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„Kein Anschlagsszenario, das zuvor irgendjemand im Blick hatte“
Henry Stern       -  Obermeier/ Henry Stern
Henry Stern
 |  aktualisiert: 27.07.2017 03:44 Uhr

Bayerns Innenminister war vor einem Jahr der erste Politiker, der noch in der Nacht die Öffentlichkeit über die Hintergründe des Würzburger Axt-Attentats informierte. Im Gespräch mit dieser Redaktion erinnert sich Joachim Herrmann, warum er sich traute, sofort von einem Terroranschlag zu sprechen, welche Botschaft er damals den Würzburgern vermitteln wollte – und ob er wirklich so ruhig war, wie er nach außen wirkte. Gerne hätte Herrmann auch mehr zum persönlichen Hintergrund des Attentäters gesagt. Aber bei laufenden Ermittlungen muss manchmal selbst ein Innenminister schweigen.

Frage: Können Sie sich noch erinnern, wie Sie vor einem Jahr von dem Attentat in Würzburg erfahren haben?

Joachim Herrmann: Ja, sehr gut. Ich war in München bei einer Veranstaltung im Künstlerhaus am Lenbachplatz. Es ging, glaube ich, um Wohnungsbau. Ich war noch dort, als ich gegen 21.30 Uhr den ersten Anruf vom Lagezentrum im Innenministerium bekam, dass es eine mögliche Anschlagssituation in Würzburg gibt. Zu dem Zeitpunkt war die Lage noch unklar. Aber man hatte einen Notruf. Und die Polizei war schon im Großeinsatz. Ich habe dann die Veranstaltung verlassen und bin zunächst in meine Münchner Wohnung gefahren. Dort bekam ich dann sehr schnell weitere Informationen. Und dann kamen auch schon bald die ersten Medienanfragen.

War Ihnen gleich klar, dass es sich um einen Terroranschlag handelt?

Herrmann: Es war relativ schnell klar, dass es sich nach den Notrufen aus dem Zug um einen islamistischen Attentäter handelte. Man muss aber auch sehen, in welchem zeitlichen Ablauf dieses Ereignis stand: Nur vier Tage vorher, am 14. Juli, war der Terroranschlag in Nizza, am 15. Juli war der Putschversuch in der Türkei. Es war ohnehin eine sehr angespannte politische Atmosphäre. Entsprechend angespannt waren auch hier alle Beteiligten.

Waren Sie von den Umständen des Anschlags überrascht? Oder musste man damals damit rechnen, dass ein zuvor unauffälliger Einzeltäter in einem Zug eine solche Tat begehen könnte?

Herrmann: Auch wenn wir gut vorbereitet sind – man wird letztlich von jedem Anschlag überrascht. Aber hier war es schon besonders. Denn wenn mich in den Monaten davor jemand gefragt hat: Wie sieht es denn aus mit der Gefahr bei uns? – dann habe ich immer gesagt: Natürlich kann ein Anschlag wie zuvor in Brüssel oder in Paris auch bei uns in Deutschland passieren. In Berlin oder in Köln, in München oder in Hamburg. Wir haben auch die Einschätzung gehabt, ein solcher Anschlag könnte mit einem großen medialen Ereignis verbunden sein: einem Fußballspiel wie in Paris im November 2015.

Oder wie beim Boston Marathon 2013. Die Befürchtung war: Da könnte ein Risiko liegen. Bei einem Champions League Spiel in München zum Beispiel.

Aber nicht in einem Regionalzug zwischen Ochsenfurt und Würzburg?

Herrmann: Das war in der Tat nicht wirklich ein Anschlagsszenario, das zuvor irgendjemand im Blick hatte. Insofern zögert man zunächst natürlich schon: Kann das wirklich sein? Weil es eben den bekannten Mustern nicht entspricht. Mir war es deshalb sehr wichtig, bevor ich dann ins Fernsehstudio gefahren bin und dort etwas sagen sollte, den Einsatzleiter vor Ort persönlich zu sprechen. Und so habe ich mich dann mit dem Würzburger Polizeivizepräsidenten Olaf Schreiner verbinden lassen. Der hat mir sehr kompetent und klar geschildert, wie sich die Lage zu dem Zeitpunkt dargestellt hat.

