Manchmal lohnt es sich zu fragen, wer’s erfunden hat. Beim Begriff „Leitkultur“ gilt das in besonderer Weise. Er wurde von dem deutsch-syrischen Politikwissenschaftler Bassam Tibi im Jahr 1996 in die Debatte eingeführt. Tibi – selbst Moslem, aber zugleich Kritiker eines politischen Islamismus – sprach von einer „europäischen Leitkultur“. In diesem Wertekanon, der der europäischen Aufklärung entspringt, hat Vernunft Vorrang vor religiöser Offenbarung. Es geht um Demokratie und Rechtsstaat, Toleranz und Pluralismus im Unterschied zu Gottesstaaten oder religiösen Diktaturen.
Die "Leitkultur" wurde ein politischer Kampfbegriff
CDU-Politiker wandelten den Begriff wenig später in den politischen Kampfbegriff „deutsche Leitkultur“ um – was nicht nur von Tibi, sondern unter anderem auch vom Zentralrat der Juden kritisiert wurde. Die Debatte zog sich hin, ehe der Begriff zu Recht wieder in der Versenkung verschwand.
Nun holt ihn die CSU im Landtag wieder hervor. Das ist ein doppelter Fehlgriff. Erstens: Wenn es so etwas wie eine deutsche Leitkultur gibt, dann ist das im Grundgesetz erschöpfend formuliert und findet in der Bayerischen Verfassung eine wunderbare Ergänzung. Zweitens: Die CSU setzt sich ohne Not dem Vorwurf der Deutschtümelei aus. Das schadet der Ernsthaftigkeit ihrer Vorschläge.