Erst am Montag erklärte das Erzbistum München und Freising, der Erhalt aller etwa 4000 pastoral genutzter Gebäude wie Kirchen, Pfarrheime und Pfarrhäuser sei langfristig nicht finanzierbar. Zuvor machte Schlagzeilen, dass sich katholische Bistümer aus Spargründen von ihren Schulen trennen. Für noch mehr Aufmerksamkeit wird in ein paar Wochen die "Kirchenstatistik" sorgen, vor allem die Zahl der Austritte im Jahr 2022. Sie dürfte auf Rekordniveau liegen. Die Evangelische Kirche in Deutschland hatte ihre Zahl bereits bekannt gegeben: Mit 380.000 lag sie vergangenes Jahr rund ein Drittel höher als im Vorjahreszeitraum, der höchste Wert seit Bestehen des geeinten Deutschlands. Katholische und evangelische Christen stellen nicht länger die Bevölkerungsmehrheit. Drastisch verschärfen wird sich die Situation für die Kirchen, wenn bald die geburtenstarken Jahrgänge in Rente gehen und spürbar weniger Einkommensteuer und folglich weniger Kirchensteuer bezahlen.
Es ist etwas ins Rutschen geraten und der Prozess beschleunigt sich, in einem Tempo, das Kirchenverantwortliche schockiert. Darüber, was die Kirchen angesichts ihrer Vielfach-Krise ändern müssten, wird heftig gestritten. Zu selten aber wird in der breiten Öffentlichkeit diskutiert, welche Auswirkungen der gegenwärtige historische Prozess der Entkirchlichung auf die Gesellschaft hat und wie diese damit umgehen sollte.
Was bedeutet der Relevanzverlust der christlichen Kirchen für unsere christlich geprägte Gesellschaft?
Möglicherweise liegt das auch daran, dass den Kirchen zunehmend mit Gleichgültigkeit begegnet wird. Selbst einige, die sich noch engagieren, halten kritische Distanz; frustriert von heillosen Reformdebatten, Missbrauchs- und Finanzskandalen. Der Religionssoziologe Detlef Pollack beobachtet einen "kulturellen Erdrutsch". Mit Folgen: Immer nachdrücklicher würden Religionsunterricht, Kirchensteuer oder staatliche Privilegien der Kirchen– und damit für sie Fundamentales – zur Disposition gestellt, begleitet von einer "ressentimentgeladenen und vulgären Ablehnung des Religiösen".
Was also bedeutet der von ihnen mit verschuldete Relevanzverlust der christlichen Kirchen für unsere christlich geprägte Gesellschaft? Wozu brauchen wir die Kirchen? Und wo ist die ernsthafte, große Debatte über derartige Fragen?
Aller berechtigten Kritik zum Trotz: Sogar Kirchenfernen kann nicht egal sein, wenn hier etwas zusammenbricht. Dieses "Etwas" ist schließlich seit Jahrhunderten Teil unserer Kultur und für viele Heimat. Selbst instabil geworden, stabilisieren die Kirchen die Gesellschaft, zumindest noch. Und das aus dem Selbstverständnis heraus, "im Dienst des Wohles aller" handeln zu wollen.
Schon die Existenz der Kirchen mahnt zur Humanität
Kirchliche Kitas oder Schulen sind das eine. Das andere ist der vielfältige Beitrag der Kirchen zu einer "humaneren Gestaltung der Menschenfamilie", wie es in "Gaudium et Spes", einem wichtigen Dokument des Zweiten Vatikanischen Konzils aus dem Jahr 1965 über die katholische "Kirche in der Welt von heute", formuliert ist. Schon die Existenz der Kirchen mahnt zur Humanität und fortwährenden Beschäftigung mit Existenziellem, zum Innehalten auch, wenn es um Fragen des Lebens und Sterbens geht. Das ist nicht zu unterschätzen, ganz im Gegenteil. Wie etwas, das beim Fokus auf die Kirchen als Institutionen zu leicht aus dem Blick gerät: Ungezählte Kirchenmitglieder handeln aus dem Geist des Evangeliums heraus und setzen sich für Arme und Schwache ein – über politische, ideologische oder religiöse Grenzen hinweg. Wozu brauchen wir die Kirchen? Unter anderem dazu.