Wann war das?

Herrmann: Das war dann schon gegen 22.30 Uhr. Da war die Meldungslage in den Medien noch einigermaßen diffus. Schreiner konnte mir dann sehr klar sagen, dass es erstens nicht zwei Täter waren, wie es zuerst kurzzeitig geheißen hatte. Zweitens: Dass es einen aufgezeichneten Notruf aus dem Zug gibt, bei dem im Hintergrund der Täter mit dem Ruf „Allahu akbar“ zu hören ist. Dieser Hinweis auf den Hintergrund der Tat war also definitiv mehr als nur Hörensagen. Und drittens: Dass der Täter aus dem Zug geflohen ist, ihn ein zufällig verfügbares Sondereinsatzkommando aber gestellt und in Notwehr erschossen hat. Damit war die Botschaft, die ja vor allem für die Menschen in Würzburg sehr wichtig war, für mich gesichert und klar: Mit 99-prozentiger Wahrscheinlichkeit war es ein Terroranschlag. Aber die Gefahr ist gestoppt.

Der Juli 2016 war ja auch für Sie persönlich als bayerischer Innenminister eine schwierige Zeit: Erst Würzburg, dann vier Tage später der Amoklauf in München. Und nur zwei Tage darauf der Sprengstoffanschlag in Ansbach. Sie haben damals immer sehr ruhig, sehr kontrolliert gewirkt. Entsprach das auch Ihrer inneren Gefühlslage? Oder spielt man da als Innenminister auch ein Stück weit eine Rolle, weil man die Bevölkerung beruhigen will?

Herrmann: Wenn man am Telefon geschildert bekommt, wie der Täter mit einer Axt auf die Personen im Zug losgegangen ist, dass er auch Menschen massiv mit dieser Axt am Kopf getroffen hat – das nimmt einen natürlich auch persönlich stark mit. Ich bin aber insgesamt ein Mensch, der eher ruhig reagiert. Und natürlich habe ich gerade in solchen Momenten eine Führungsverantwortung. Leute, die Hektik machen, gibt es immer und überall genug. Da muss man als Innenminister nicht noch zusätzlich für Aufregung sorgen. Aber eine Rolle spielen – nein, das würde ich nicht sagen.

Was haben Sie gedacht, bevor die Fernsehkamera anging?

Herrmann: Natürlich ist es extrem wichtig, als Innenminister mit dem ersten Auftritt vor den Medien die Botschaft rüberzubringen: Ja, da ist etwas sehr Schlimmes passiert. Aber wir haben die Lage im Griff. Dafür braucht es präzise Information: um nur das zu sagen, was auch sicher ist. Aber umgekehrt auch nicht mit wichtigen Informationen hinterm Berg halten. Und auf Basis der verlässlichen Information, die ich von den Kollegen vor Ort bekommen hatte, musste ich auch in den folgenden Tagen zum Glück keinen einzigen Satz zurücknehmen.

Sie haben auch sofort von einem islamistischen Hintergrund gesprochen.

Herrmann: Es war ja eine Zeit, in der die politische Stimmung mit Blick auf die Flüchtlingssituation viel aufgeregter war als heute. Deshalb war mir damals auch sehr wichtig: Wenn es mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ein islamistisch motivierter Täter war, dann sage ich das auch. Auch, um dem Vorwurf des Schönredens und Verschleierns gar nicht erst Vorschub zu leisten.

Mit etwas Abstand betrachtet: Wurden aus den schrecklichen Ereignissen des Juli 2016 aus Ihrer Sicht die richtigen politischen Schlüsse gezogen?

