zurück
Kriminalität
Geldautomaten-Sprengungen vertreiben Banken aus den Dörfern
Immer wieder sprengen Kriminelle Geldautomaten auf dem Land. Die Banken ziehen Konsequenzen, manche bauen ihre Automaten ab. Die Entscheidungen liefern Diskussionsstoff.
Leipheim Kaya Automat.jpg       -  Nachdem ein Geldautomat in Leipheim gesprengt wurde, bot sich ein Bild der Verwüstung.
Foto: Alexander Kaya | Nachdem ein Geldautomat in Leipheim gesprengt wurde, bot sich ein Bild der Verwüstung.
Christof Paulus
 |  aktualisiert: 11.03.2024 09:19 Uhr

Lisa Miehle hat eine Menge Geld bei sich im Haus und ist darüber überhaupt nicht glücklich. Sie betreibt eine Tierarztpraxis in Ettenbeuren, dem größten Ortsteil der Gemeinde Kammeltal zwischen Günzburg und Krumbach; 1100 Einwohner, ein paar kleine Unternehmen, ein Gasthaus, einen Dorfladen gibt es hier, eine Post, eine Schule und einen Kindergarten – so ziemlich alles, was ein Dorf braucht. Und damit man schnell an Bargeld kommt, steht hier eben auch ein Geldautomat, und das im Vorraum von Miehles Praxis. Doch seit der im Juli 2022 einmal in die Luft gejagt wurde, will die Tierärztin ihn "gerne raushaben", wie sie sagt.

Der Automat in Miehles Vorraum ist nicht das einzige Ziel, auf das es Diebe in den vergangenen Jahren abgesehen haben. Immer wieder werden in Deutschland Automaten gesprengt, einst verstärkt vor allem in Nordrhein-Westfalen, inzwischen aber auch im Süden. In den vergangenen beiden Jahren detonierten alleine in Bayern rund 60 Sprengsätze in Geldautomaten, zwölf davon in Schwaben. In der Nacht zum Montag gab es in der Region einen neuen Angriff, nach einer Explosion in Kleinmehring bei Ingolstadt sucht die Polizei nach Zeugen und Verdächtigen. Das Ziel der Täter: das Bargeld zu stehlen, das in den Automaten gelagert wird. Das Ergebnis der Taten: Während die Beute oft überschaubar ausfällt, weil in den Geräten selten Zigtausende Euro lagern, summieren sich die Sachschäden inzwischen auf mehrere Millionen. Und die Geldautomaten auf dem Dorf werden immer seltener.

In Ursberg bei Günzburg hat die VR-Bank einen Geldautomaten abgebaut

So wie in Ursberg, 15 Kilometer von Ettenbeuren entfernt, ebenfalls im Landkreis Günzburg gelegen. Dort hat die Raiffeisenbank Anfang Dezember ihre Servicestelle weitgehend geschlossen – und das, obwohl es auf den Geldautomaten hier gar keine Attacke gegeben hatte. "Damit geht ein gewisses Stück an Selbstständigkeit verloren, vor allem für Menschen, die nicht so mobil sind", sagt Ursbergs Bürgermeister Peter Walburger – zumal im Ortsteil Mindelzell ohnehin schon ein Automat mangels Wirtschaftlichkeit abgebaut worden war. Alle Bemühungen, einen Automaten in der Gemeinde zu belassen, scheiterten bisher.

Im Gemeinderat sei man "sehr unglücklich" über den Rückzug der Bank aus dem Ort, sagt Walburger. Doch immer wieder gab es Warnungen zu Automaten in der Region, die womöglich als Ziel für Sprengungen ausgespäht worden waren. Im Gebäude in Ursberg befinden sich indes weitere Geschäftsräume und im Obergeschoss eine Wohnung. Das Risiko für die Bewohner, wenn diese etwa in der Nacht von einer Explosion im Haus überrascht würden, wollte niemand übernehmen – auch nicht die Gemeinde als Vermieter des Gebäudes, erklärt der Bürgermeister. Sein Fokus für die nahe Zukunft liegt nun auf dem Dorfladen: Dort können Sparkassen-Kunden "im eingeschränkten Umfang" beim Einkaufen Geld abheben. Warburger hofft, dass sich dieses Angebot noch ausweiten lässt. Unterdessen müssen die Ursberger zur Bank in die Nachbarstadt Thannhausen fahren. Immerhin: "Es wird zum Glück sowieso immer weniger mit Bargeld gezahlt", sagt Warburger.

