Peter Wagner serviert in kleine Würfelchen geschnittenes, frisch gebratenes Schweinesteak als Gruß aus der Küche: „Probieren Sie auch ein Stück vom Fettrand“, wirbt er bei seinen Gästen, sich in Zeiten von Low Fat und Low Carb zu einem kleinen Ruck der Überwindung anzustupsen. Das Stückchen nur mit Salz gewürzter warmer Speck löst auf der Zunge tatsächlich eine kleine Geschmacksexplosion aus. Mit dem im Supermarkt im Sonderangebot erhältlichen „Minutensteak“ hat es kaum etwas gemein, dazwischen liegen Welten. Eher erinnern Geschmack und Mundgefühl an das berühmte Steak vom Kobe-Rind, nur dass der Speck für süddeutsche Gaumen etwas gefälliger schmeckt.
Das Besondere an dem Speckwürfelchen ist, dass es vom „Steigerwälder Schwarzerle“ stammt. Einer vom Aussterben bedrohten Schweinerasse – nicht ganz so dunkel wie das spanische Ibérico-Schwein. Das Schwarzerle stammt aus Freilandhaltung westlich von Nürnberg. Das Fleisch wurde ähnlich wie edle Rindersteaks vier Wochen lang trocken gereift. 34 Euro kostet das Kilo als Schweinerücken mit Schwarte bei Metzgermeister Claus Böbel aus Rittersbach bei Nürnberg. Der 47-jährige Franke und Onlinehandel-Pionier versendet Fleisch mit seinem Shop „umdiewurst.de“ bis ins Ausland.
Ein außergewöhnliches Kochbuch
Böbel hat Peter Wagner, einem der bekanntesten deutschen Foodjournalisten, geholfen, das wohl außergewöhnlichste Kochbuch des Jahres zu schreiben. Es trägt den schlichten Titel: „Das große Buch vom Fleisch“. Das über 360 Seiten starke, großformatige Werk ist nicht nur ein Kochbuch, sondern zugleich ein Schulbuch, Lehrbuch, opulenter Bildband und eine unterhaltsame Lektüre, die sich ebenso leicht wie allumfassend der Lust des Menschen auf Fleisch nähert – samt deren Problemen.
Wagners Reise führt von der Geschichte der Aufzucht, der Tierrassen, des Schlachtens und Zerlegens bis zur richtigen Bratpfanne und den Rezepten der modernen Spitzenküche. All das lebt vor allem von Wagners journalistischem Talent: Er schreibt mit Wortwitz („In der Ruhe liegt der Saft“), lehrt in der „Rückenschule“ das Kotelettschneiden und Filetauslösen oder widmet sich im Kapitel „Total durchgedreht“ dem Hackfleisch-Wolfen. Dies verbindet der 57-jährige Autor zahlreicher Kochbücher und Kolumnen – etwa bei Spiegel Online – mit einer faktengewaltigen Recherche. Vor allem, wenn der gebürtige Franke die Schattenseiten der heutigen Fleischindustrie ausleuchtet.
Nüchtern schildert er verdrängte Missstände, etwa wenn in deutschen Schlachthöfen weit geringere Tierschutzstandards beim Betäuben und Töten gelten als bei amerikanischen Zulieferern von US-Burger-Bratereien.
Wagner erklärt auch, wie man einen wirklichen „Metzger seines Vertrauens“ findet. „Man kann den Menschen nur raten, sprecht eure Metzger an und fragt, woher ihr Fleisch genau stammt.“ Doch in Zeiten des Ladensterbens wird das immer schwieriger: Nur noch 30 Prozent der Metzger schlachten selbst, berichtet Wagner. Manche setzten lieber auf dieselben Zulieferer wie die Supermarktketten.
Gutes Fleisch ist nicht billig zu haben
Aber Wagner berichtet auch von Fortschritten. „In dem Billigbereich, wo man ein Schweinenackensteak für 2,99 Euro beim Discounter kaufen kann, hat sich wenig geändert, das schmeckt genauso wie vor 20 Jahren nach nichts.“ Doch in dem anderen Segment, „in dem man bereit ist, mehr Geld auszugeben“, tue sich sehr viel: „Für Fleisch von Rindern etwa, die von ihrer Anlage und Rasse keine Milchkühe sind, sondern echte Fleischrinder. Die ein artgerechtes, bewegtes Leben auf der Weide leben durften.