Herrmann: Wir hatten ja damals in der Bayerischen Staatsregierung ohnehin schon Pläne, dass wir zur Terrorabwehr mehr tun müssen. Es war auch zuvor schon für Ende Juli eine Kabinettsklausur angesetzt, wo unter anderem ein dafür vorbereitetes Paket zur inneren Sicherheit verabschiedet werden sollte. Wir haben das dann unter dem Eindruck dieser schrecklichen Woche noch einmal intensiviert, aber wir waren sehr gut vorbereitet. Da ging es etwa um 2000 neue Stellen für die Polizei. Oder um bessere Schutzausrüstung für die Beamten, die jetzt noch schneller, bis diesen Herbst, in jeden Streifenwagen kommt. Das konnten wir alles sehr schnell beschließen und das ist für die Einsatzfähigkeit unserer Polizei sehr wichtig.

Welche bundespolitischen Folgen hatte das Attentat von Würzburg?

Herrmann: Ein Punkt, der für die Täter in Würzburg wie in Ansbach sehr wichtig war, war die Kommunikation mit terroristischen Führungspersonen im Nahen Osten über WhatsApp: Bis dato gab es aber keine Rechtsgrundlage, Kommunikation auf dem Smartphone über solche Dienste zu überprüfen. Wir haben jetzt ein Jahr lang dafür gekämpft. Und nachdem es sehr lange, sehr viel Widerstand etwa auch bei der SPD gab, ist es jetzt gelungen, dass nun auch die Überwachung von WhatsApp-Nachrichten auf Anordnung eines Ermittlungsrichters möglich wird.

War das Würzburger Attentat eine Zäsur für die innere Sicherheit in Deutschland?

Herrmann: Es hat ja zuvor auch schon islamistischen Terror gegeben – wie die Sauerland-Gruppe und dergleichen. Aber natürlich: In der neuen Phase islamistischer Anschläge seit dem Attentat von Paris im November 2015 und in Brüssel im März 2016, da haben die Menschen schon gemerkt: Die Gefahren kommen näher. In Paris und Brüssel war zudem ein Teil der Attentäter im Zuge der Flüchtlingswelle nach Europa gekommen. In Würzburg und in Ansbach hatten wir es nun auch in Deutschland erstmals mit Tätern zu tun, die als Asylbewerber ins Land gekommen waren.

Das hat die Debatte natürlich verändert. Weil damit endgültig klar war, dass zwar nur von einer sehr kleinen Minderheit, aber eben schon auch aus dem Kreis der Asylbewerber neue Sicherheitsrisiken in Europa entstehen.

Offenbar sind ja auch heute noch die Identitäten Tausender Asylbewerber nicht eindeutig geklärt. Wie gefährlich ist das?

Herrmann: Die Attentäter von Würzburg und Ansbach waren ja registriert worden. Gerade der Würzburger Attentäter hatte zudem auch eine geradezu mustergültige Betreuung. Absolute Sicherheit gibt es also auch dann nicht. Aber ja: Leider müssen wir feststellen, dass es gerade bei Flüchtlingen aus Syrien und dem Irak noch immer mehrere Tausend gibt, deren Identitäten nicht geprüft sind. Das ist absolut inakzeptabel. Und es ist gut, dass das jetzt alles nachgearbeitet wird. Klar ist aber auch, dass sich – nicht zuletzt aus Sicherheitsgründen – eine Situation der unkontrollierten Einreise nach Deutschland wie im Herbst und Winter 2015/2016 nicht wiederholen darf.

Weiß man denn inzwischen mehr über den Hintergrund des Würzburger Attentäters?

Herrmann: Ja. Aber die Ermittlungen, die der Generalbundesanwalt übernommen hat, laufen noch. Dabei geht es vor allem um das Aufdecken des Netzwerks, das hinter dem Täter stand.

Die Zahl der islamistischen Gefährder ist laut Bundeskriminalamt in Deutschland im letzten Jahr deutlich angestiegen – auf mehr als 650 Personen. Müssen wir also trotz der sicherheitspolitischen Verschärfungen davon ausgehen, dass ein Attentat wie das von Würzburg wieder passieren kann?

Herrmann: Das Risiko, das muss man leider so deutlich sagen, das ist nach wie vor da. Auch, weil es neben den Gefährdern, die den Behörden bekannt sind, wie im Würzburger Fall Personen gibt, die solche Taten begehen können, auf die bislang aber noch niemand aufmerksam geworden ist. Insofern ist Würzburg schon ein signifikanter Fall.

 
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