Einsam steht das gelbe „X“ der Aktivistengruppe Greenpeace vor dem zukünftigen Gasbohrplatz in Reichling, auf dem aktuell Bauarbeiter Bagger und Laster steuern, um die Fläche für einen Bohrplatz mit Turm vorzubereiten, der an gleicher Stelle 35 Meter in die Luft ragen soll. Nach über 40 Jahren wird genau hier wieder der Boden aufgebohrt und die Betonschicht durchbrochen, mit der das bestehende Loch bereits einmal aufgefüllt worden war. Bis auf 3200 Meter Tiefe wird sich der Kolben in die Erde bohren, in der Hoffnung, ein Gasvorkommen zu finden, das sich in den 80er Jahren wirtschaftlich nicht für eine Förderung rentiert hatte. Ein Szenario, das Klimaaktivisten, lokale Politikerinnen und Politiker und eine Gruppe von Bürgerinnen und Bürgern gerne aufhalten würden.
Hat der lokale Protest die Hoffnung für den Standort Reichling bereits aufgegeben?
Während auf Landesebene darüber diskutiert wird, ob und wie der Freistaat eine Gasbohrung in bayerischen Landkreisen sogar verbieten kann, rückt die erste Erdgasbohrung in Reichling am Lech immer näher. Informationsveranstaltungen gab es bisher in der Gemeinde und umliegenden Orten resultierend aus der Motivation der Gasbohrungsgegner. Zu einem allgemeinen Informationsabend, etwa mit dem Bergamt – auf das sich etwa Wirtschaftsminister Aiwanger beruft – kam es nie. Unter anderem, weil den Bergamtsmitarbeitern die Stimmung zu aufgeheizt sei. So hieß es zumindest in einer E-Mail des Amts an den Bürgermeister Johannes Hintersberger im September: „Unserer Ansicht nach wird mit einer weiteren Veranstaltung nur den lautstarken Gegnern wieder eine Bühne zur Darstellung geboten. Wir haben deshalb nach interner Beratung entschieden, dass von einer Teilnahme eines Vertreters des Bergamts abgesehen wird.“ Frage und Antwort standen nun am Montag bei einem „Dialogabend“ der Firma Genexco Gas zwei Vertreter des Unternehmens.
Rund 100 Menschen aus Reichling, aber auch aus Nachbargemeinden sind zu der Veranstaltung der Betreiberfirma Genexco Gas gekommen. Ganz vorn im Saal: Bürgermeister Johannes Hintersberger, der sich laut eigener Aussage auf Seiten von Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger positioniert. Bislang hielt sich der CSU-Bürgermeister bei dem Thema zurück. Im aktuellen Mitteilungsblatt der Gemeinde spricht er Klartext. Unzufrieden sei er mit der medialen Berichterstattung. Über die Nachhaltigkeit und deren Sinnhaftigkeit der Gasbohrung im „idyllischen Reichling“ ließe sich streiten. „Ich war gerne mit allen Parteien jederzeit im Gespräch, aber genug ist genug.“ An diesem Abend sagt Hintersberger: „Die Bohrung kommt, die können wir nicht mehr aufhalten.“
Projektleiter des Gasbohrungsprojekts ist der Geologe Eckhard Oehms. Zu den Anwesenden sagt er: „Ich möchte, dass Sie hier mit einem guten Gefühl herausgehen.“ Er wolle insbesondere noch einmal auf die Genehmigung des Bergamts eingehen, auf die Sicherheit der Wasserversorgung und das Umweltgutachten. Er versichert zudem, dass es im Konzessionsbereich „Lech“ nur eine Bohrung geben würde. Mit dem wesentlich größeren Konzessionsbereich „Lech-Ost“, in Richtung Ammersee, habe nicht die Genexco Gas GmbH, sondern die Genexco GmbH aus Berlin und unter kanadischer Führung zu tun. Mehrmals betont Oehms, dass nirgends so hohe Sicherheitsstandards gelten wie in Deutschland. Das Unternehmen müsse etwa Bodenwerte regelmäßig messen und auswerten. „Ich verstehe, dass man in der Energie wechseln will, realistisch dauert das aber noch.“ Ungewiss sei aber auch, ob man überhaupt Gas finden würde, das könnte sich in den vergangenen Jahrzehnten auch weiterbewegt haben.
Für die Fragerunde stellen sich unter anderem auch Saskia Reinbeck von Greenpeace, Kasimir Buhr vom BUND Naturschutz, Christian Baier von Fridays For Future und Ute Reinbeck von der Bürgerinitiative Reichling-Ludenhausen an. Ein Thema: Das Notfallkonzept für die Wasserversorgung, nach dem täglich rund zehn Lkw Wasser von außerhalb in die Gemeinde transportieren müssten, sollte das Trinkwasser der Gemeinde verunreinigt werden. Reinbeck, die seit diesem Jahr als Klimaaktivistin mit der Bürgerinitiative im Kontakt, machte der Genexco Gas den Vorwurf: „Sie haben gesagt, wir sind in der Phase der Brückentechnologie. Ich würde sagen: Wir sind am Ende der Brücke, selbst die Internationale Energieagentur hat gesagt, man solle keine neuen fossilen Energien mehr anbohren.“
Dialogabend mit Genexco Gas endet in einer Moral-Frage an den Bürgermeister
Die Fragen der Bürgerinnen und Bürger drehten sich um die Technik, die zum Bohren eingesetzt werde, Lärmbelästigung während der Bohrung oder etwa die Möglichkeit eines anschließenden Geothermieprojekts. Die letzte Frage, die eine Frau aus dem Publikum stellte, richtete sich nicht an die Genexco-Vertreter, sondern an den Bürgermeister: „Herr Hintersberger, wie können Sie das verantworten?“ Eine Antwort bekam die Reichlingerin nicht.