Die ohne großen Stress geschlachtet und fachgerecht zerlegt wurden.“ Solches Premium-Fleisch koste zwar deutlich mehr als im Supermarkt, passe aber viel besser zum Trend, die Menge des eigenen Fleischkonsums zu hinterfragen. „Mir reicht es völlig, wenn ich zwei Mal die Woche gutes Fleisch esse, und gebe dafür dann lieber ordentliches Geld aus.“
Schäufele per Mausklick
So ist der heute in Hamburger lebende Franke ein Anhänger des inzwischen recht ausgereiften Onlinehandels von Fleisch und bestellt „Schäufele“ bei seinem Freund Böbel in speziellen Kühlboxen. Der Metzger hat inzwischen einen 140 Seiten dicken Katalog für seine Fleisch- und Wurstprodukte. Rindfleisch bezieht er unter anderem bei einem Züchter, der in Tschechien auf einer riesigen Weide Angus-Rinder hält. Böbel legt Wert drauf, nicht nur edle Teile der Tiere zu verkaufen, sondern auch Innereien und vieles andere: „Gutes Fleisch ist für jeden erschwinglich, wenn er nicht nur Filet, Schnitzel und Kotelett kauft, sondern auch mal eine Haxe oder fetten Schweinebauch. Dann gibt man am Ende auch nicht viel mehr aus.“
Von der Schnauze bis zum Schwanz verwerten
Auch Wagner wirbt leidenschaftlich für das „Nose-to-Tail-Prinzip“ – alles von der Schnauze bis zum Schwanz vom Tier zu verwerten. Die mageren Filetstücke seien für echte Genießer ohnehin das langweiligste Stück. Ausführlich beschreibt er, wie die Amerikaner in den vergangenen Jahren mithilfe von Forschern immer mehr „Cuts“ entwickelt haben: in Deutschland noch wenig bekannte Steak-Zuschnitte aus anderen Regionen des Rinds als nur immer Hüfte und Rücken.
„Die Amerikaner schmoren das Fleisch ungern, sondern legen es lieber auf den Grill oder in die Pfanne, damit sie es schnell essen können.“ So seien gut 30 neue interessante Steak-Arten entstanden, etwa namens „San-Antonio-Cut“ oder „Tucson Cut“. „Fleisch, das früher zu Hackfleisch verarbeitet wurde, kann damit heute teurer verkauft werden.“ Die deutsche Fleischproduktion schnell gemästeter und geschlachteter „Jungbullen“ sei dagegen ein Trauerspiel: Diese Steaks würde sich kein Amerikaner auf den Grill legen, klagt Wagner an.
Auch wenn es dem Autor ums Genießen geht: Es gibt wenige Kochbücher, in denen zwischen vielen Zeilen ein derart großer Respekt vor dem Schlachttier als Mitlebewesen herauszulesen ist. Wagner erinnert die Leser daran, dass die längste Zeit Schlachttiere kein Industrieprodukt, sondern der beste Freund des Menschen waren: Als Milchlieferant und Arbeitskraft, für Fleisch, Dünger und Leder – jahrhundertelang war Nutzvieh sichtbarer Garant menschlichen Wohlstands.
Die Liebe der Menschen zum Fleischessen
So kann Wagners umfangreiche Entdeckungsreise auch in einer Phase veganen Zeitgeists die Leser mit der ursprünglichen Liebe des Menschen zum Fleischessen versöhnen. Für das Geld wird einem – samt Rezepten von 13 Spitzenköchen – eine echte Bibel für Fleischesser serviert. Inklusive der „Zehn Gebote für einen perfekten Sonntagsbraten“.
Buchtipp: „Das große Buch vom Fleisch – Produkte, Handwerk, Rezepte“, 360 Seiten, ist bei Teubner Edition erschienen. Wie üblich für den Verlag ist das Buch sehr aufwendig gestaltet, kommt im edlen Schuber und schlägt mit 79,90 Euro zu Buche.