zurück
Kreis Aichach-Friedberg
Warum in Bayerns Energie-Vorzeigedorf Sielenbach der Strompreis explodiert
Der 1800-Seelen-Ort Sielenbach ist Vorreiter bei der Energiewende. Jetzt sorgt dort ein missglücktes Stromgeschäft des bayerischen Gemeindetags für Ärger.
Josef Karg
 |  aktualisiert: 11.03.2024 13:29 Uhr

1800 Einwohnerinnen und Einwohner nur hat die kleine Gemeinde im Landkreis Aichach-Friedberg. Doch als „Sonnendorf“, wie es sich selbst nennt, ist Sielenbach weithin bekannt geworden. Es ist nicht zuletzt durch die örtliche Firma „Energiebauern“ eine Art Vorreiter in Sachen erneuerbare Energie. Inzwischen gibt es neben Solaranlagen auch Windräder, Fernwärme und andere Speicher- und Einspeisemodelle.

Schon vor mehr als 40 Jahren, als Deutschland noch ganz auf Atom, Gas und Kohle setzte, montierte der Biolandwirt Sepp Bichler die ersten Solarkollektoren zur Warmwasser-Erzeugung auf sein Dach. Die erste Photovoltaik-Anlage ließ er 1993 installieren. Damals wurde er von den meisten zumindest belächelt, von anderen gar für verrückt erklärt. Heute ist das anders: Zehnmal mehr Strom, als im Dorf verbraucht wird, erzeugen die Sielenbacher heute.

Energie-Vorzeigedorf: Strompreis in Sielenbach hat sich vervierfacht

Da ist es schon fast Ironie des Schicksals, dass Bürgermeister Heinz Geiling nun Ärger mit dem Strompreis hat. Denn aufgrund komplexer gesetzlicher Stromregelungen dürfen die Sielenbacher „Energiebauern“ ihren eigenen Strom nicht einfach selbst ans Dorf verkaufen, sondern müssen ihn ins Netz einspeisen, wo er vergütet wird. Dann muss er wieder von extern bezogen werden. In diesem Fall zu Höchstpreisen. Fast 190.000 Euro soll die Gemeinde in diesem Jahr für den Strombezug zahlen. 2021 waren es noch 46.000 Euro gewesen. Dahinter steckt ein komplizierter Vertrag mit dem bayerischen Gemeindetag.

Die Preisexplosion will der Sielenbacher Gemeinderat nicht klaglos hinnehmen. Man nimmt die Kubus GmbH, die vom Gemeindetag mit der Strombeschaffung beauftragt wurde, ins Visier und will prüfen lassen, ob rechtliche Schritte sich lohnen. Bei Kubus handle es sich um eine Kommunalberatungsgesellschaft mit Sitz in Schwerin, erklärt Florian Bichler, Sohn des Ökostrompioniers, Energiefachmann und selbst Gemeinderat. Es sei ein Unternehmen, das für kommunale Verbände wie den Gemeindetag arbeite und mit sogenannten „Bündelausschreibungen“ für die Kommunen wegen der größeren Abnahmemengen günstig Strom und Gas besorgen soll. 

Für den Zeitraum zwischen 2023 und 2025 ging das aber, salopp formuliert, in die Hose. Geiling und Bichler werfen Kubus vor, im August vergangenen Jahres, als die Strompreise fast auf dem absoluten Höhepunkt waren, „in einer Art Torschlusspanik“ ausgeschrieben zu haben. Inzwischen sind die Preise nämlich deutlich gefallen. Im August aber war laut Energiefachmann Bichler klar, welche Preise zu erwarten waren. Darum hätte Kubus die Reißleine ziehen müssen, noch mal in alle Gremien gehen und diese fragen, ob sie das Geschäft zu diesen Bedingungen überhaupt wollen. Nicht besser macht die ganze Sache aus Sicht der Sielenbacher, dass die Beträge 2024 und 2025 sinken werden. Kostet 2023 eine Kilowattstunde nämlich fast 70 Cent (wird allerdings vom Strompreisdeckel auf etwa 40 Cent reduziert), sind es ein Jahr später nur mehr 40 Cent und im Jahr 2025 nur mehr 34,5 Cent. 

