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Augsburg
In Bayerns Ganztagsschulen drohen große Lücken
Das Betreuungsangebot soll eigentlich ausgebaut werden. Doch die Träger schlagen Alarm und warnen vor einem Kollaps des bestehenden Systems.
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Foto: Robert Michael, dpa | In den nächsten fünf Jahren sollen 130.000 Ganztagsplätze entstehen.
Christoph Frey
 |  aktualisiert: 11.03.2024 09:43 Uhr

Die Mutter zweier Buben – vier und zehn Jahre alt – bekommt die bayerische Kita-Krise tagtäglich zu spüren. Beim Jüngeren stellt sich fast jeden Tag aufs Neue die Frage, ob die Kindergartengruppe wirklich die vereinbarte Betreuungszeit leisten kann oder ob die Eltern kurzfristig umdisponieren müssen. Und beim Älteren ist offen, ob sich für seinen Hort in Augsburg im neuen Schuljahr ein Betreiber findet. Der alte nämlich wirft hin. 

Die Kindergärtnerinnen bekommen den Frust der Eltern zuerst ab

Die Diagnose der Augsburger Mutter, die selbst in der Kinderbetreuung tätig ist und daher ihren Namen nicht in einem Artikel lesen will: "Mir tun die Kinder leid und ihre berufstätigen Eltern. Aber natürlich auch das Personal. Denn die Beschäftigten bekommen den Frust zuerst ab." Gut möglich, dass dieser in den kommenden Monaten weiter wächst. Denn in der Ganztagsbetreuung für Schülerinnen und Schüler drohen weitere Lücken und die haben nicht unbedingt mit dem Personalmangel in der Branche zu tun. 

Dabei soll es dort eigentlich in eine ganz andere Richtung gehen. 130.000 zusätzliche Plätze sollen in den nächsten fünf Jahren geschaffen werden, damit Kinder an Bayerns Grundschulen auch nachmittags betreut werden. Das ist schon jetzt bei mehr als der Hälfte von 480.000 Grundschülern und -schülerinnen der Fall. Doch aktuell überlegen Träger zunehmend, ob sie sich Horte, Mittagsbetreuungen oder offene Ganztagsangebote weiterhin leisten können. Diese finanzieren sich im Wesentlichen über die Gebühren der Eltern, Zuschüsse von Kommunen und Pauschalen des Landes Bayern. 

Zu wenig Geld: Darüber klagen Bayerns Kita-Träger

Diese Pauschalen decken seit Langem nicht mehr die steigenden Kosten der Träger, klagen diese. Gemeinsam mit der Freien Wohlfahrtspflege Bayern, in der Organisationen wie das Rote Kreuz, die Caritas und die Arbeiterwohlfahrt zusammengeschlossen sind, und der Landesarbeitsgemeinschaft Jugendsozialarbeit in Bayern fordert der Bayerische Jugendring (BJR) vom Freistaat deutlich höhere Förderpauschalen. Die Rede ist von Erhöhungen zwischen 30 und 90 Prozent. Nach Berechnungen des BJR fehlen in Bayern mindestens 100 Millionen Euro, um die Lücken zu schließen.

Dabei sei Eile geboten, so BJR-Präsident Philipp Seitz, denn ab 2026 können Eltern einen gesetzlichen Anspruch auf Ganztagsbetreuung in der Grundschule geltend machen. "Die mit der Umsetzung des Rechtsanspruchs auf ganztägige Förderung zu erwartende Steigerung der Betreuungsquote von Grundschulkindern von derzeit rund 55 Prozent auf einen Bedarf von 80 Prozent ist unter diesen Rahmenbedingungen nicht realisierbar. Vielmehr droht ein Kollaps der bestehenden Ganztagsstrukturen." Bislang fangen die Träger die Defizite selbst auf oder werden von Kommunen unterstützt. Zu leiden hätten Kinder unter der mangelnden Finanzgrundlage schon jetzt, sie gehe zulasten der Qualität. 

Verbände schlagen Alarm

Die Verbände schlugen bereits im Sommer Alarm. Was droht, falls ihre Rufe ungehört bleiben, schilderten die Johanniter in Ostbayern schon im Juli relativ unverblümt: "Die Beendigung der Kooperationspartnerschaften mit den Schulen wäre die Konsequenz, wir müssten unser Angebot in diesem Segment einstellen."

Im bayerischen Kultusministerium heißt es knapp ein halbes Jahr später, die Forderungen der Träger würden "intensiv geprüft". Ob und in welchem Umfang sie erfüllt werden, hängt vom Verlauf der Haushaltsberatungen ab. Zudem will der Freistaat mit den kommunalen Spitzenverbänden über die Aufteilung der Kosten sprechen. Eine wichtige Orientierungsmarke sei dabei der Tarifabschluss für den öffentlichen Dienst der Länder. Die Verhandlungen dort endeten gerade mit einem Lohnplus von 5,5 Prozent sowie Sonderzahlungen bei den Beschäftigten. 

Am Ende dürfte der Schwarze Peter bei den Städten und Gemeinden landen. Die nämlich müssen entscheiden, welche Angebote vor Ort entstehen sollen, und würden dabei vom Freistaat unterstützt, so das Ministerium. Zudem könnten die Kommunen über die Förderbeträge hinaus bezahlen – oder den Laden gleich ganz selbst schmeißen.

Zu wenig Geld für Ganztag: So reagiert das bayerische Kultusministerium

Im Gegensatz zu anderen Bundesländern hat der Ganztag in Bayern verschiedene Erscheinungsformen und ist über die letzten beiden Jahrzehnte organisch gewachsen. Jede Kommune kann anderes vorgehen. Grundsätzlich kann man zwischen schulischen Angeboten, also die gebundene und offene Ganztagsschule, und der Mittagsbetreuung unterscheiden. Dann gibt es Horte als eigenständige Einrichtungen sowie seit einiger Zeit Kombi-Angebote zwischen Hort und Schule.

Silke Scherer, bei der Arbeiterwohlfahrt Schwaben Vorständin für Kinder, Jugend und Familien, hat mit vielen Modellen Erfahrung gesammelt. Unstrittig sei, dass mehr Geld ins System müsse. Bei den Quellen aber müsse man sich Gedanken machen. "Wir müssen Kinderbetreuung als gesamtgesellschaftliche Aufgabe sehen, die unheimlich wichtig ist." Scherers Gedanke: Auch Firmen könnten die Arbeit in Kitas mehr unterstützen und so ihren Beschäftigten den Rücken freihalten.

Anmerkung der Redaktion: Dieser Artikel ist erstmals am 11. Dezember 2023 erschienen.

 
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