Doch wer sind überhaupt die Täter, die es auch auf schwäbische Geldautomaten abgesehen haben? Wie das Landeskriminalamt auf Anfrage unserer Redaktion mitteilt, seien die bislang identifizierten Tatverdächtigen ausschließlich Männer, die meist aus den Niederlanden anreisen. Die Ermittler beschreiben deren Vorgehen als "sehr organisiert und arbeitsteilig": Nachdem sie das Geld aus den gesprengten Automaten eilig zusammengerafft haben, flüchten sie mit hoher Geschwindigkeit vor der Polizei zurück in die Niederlande. Erste Festnahmen gab es schon, in den Niederlanden wurden etwa mehrere Männer gefasst, die unter anderem vor acht Monaten einen Automaten in Leipheim – ebenfalls im Landkreis Günzburg – gesprengt hatten. 

So gehen Ermittler gegen Geldautomatensprenger in Bayern vor

Bekämpfen will das LKA die Sprenger zum einen mit "repressiver Verfolgung", wie es im Statement der Behörde heißt – also, indem die Taten nachdrücklich verfolgt und hart bestraft werden. Zudem brauche es präventive Maßnahmen, etwa Risikoanalysen in Zusammenarbeit mit den Banken – die dann versuchen können, ihre Einrichtungen zu schützen. Die Sparkassen in Bayern tun dies zum Beispiel, indem sie zunehmend Automaten mit Sicherungssystemen ausrüsten, die etwa Nebel aussprühen oder Geldscheine aus gesprengten Automaten einfärben, wie Pressesprecherin Eva Mang mitteilt. 

Mang lobt die Zusammenarbeit mit der Polizei, nennt die Risikoanalysen "sehr gut". Besonders im Auge der Kriminellen seien Standorte, die in der Nähe von Autobahn und Staatsgrenzen liegen – und in kleinen Ortschaften. Auch die Sparkasse hat aus Sicherheitsgründen schon einzelne Automaten präventiv abgebaut oder Filialen über Nacht abgesperrt. In den betroffenen Ortschaften sei das Verständnis dafür groß, sagt Mang. Immerhin mache das die Umgebung womöglich etwas sicherer.

Tierärztin Miehle macht sich vor allem Sorgen um ihre Reinigungskraft, die auch im Juli 2022 als Erste den gesprengten Automaten im Vorraum der Praxis entdeckt hatte. Nach Polizeiangaben erfolgen die meisten Attacken auf Geldautomaten in der Nacht, etwa zwischen zwei und fünf Uhr morgens – und auch geputzt wird die Praxis in der Früh. Bislang gab es durch Automatensprengungen in Bayern aber glücklicherweise noch keine Verletzten, teilt das LKA mit. Nach der Explosion musste Miehle die Praxis für einen Tag schließen. "Die Reparaturen haben uns dann nicht mehr wirklich beeinträchtigt", teilt sie mit.

In Kammeltal ist man mit Blick auf den Automaten der Sparkasse zwiegespalten. "Wir sind froh, dass wir ihn im Ort haben", sagt Bürgermeister Thorsten Wick. "Gleichzeitig macht das Gefahrenpotenzial, das damit zusammenhängt, keinen Spaß." Seiner Einschätzung nach überwiege die Sorge im Ort – eine eindeutige Mehrheit der Leute für oder gegen das Gerät sehe er aber nicht. Und dass sich Banken aus dem ländlichen Raum zurückziehen, will er ohnehin nicht.

 
Themen & Autoren / Autorinnen
Diebe
Geldautomaten
Landeskriminalämter
Polizei
Risikoanalyse
Stadträte und Gemeinderäte
Lädt

Damit Sie Schlagwörter zu "Meine Themen" hinzufügen können, müssen Sie sich anmelden.

Anmelden Jetzt registrieren

Das folgende Schlagwort zu „Meine Themen“ hinzufügen:

Sie haben bereits von 50 Themen gewählt

bearbeiten

Sie folgen diesem Thema bereits.

entfernen