
Es ist eine seltsame Geschichte, die fast in Vergessenheit geraten war. Sie nahm ihren Anfang lange vor Corona und Krieg, im April 2018, nur wenige Wochen nachdem Markus Söder seinen CSU-Parteifreund und Rivalen Horst Seehofer als Ministerpräsident in Bayern abgelöst hatte. Damals war die CSU in der Flüchtlingsfrage auf Konfrontationskurs mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), in Bayern standen Landtagswahlen vor der Tür und Söder wollte ein konservatives Zeichen setzen. Er lud die Presse in die Eingangshalle der Staatskanzlei ein, hing dort höchstselbst ein Kruzifix an die Wand und verkündete den Erlass einer neuen Vorschrift, die da lautet: „Im Eingangsbereich eines jeden Dienstgebäudes ist als Ausdruck der geschichtlichen und kulturellen Prägung Bayerns gut sichtbar ein Kreuz anzubringen.“
Um diesen „Kreuzerlass“, der bis heute in Paragraf 28 der „Allgemeinen Geschäftsordnung für die Behörden des Freistaats Bayern“ festgeschrieben ist, entbrannte ein heftiger Streit – politisch wie auch vor Gericht. Politisch kehrte, nachdem erst einmal helle Aufregung geherrscht hatte, innerhalb relativ kurzer Zeit wieder Ruhe ein. Juristisch aber zieht sich die Angelegenheit in die Länge.
Baden-Württembergs Ministerpräsident Kretschmann fühlte sich durch die Kreuze gar an Vampirfilme erinnert
An diesem Donnerstag, mehr als fünfeinhalb Jahre später, beginnt vor dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig die Verhandlung in dritter Instanz. Der Grund: Der religionskritische „Bund für Geistesfreiheit“, der gegen den Kreuzerlass geklagt und zum Teil Recht bekommen hat, will sich nicht damit abfinden, dass seine Forderung, die Kreuze müssten abgehängt werden, vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zurückgewiesen worden ist.
Seltsam ist vieles an der Geschichte. Das begann schon mit einigen Fotos von Söders Auftritt in der Staatskanzlei. Sie zeigen den Ministerpräsidenten in schaurig-schummrigem Licht mit dem Kreuz in der Hand. Der Spott ließ nicht lange auf sich warten. Söders baden-württembergischer Amtskollege Winfried Kretschmann (Grüne), ein bekennender Katholik, fühlte sich an Vampirfilme erinnert – „als wolle da jemand mit einem drohend erhobenen Kruzifix irgendeine Gefahr abwehren“.
Schwerer als der Spott von politischen Gegnern wog für Söder, dass ihm sogar einige Kommunalpolitiker seiner eigenen Partei und Teile der Kirchen die Unterstützung versagten. Der Münchner Erzbischof, Kardinal Reinhard Marx ging ausdrücklich auf Distanz, warnte vor „Spaltung, Unruhe, Gegeneinander“ und sagte: „Das Kreuz lässt sich nicht von oben verordnen.“
Andere kirchliche Würdenträger unterstützten Söder. Aus Rom meldete sich der Privatsekretär des emeritierten Papstes Benedikt XVI., Erzbischof Georg Gänswein, zu Wort. Kruzifixe aufzuhängen, so Gänswein, „bewahrt den Staat vor der Versuchung, sich totalitär des Menschen zu bemächtigen“. Zur Kritik von Kardinal Marx sagte Gänswein: „Das hat der Erzbischof von München und Freising in einer ersten wenig erleuchteten Wortmeldung von sich gegeben.“
Söder sagte damals über Kruzifix: "Das Kreuz ist Symbol für unser Land"
Im Zentrum des Streits stand die Frage, ob ein religiöses Symbol wie das Kreuz auch als kulturelles Symbol verstanden werden könne oder – andersrum argumentiert – nicht als politisches Symbol missbraucht werden dürfe. Söders Position war klar. Er sagte: „Das Kreuz ist mehr als die Anstecknadel einer Religion. Es ist Symbol für unser Land.“ Seine Kritiker sprachen von einem neuen „Kulturkampf“.
Zu den Seltsamkeiten in der Geschichte darf auch der Vollzug gezählt werden. Es wurde zwar im Vorfeld heftig gestritten. Die Vorschrift trat innerhalb weniger Wochen in Kraft. Aber sie wurde und wird offenbar längst nicht überall ernst genommen. Wenn ein Behördenchef kein Kruzifix aufhängt, dann hängt da eben keines. Von Kontrollen oder Sanktionen wurde jedenfalls nichts bekannt.
Für einige Verwunderung – zumindest bei juristischen Laien – sorgte auch das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs. Zwar stellte das Gericht in zweiter Instanz fest, dass der Staat mit der Vorschrift „das objektiv-rechtliche Neutralitätsgebot verletzt“. Das Kreuz sei als „Symbol christlich-religiöser Überzeugung und nicht etwa nur als Ausdruck der vom Christentum mitgeprägten abendländischen Kultur“ anzusehen. Gleichzeitig aber erklärten die Richter die Klagen des Bundes für Geistesfreiheit und weiterer Kläger für unbegründet, weil sie durch das Anbringen von Kreuzen nicht in ihren Grundrechten verletzt seien. Die Neutralitätspflicht des Staats begründe als solche „keine einklagbaren subjektiven Rechte von Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften“.
Das wahrscheinlich letzte Wort in dieser Sache hat nun das Bundesverwaltungsgericht. Das Urteil wird mit Spannung erwartet – auch wenn in der Politik längst über andere Dinge gestritten wird.
Anmerkung der Redaktion: Dieser Artikel ist erstmals am 13. Dezember erschienen.