
An der Kinderklinik des Uniklinikums Augsburg wächst die Sorge um die medizinische Versorgung der Jüngsten: Prof. Dr. Fabian B. Fahlbusch, der neue Sektionsleiter der Neonatologie, also der Neugeborenenmedizin, sowie der Kinderintensivstation, erklärt im Gespräch mit unserer Redaktion, dass er aktuell aufgrund des anhaltenden und massiven Personalmangels in der Pflege nur noch 75 Prozent seiner Intensivbetten belegen kann. Sein intensivmedizinischer Kollege Prof. Dr. Florian Hoffmann vom Dr. von Haunerschen Kinderspital der Ludwig-Maximilian-Universität in München, hat bereits vor der neuen Infektionswelle durch das RS-Virus eindringlich gewarnt: „Wir steuern ungebremst auf die nächste Katastrophe zu.“ Der Chef der Kinderklinik am Uniklinikum Augsburg, Prof. Dr. Michael Frühwald, gibt Hoffmann recht: „Die Lage ist dramatisch. Ich sage es ehrlich: Ich habe Angst vor diesem Herbst.“
Das RS-Virus ist hochansteckend
Bereits im vergangenen Herbst kam es zu dramatischen Engpässen in der medizinischen Versorgung der Jüngsten. Auslöser war eine heftige und verfrühte Infektionswelle durch das respiratorische Synzytial-Virus (kurz RSV). Experten fürchten nun in den kommenden Monaten eine ebenbürtige oder gar noch stärkere RSV-Welle. Das RS-Virus gilt für gesunde Kinder eigentlich als meist harmloser Auslöser von fieberhaften Atemwegsinfekten. Doch vor allem in den Wintermonaten kann es schwere Infektionswellen verursachen – gerade Säuglinge und Kleinkinder erkranken dann oft schwer. Da es sich um ein hoch ansteckendes Virus handelt, erklärt Fahlbusch, müssten die erkrankten Kinder streng isoliert werden. „Und das führt uns ganz schnell auch an räumliche Kapazitätsgrenzen.“ Weil kaum noch Betten im vergangenen Herbst und Winter zur Verfügung standen, mussten schwerstkranke Kinder und Säuglinge oft lange Strecken gefahren oder mit dem Hubschrauber bis zum nächsten freien Bett transportiert werden.
Vor dem Hintergrund dieser Erfahrungen können Fahlbusch und Frühwald es nicht nachvollziehen, dass nicht längst mehr Ausweichraum beispielsweise in Form von Containern als Überbrückung zur Verfügung gestellt wird. Und wie Kollege Hoffmann aus München fordern auch Frühwald und Fahlbusch rasch eine bessere digitale Vernetzung der Kinderkliniken untereinander, damit schneller und sicherer ein freies Bett gefunden wird.
Das von Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) im Juli angekündigte „virtuelle Kinderkrankenhaus“, dessen Ziel die Vernetzung der Kinderkliniken ist, könne hier nur der erste Schritt sein. Auch sei jetzt schon klar, dass der Förderbescheid über rund 360.000 Euro nicht reichen werde, um zu garantieren, dass neben der Technik vor allem auch geeignetes Fachpersonal für eine bessere Abstimmung der Häuser zur Verfügung steht. Trotz der Bemühungen, die Logistik zu verbessern, dürfe nicht übersehen werden, dass das Krankentransportwesen vor großen Herausforderungen stehe, sagt Fahlbusch. So bedarf es für die sichere Begleitung der schwerstkranken kleinsten Patientinnen und Patienten zum nächsten freien Bett neben den adäquaten technischen Voraussetzungen auch des Einsatzes medizinischen Fachpersonals aus seinem Intensivbereich, das dann für die Krankenversorgung fehle, so Fahlbusch.
Von 29 Zentren für extrem Frühgeborene bleibt ein Drittel
Der Versorgungsmangel könnte sich zudem ab Ende des Jahres im Zuge der bundesweiten Krankenhausreform zuspitzen. Denn auch in der Kindermedizin komme es zu einer Zentralisierung und damit zu einem großen strukturellen Einschnitt: „Von jetzt 29 Perinatalzentren Level 1 in Bayern, welche auf die spezialisierte Versorgung von extrem Frühgeborenen ab der 24. Schwangerschaftswoche spezialisiert sind, blieben ab Anfang 2024 nur noch knapp ein Drittel für ganz Bayern übrig“, erklärt Fahlbusch. Schwangere mit drohender Frühgeburt müssten daher frühzeitig an ein entsprechendes Zentrum verlegt werden. In Augsburg werde es weiterhin zwei dieser Zentren geben: eines an der Uniklinik und eines am Josefinum. Weitere Level-1-Zentren befinden sich voraussichtlich in München, Würzburg, Erlangen, Nürnberg und Regensburg.
Wissen muss man in diesem Zusammenhang, dass die Bettenkapazität der Intensivstation der Kinderklinik am Uniklinikum Augsburg schon jetzt - unabhängig von Infektionswellen - zum Großteil für sehr unreife Frühchen nötig ist: „Aktuell sind 80 Prozent unserer Intensivbetten von Frühchen belegt, die dort auch etliche Wochen bleiben müssen, bis ihr Zustand sich so stabilisiert hat, dass sie auf eine Normalstation verlegt werden können“, erläutert Fahlbusch.
Dies verdeutlicht, warum es so schnell zu so großen Engpässen kommt, wenn im Zuge einer Infektionswelle plötzlich so viele Kinder schwer erkranken. „Müssen ab dem nächsten Jahr noch wesentlich mehr Frühchen auf den Intensivstationen der verbleibenden Zentren versorgt werden, ist eine weitere Verschärfung der Situation vorprogrammiert“, sagt Fahlbusch. Denn nicht vergessen dürfe man all die Kinder, die beispielsweise nach einer Operation oder nach einem Unfall auf einer Intensivstation versorgt werden müssen. „Auch Operationen von Kindern mussten daher im vergangenen Herbst und Winter verschoben werden, was eine unglaubliche Belastung für die Kinder, aber auch für die Eltern darstellt“, sagt Frühwald. Bei den regelmäßigen Austauschrunden mit Minister Holetschek betone er daher immer, wie wichtig die Vorhaltekosten für die Kinderkliniken seien. Dass also der Klinikbetrieb unabhängig von der Belegung finanziert werden müsse. „Doch Kinderkliniken sind leider seit Langem chronisch unterfinanziert“, kritisiert Frühwald. "Dabei versteht es niemand, dass bei uns ausgerechnet bei den Kleinsten so rigoros gespart wird."
Gebühr für Notaufnahme im Gespräch
Aber werden die Kosten für Kinderkliniken nicht auch von Eltern in die Höhe getrieben, die wegen „unnötigen“ Behandlungen in die Notaufnahmen kommen? Der Präsident des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte, Thomas Fischbach, hat nun auf dieses Problem aufmerksam gemacht und bei unnötigen Behandlungen eine Gebühr für die Eltern ins Gespräch gebracht. „Ja, diese Fälle haben wir auch in unserem Haus“, sagt Frühwald. Doch für eine Gebühr ist weder er noch Fahlbusch. „Viel wichtiger wäre mehr Aufklärung der Eltern. Das würde uns wirklich entlasten“, sagt Frühwald. „Und speziell in Augsburg könnte eine KVB-Notfallpraxis für Kinder direkt an die Kinderkliniken angegliedert werden, damit die kranken Kinder besser verteilt und schwer kranke Patientinnen und Patienten sofort versorgt werden könnten.“