Foto: Peter Kneffel, dpa | Die grünen Spitzenkräfte leben größtenteils in Städten.
Uli Bachmeier
 |  aktualisiert: 11.03.2024 10:00 Uhr

Es sind bittere Tage für Thomas Gehring. 15 Jahre lang arbeitete der Grünen-Politiker der ersten Stunde für das Allgäu im Landtag – zuerst als einfacher Abgeordneter, zuletzt als Landtagsvizepräsident. Die Wähler vor Ort haben das honoriert. Gehring holte im Oberallgäu 16,4 Prozent der Erststimmen – für einen Grünen in einer ländlichen Region ein herausragend gutes Ergebnis. Doch es reichte nicht, weil das Gesamtergebnis der Partei bei dieser Landtagswahl zu schlecht ausfiel. Nun muss der 65-Jährige seine Büros auflösen – im Maximilianeum und in Immenstadt. Das Allgäu ist zur grünen Diaspora geworden.

Gescheitert ist auch die Biobäuerin Gisela Sengl aus dem Chiemgau. Bei der Wahl 2018 hatte sie noch 19,6 Prozent Erststimmen geholt. Dieses Mal verzichtete sie darauf, auf dem Wahlzettel als Biobäuerin anzutreten, fiel prompt auf 13,5 Prozent zurück und landete damit auf der Liste der Gewählten weit hinter ihren Kolleginnen und Kollegen aus München und Umgebung. Im gesamten Südosten Oberbayerns, einst grünes Vorzeigegebiet unter dem populären früheren Landeschef Sepp Daxenberger, gibt es jetzt keinen einzigen grünen Landtagsabgeordneten mehr.

In Schwaben gibt es zwei grüne Abgeordnete vom Land

Schon im Wahlkampf hat CSU-Chef Markus Söder die Grünen zur „Stadtpartei“ abgestempelt. Nun sieht es so aus, als wäre das in der neuen Landtagsfraktion Realität geworden. In Schwaben kommen mit Landeschefin Eva Lettenbauer (Kreis Donau-Ries) und Max Deisenhofer (Kreis Günzburg) immerhin noch zwei von vier Abgeordneten aus ländlichen Regionen. Sie sollen sich jetzt auch um das Allgäu kümmern. In Oberbayern aber ist der Unterschied überdeutlich. Nur zwei von 13 Abgeordneten wohnen nicht im Einzugsbereich der Münchner S-Bahn: Gabriele Triebel (Kreis Landsberg am Lech) und Andreas Krahl (Kreis Weilheim-Schongau). Besonders krass zeigt sich das Stadt-Land-Dilemma der Grünen an ihrem schlechtesten und ihrem besten Stimmkreis-Ergebnis: fünf Prozent im Stimmkreis Cham im Bayerischen Wald und 44,1 Prozent in München-Mitte, wo Ludwig Hartmann, der bisherige Co-Fraktionschef im Landtag, Direktkandidat war. 

Die Enttäuschung in der Öko-Partei ist groß, aber die Grünen glauben, ziemlich genau zu wissen, wo die Gründe für die Verluste liegen. „Die Hauptursache war die Bundespolitik“, sagt Gehring. „Entscheidend waren im Allgäu unsere Haltung zu Corona und dann natürlich das Heizungsgesetz. Das war die Katastrophe. Das hat richtig reingehauen.“ Verstärkt durch polarisierende Propaganda und Desinformation von CSU und Freien Wählern habe seine Partei viele Wählerinnen und Wähler wieder verloren, die sie erst bei der vorherigen Wahl im Jahr 2018 neu gewonnen hatte. „Diese Wahl war eine Stimmungswahl“, sagt auch Landeschefin Lettenbauer. „Da ging es nicht um die besten Ideen für Bayern.“ Völlig untergegangen etwa seien die Vorschläge der Grünen, die auf Verbesserungen im ländlichen Raum zielten. CSU und Freie Wähler hätten nur Stimmung gegen die Grünen gemacht, ohne zu sagen, was sie konkret für die Landbevölkerung tun wollen.

Den Vorwurf, eine reine „Stadtpartei“ geworden zu sein, wollen die Grünen nicht auf sich sitzen lassen. Der Münchner Abgeordnete Florian Siekmann sagt: „Wir haben innerhalb der Landtagsfraktion eine recht große Dorfkind-Fraktion.“ Viele der Abgeordneten, die jetzt in Städten leben, seien in ländlichen Regionen geboren und aufgewachsen. Dem Chef der Freien Wähler hält er entgegen: „Es ist nicht so, wie Huber Aiwanger sagt, dass wir alle nur Latte macchiato trinken.“

Schwerer als die Fehleranalyse freilich fällt den Grünen, eine Strategie zu entwickeln, um frischen Schwung zu bekommen. Dass Köpfe fehlen, von denen sich die Landbevölkerung repräsentiert fühlt, räumt die Vorsitzende der grünen Landtagsfraktion, Katharina Schulze, offen ein. „Das wird jetzt harte Arbeit sein, die Lücken zu füllen, die Kollegen wie Thomas Gehring oder Gisela Sengl hinterlassen haben.“ Schulze setzt auf möglichst viel direkten Kontakt zu Bürgerinnen und Bürgern und plant ein Projekt, das momentan noch unter dem Arbeitstitel „Wirtshaustour“ läuft. „Die besten Termine sind für mich die, bei denen man mit den Menschen ins Gespräch kommt“, sagt Schulze. Ihr Plan ist es, möglichst regelmäßig in allen Landkreisen präsent zu sein, um das aus ihrer Sicht falsche Image der Grünen zu korrigieren und Vertrauen zurückzugewinnen.

Hartmann: Energiewende hilft vor allem dem Land

Ihr bisheriger Co-Fraktionschef Ludwig Hartmann, der in das Amt des Landtagsvizepräsidenten gewechselt ist, verfolgt auf andere Art ähnliche Ziele. Er will das überparteiliche Amt nutzen, um die Debatte wieder mehr darauf zu lenken, was man mit politischen Veränderungen gewinnen kann. Hartmann ist überzeugt: „Die Profiteure der Energiewende leben in den ländlichen Räumen – Hausbesitzer, Handwerker, Stadtwerke.“ Darüber müsse wieder mehr und sachlicher geredet werden. 

 
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