Schon wieder ist es einem Häftling gelungen, während eines Prozesses aus dem Gerichtsgebäude zu fliehen: Am Montag entkam ein 47-Jähriger aus dem LandgerichtCoburg (Oberfranken), der sich dort wegen sexuellen Missbrauchs an zwei seiner Töchter verantworten sollte. Die Polizei hat eine Großfahndung nach dem Mann eingeleitet.
Es ist bereits der zweite spektakuläre Flucht-Fall binnen weniger Wochen: Erst im Januar war in Regensburg ein verurteilter Mörder entkommen. Der 40-Jährige war in einer Prozesspause durch das ungesicherte Fenster eines Raumes geflohen, in dem er sich angeblich mit seinem Verteidiger beraten wollte. Dies hatte bundesweit für Aufsehen gesorgt. Der Mann kam damals bis nach Frankreich, ehe er am fünften Tag seiner Flucht gefasst wurde. Inzwischen sitzt er wieder in einem bayerischen Gefängnis ein.
Beim mutmaßlichen Sexualstraftäter bestand bereits Fluchtgefahr
In dem aktuellen Fall in Coburg war das Landgericht eigentlich vorgewarnt. Nach Informationen der Neuen Presse Coburg hatte man während der Verhandlung vor 14 Tagen einen Haftbefehl wegen Fluchtgefahr gegen den siebenfachen Vater erlassen. Der habe bis zur Fortsetzung der Verhandlung an diesem Montag dann in der Justizvollzugsanstalt Kronach eingesessen, bestätigte ein Polizeisprecher. Wie es nun zu der Flucht kommen konnte, blieb unklar. Medienberichten zufolge waren dem Mann während eines Toilettenganges die Fußfesseln abgenommen worden. Er habe ein nur wenig gesichertes Fenster zur Flucht genutzt, hieß es.
Derzeit fahnden alle verfügbaren Polizeistreifen mit Unterstützung eines Polizeihubschraubers sowie von Polizeihunden nach dem Flüchtigen. Er wird wie folgt beschrieben: 180 Zentimeter groß, weinroter Pullover, schwarze Hose. Der Flüchtige hat schwarze Haare, einen schwarzen Bart und ist irakischer Staatsangehöriger. Wer Hinweise zu seinem Aufenthaltsort machen könne, solle die Notruf-Nummer 110 wählen.
Landtags-Opposition übt harsche Kritik an Sicherheit in Gerichtsgebäuden
Nach der zweiten Flucht innerhalb von wenigen Wochen fordert die Landtags-Opposition umfassende Aufklärung und eine Verschärfung der Sicherheitsvorkehrungen. Die Vorfälle nährten Zweifel an der Sicherheit bayerischer Gerichtsgebäude, erklärten am Montag quasi gleichlautend Grüne und FDP. Bayerns Justizminister Georg Eisenreich (CSU) müsse im Rechtsausschuss des Landtags berichten, verlangte die FDP.
„Der zweite Vorfall innerhalb weniger Wochen stärkt nicht gerade das Vertrauen in die bayerische Justiz und Polizei“, sagte Toni Schuberl, rechtspolitischer Sprecher der Landtags-Grünen. Minister Eisenreich müsse zusammen mit der Justiz und der Polizei die Sicherheitskonzepte der Gerichte überprüfen. „Das heißt für uns: mehr Wachpersonal und mehr Investitionen für die Sicherheit in den Justizgebäuden – das fordern wir Landtags-Grüne, aber auch die Gewerkschaften, seit Jahren.“ Zusätzlich brauche es eine transparente Aufklärung des Hergangs der Flucht in Coburg auch unter polizeilichen Gesichtspunkten: „Wo lief was wann schief? Was braucht es, damit so etwas nicht mehr passiert?“, sagte Schuberl.
Fluchtversuch: FDP-Fraktionschef fordert verschärfte Sicherheitsmaßnahmen
FDP-Fraktionschef Martin Hagen forderte: „Die Staatsregierung muss umgehend die Sicherheitsvorkehrungen an allen bayerischen Amts- und Landgerichten verschärfen. Insbesondere Fenster sind so zu sichern, dass sie nicht von Unbefugten geöffnet werden können.“ Die FDP will zudem wissen, welche Verschärfung der Sicherheitsmaßnahmen die Staatsregierung plane und welche baulichen, organisatorischen oder personellen Veränderungen nötig seien. „Wie erklärt sich die Staatsregierung, dass nach dem Vorfall im Januar 2023 nur kurze Zeit später erneut ein Angeklagter aus einem bayerischen Gerichtsgebäude fliehen konnte?“, fragte Hagen.
SPD-Rechtsexperte Horst Arnold sagte: „Um Schlupflöcher rasch schließen zu können, bedarf es dringend einer engeren, detaillierten Abstimmung zwischen der Polizei und dem Gerichtsvollzugsdienst.“ Die Beamten der Polizei seien oftmals mit den Örtlichkeiten beziehungsweise der Situation im Gericht nicht vertraut. „Dies muss sich ändern, um die Sicherheit künftig gewährleisten zu können.“
Gerichte in Schwaben hielten sich bedeckt, wie sie mit der Thematik umgehen. Gunther Schatz, Vizepräsident des LandgerichtsKempten, teilte lediglich mit: „Die Sicherheitskonzepte im Gerichtsgebäude unterliegen der ständigen Überprüfung.“ Über konkrete Maßnahmen könne er keine Auskünfte erteilen. Auch das Augsburger Landgericht gab keine Details bekannt. (mit dpa)