
„Ich kann es kaum fassen.“ Ein ehemaliger Weggefährte des 24-jährigen Syrers, der am Dienstag in Kempten in Gewahrsam genommen wurde, weil er an der Planung eines Sprengstoffanschlags beteiligt gewesen sein soll, ist schockiert. Die Männer hatten vor einigen Jahren gemeinsam in einer Asylbewerberunterkunft im Allgäu gelebt. „Er hatte hauptsächlich Feiern, Fußball und Spaß im Kopf. Ich habe ihn nie beten oder in die Moschee gehen sehen.“
Dass sein Bekannter nun an der Planung eines Attentats beteiligt gewesen sein soll, kann sein damaliger Kumpel kaum glauben. „Er war nicht sehr religiös und eher ein ruhiger Typ.“
Razzia: Syrer in Kempten unterstützte seinen Bruder wohl bei Anschlagsplänen
Hauptbeschuldigter in dem Fall ist der 28-jährige Bruder des in Kempten lebenden 24-Jährigen. Er soll von Hamburg aus agiert und online sprengfähiges Material bestellt haben. Ziel soll laut der ermittelnden Behörden gewesen sein, „aus einer radikal-islamistischen und jihadistischen Grundhaltung heraus“ einen Anschlag mit einem selbstgebauten Sprengstoffgürtel durchzuführen – wo genau, darauf gebe es derzeit keine Hinweise. Sein jüngerer Bruder soll den 28-Jährigen in der Tatplanung bestärkt und somit Beihilfe geleistet haben.
„Die Brüder sind nicht vorbestraft“, sagte eine Sprecherin der Generalstaatsanwaltschaft Hamburg auf Nachfrage unserer Redaktion. Die Ermittlungen gegen die beiden Syrer würden seit diesem Frühjahr, „also erst seit wenigen Wochen“ geführt. Auf die Spur kamen die Ermittler den Beschuldigten unter anderem wegen der Online-Bestellungen des 28-Jährigen.
Beschuldigter lebt seit 2015 in Deutschland und im Allgäu
Der in Kempten lebende 24-Jährige kam laut der Sprecherin im November 2015 nach Deutschland, sein Bruder wenige Monate zuvor. Dieser hatte sich zuletzt legal in Hamburg aufgehalten. Wann der jüngere Bruder ins Allgäu kam und welchen Aufenthaltsstatus er hat, dazu könne die Behörde keine Auskunft geben. Nach Recherchen unserer Redaktion wohnte er ab Ende 2015 im Allgäu. Die Kontaktpersonen der beiden Beschuldigten, bei denen am Dienstag ebenfalls Durchsuchungen durchgeführt wurden, kommen laut Generalstaatsanwaltschaft aus Hamburg.
Während gegen den 28-Jährigen ein Haftbefehl vorlag, wurde sein Bruder auf einen richterlichen Beschluss hin in „längerfristigen Gewahrsam“ genommen, sagt Holger Stabik, Sprecher des Polizeipräsidiums Schwaben Süd/West. Dort könne er maximal einen Monat festgehalten werden. Ziel eines solchen Gewahrsams ist laut Polizei die Verhinderung von Straftaten. Es werde laufend überprüft, ob es weiter einen Grund gibt, den Mann nicht auf freien Fuß zu setzen.
Nach Razzia wegen Attentatsplänen: Polizei nimmt 24-Jährigen vorerst in Gewahrsam
Der „normale“ Gewahrsam, der maximal 24 Stunden dauert, gehört laut Stabik zum Standardrepertoire der Beamten. Ein Beispiel: Ein betrunkener Radler wird auf der Dienststelle befragt. Wenn es konkrete Anhaltspunkte gibt, dass er nach dem Verlassen des Gebäudes gleich wieder auf ein Rad steigt, kann er festgehalten werden, bis er wieder nüchtern ist. „So etwas passiert öfter, ein längerfristiger Gewahrsam ist dagegen eher selten“, sagt Stabik. Vorgekommen sei es beispielsweise zu Corona-Zeiten, wenn Menschen gegen Pandemie-Regeln verstoßen hatten und deutlich machten, dass sie sich auch weiterhin nicht an die Vorgaben halten würden.
Im Fall des 24-jährigen Syrers hat das AmtsgerichtMemmingen die Maßnahme genehmigt. So soll laut Sprecher Nicolai Braun die Gefahr gebannt werden, dass der Mann die Anschlagspläne doch noch umsetzt. Wer in längerfristigem Gewahrsam ist, wird in der Regel in einem speziellen Trakt einer JVA untergebracht, wo es beispielsweise umfängliche Besuchsregelungen gibt, erläutert Stabik.
In Kempten sitzt der Schock einen Tag nach Bekanntwerden der mutmaßlichen Attentatspläne tief – auch in der syrischen Gemeinschaft. Der Bestürzung sei deswegen so groß, weil das Zusammenleben im Allgäu bislang sehr friedlich sei, sagt beispielsweise der 31-jährige Syrer Abdulrahman Alshalaby. Das sehe er jetzt bedroht. Alle, mit denen er gesprochen habe, verurteilten derartige Pläne zutiefst.