Dazu muss man wissen: Im Ausschreibungszeitraum von 2017 bis 2019 zahlte man 2,3 Cent und von 2020 bis 2022 knapp fünf Cent. Bichler hat hochgerechnet, dass Kubus mit dieser Aktion rund „100 Millionen Euro zuungunsten der Kommunen und Steuerzahler vernichtet“ hat. Denn auch der Strompreisdeckel wird ja aus Steuergeldern finanziert.

Energie-Experte Florian Bichler kritisiert Bayerischen Gemeindetag

Doch rechtlich stellt sich die Lage nicht so einfach dar. Denn eine Gemeinde gibt mit der Entscheidung für eine Bündelausschreibung dem Dienstleister eine Art Blankovollmacht. Zumindest wird diese Rechtsmeinung vom Gemeindetag vertreten. Bichler lässt das nicht einfach so gelten: „Bei solch zu erwartenden extremen Preisen hätte man rückfragen müssen. Es hätte so gar nicht vergeben werden dürfen.“

Bichler sagt zudem, dass es auch möglich gewesen wäre, günstiger Strom zu beziehen. In der Zeit, in der Kubus und der Gemeindetag einen Arbeitspreis von 69,87 Cent pro Kilowattstunde als marktgerecht einstuften, hätten beispielsweise die Stadt Aichach für 39,24 und die Gemeinde Hohenfurch für 26,20 Cent eingekauft. Auch bei den regionalen Lechwerken wäre der Strom für 26 Cent zu haben gewesen. 

Stefan Graf, beim Gemeindetag zuständig für die Strombündelausschreibung, argumentiert gegenüber unserer Redaktion damit, dass zwingend Strom beschafft werden musste und eine Marktberuhigung nicht absehbar gewesen sei. „Diesmal sind bei der Ausschreibung mehrere ungünstige Umstände zusammengekommen“, sagt er. Das Zeitfenster sowie die ungewöhnliche Preisentwicklung hätten zu diesem unerfreulichen Ergebnis geführt. Zwei Fünftel der 1453 kommunalen Teilnehmer (200 davon in Schwaben) hätten übrigens gar keinen Zuschlag bekommen, weil die Preise in Bezug auf den damaligen Markt nicht marktgerecht waren. Und er betont: Bisher habe man aber immer zu sehr günstigen Preisen für die Kommunen Strom eingekauft. 

Gemeindetag will Kommunen beim Strom besser informieren

Das bestätigt man auch in Sielenbach. Zudem schätzt Bürgermeister Geiling die Aussichten, gegen das Stromgeschäft erfolgreich rechtlich vorzugehen, als „nicht allzu groß“ ein. „Wir kommen aus der Nummer wohl nicht mehr raus.“ Es gehe ihm aber insbesondere darum, vorzusorgen, dass so etwas künftig nicht mehr passiere. „In solche Verträge muss ein Reglement eingeflochten werden, dass sich eine Firma wie Kubus bei extremen Preisen bei den Kommunen rückversichern muss, ob diese zu diesen Konditionen überhaupt noch kaufen wollen, also ein Art Ausstiegsklausel.“ Die aktuelle Antwort des Stromeinkäufers, es sei zu aufwendig, knapp 1500 Gemeinden anzuschreiben, lässt er im Zeitalter von Mail-Kommunikation nicht gelten. Graf sieht das anders, räumt allerdings ein, dass man sich intensiv mit der Frage beschäftige, wie man die Kommunikation besser machen kann: „Wir werden die Bezirksvorsitzenden zukünftig noch mehr informieren. Außerdem wird intensiv diskutiert, welchem Weg es gibt, das Preisrisiko zu minimieren.“ 

 
Themen & Autoren / Autorinnen
Dienstleister
Energiewende
Preisexplosion
Strompreise
Ärger
Lädt

Damit Sie Schlagwörter zu "Meine Themen" hinzufügen können, müssen Sie sich anmelden.

Anmelden Jetzt registrieren

Das folgende Schlagwort zu „Meine Themen“ hinzufügen:

Sie haben bereits von 50 Themen gewählt

bearbeiten

Sie folgen diesem Thema bereits.

entfernen