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München, Kronach
Jürgen Baumgärtner: Ein CSU-Mann, der sich oft hart an der Grenze bewegt
Jürgen Baumgärtner gibt sich als zupackender Macher. Nun soll der CSU-Abgeordnete einen mächtigen Posten bekommen, um den Wohnungsbau in Bayern voranzutreiben. Und könnte zum Risiko für Markus Söder werden.
Untersuchungsausschuss Stammstrecke.jpeg       -  „Was für die einen Hochrisiko ist, ist für andere ganz normales Business“, sagt Jürgen Baumgärtner (links), hier zusammen mit CSU-Chef Markus Söder.
Foto: Sven Hoppe, dpa | „Was für die einen Hochrisiko ist, ist für andere ganz normales Business“, sagt Jürgen Baumgärtner (links), hier zusammen mit CSU-Chef Markus Söder.
Holger Sabinsky-Wolf, Michael Stifter
 |  aktualisiert: 26.03.2024 02:55 Uhr

Wer sich mit Jürgen Baumgärtner unterhält, erlebt einen Mann, der immer in die Vollen geht. Der CSU-Landtagsabgeordnete spielt bewusst mit dem Image des hemdsärmeligen Machers, der sich nicht von kleinkarierten Bedenkenträgern aufhalten lässt. „Was für die einen Hochrisiko ist, ist für andere ganz normales Business“, sagt der Oberfranke. Kein Zweifel, dass er selbst sich zu den anderen zählt. Der Berufsoffizier agiert oft hart am Wind und wird dafür geschätzt und gefürchtet zugleich. Doch nun könnte der Hochrisikospieler selbst zum Risiko werden – für Markus Söder.

Markus Söder hatte mit BayernHeim 10.000 neue Wohnungen versprochen

Baumgärtner soll Aufsichtsratschef der neuen großen Wohnungsbaugesellschaft in Bayern werden. Das staatliche Unternehmen wird nach dem Willen des Ministerpräsidenten aus der Fusion von drei bestehenden Gesellschaften hervorgehen. Söder verspricht sich davon endlich mehr Dynamik bei der Schaffung von dringend benötigtem Wohnraum. Schon vor Jahren hatte er mit der BayernHeim einen CSU-Wahlkampfschlager komponiert. 10.000 neue Wohnungen sollten bis 2025 entstehen. Doch auf Söders Großbaustelle ging lange wenig voran. 

Nun will die Staatsregierung BayernHeim mit den beiden anderen staatlichen Wohnungsgesellschaften Stadibau und Siedlungswerk Nürnberg fusionieren – und setzt dabei auf einen Mann, der selbst noch ein paar Baustellen offen hat.

Jürgen Baumgärtner gilt als Bau-Experte der CSU-Landtagsfraktion. Und er hat in seinem Heimatlandkreis ein Riesending mit Immobilien gedreht. Doch ausgerechnet hinter seinem Vorzeigeprojekt stehen Fragezeichen.

Der Lucas-Cranach-Campus gilt als Hoffnungsschimmer für Kronach

„Hochschulstadt“ ist seit einiger Zeit auf den Ortsschildern von Kronach zu lesen. Da schwingt durchaus Stolz mit. Für eine kleine Stadt von knapp 17.000 Einwohnern im strukturschwachen Oberfranken ist so etwas ein echter Hoffnungsschimmer. Dass inzwischen mehr als 200 junge Menschen zum Studium hierherkommen, ist dem Lucas-Cranach-Campus (LCC) zu verdanken. Das Kommunalunternehmen hat es entgegen manchen Zweifeln geschafft, eine Außenstelle der Hochschulen Hof und Coburg nach Kronach zu holen. Der Mann hinter dem Projekt war Baumgärtner als geschäftsführender Vorstand. 

Doch die „hochschulorientierte Regionalentwicklung“, zu deren Zweck die Firma gegründet wurde, war ihm schon bald nicht mehr genug. Und so mutierte der LCC zum Immobilienhändler. 2022 kaufte man auf einen Schlag 644 Sozialwohnungen, die einmal der städtischen Kronacher Wohnungsbaugesellschaft gehört hatten. Mehr als 60 Millionen Euro flossen dafür – auf Kredit – an Union Investment. Ein Vielfaches dessen, was die Stadt einst dafür bekommen hatte.

Organisiert wurde das Geschäft von Baumgärtner, der auch hier in die Vollen ging. Und so beackert der Lucas-Cranach-Campus nun zwei Geschäftsfelder: neben der hochschulorientierten Regionalentwicklung auch den geförderten Wohnungsbau. Das alles passt schon irgendwie zusammen, wenn man die Zukunft einer abgehängten Region selbst in die Hand nehmen will. Nur wer trägt das Risiko des Millionen-Deals? Hat sich der Landkreis mit den Schulden übernommen?

644 Sozialwohnungen in Kronach wurden auf Kredit gekauft

Unsere Redaktion hat die Bilanzen durchforstet. Der Jahresabschluss 2022 weist für das Kommunalunternehmen LCC mehr als 78 Millionen Euro Verbindlichkeiten aus. Zum Vergleich: Das Haushaltsvolumen des gesamten Landkreises beträgt mit rund 100 Millionen Euro nur unwesentlich mehr. Die Immobilien dienen zwar als Gegenwert, wie der Landkreis auch betont. Doch mit welchem Geld sollen sie instand gehalten oder saniert werden? Ende 2022 war die Eigenkapitalquote mit 0,75 Prozent extrem niedrig. Und: Der LCC hat laut Jahresabschluss in drei Jahren etwa 3,6 Millionen Euro Minus gemacht.

Das Unternehmen argumentiert, die Rechnung würde ganz anders aussehen, wenn man den vereinbarten Zuschuss des Landkreises von 2,2 Millionen Euro jährlich als Einnahme und nicht als Eigenkapital verbuchen würde. Aber das tut man eben nicht. Und so sieht der Jahresabschluss aus, wie er aussieht: tiefrot. Für eine mit Steuergeldern finanzierte Firma ist das mindestens fragwürdig. So sieht das jedenfalls Prof. Sven-Joachim Otto. 

Der ehemalige CDU-Politiker unterstützt seit Jahrzehnten Kommunalbetriebe bei solchen Fragen. „Ich habe viele Wohnungsbauunternehmen kommunaler Art beraten. Da sind Eigenkapitalquoten von 20 Prozent und mehr üblich“, sagt Otto. „Eine sozusagen mikroskopisch kleine Eigenkapitalquote, verbunden mit rund 80 Millionen Schulden – das ist sicher nicht akzeptabel.“

CSU-Leute kennen zwei Versionen des Jürgen Baumgärtner

Droht die Kronacher Wohnbau-Wette zum Risikofaktor zu werden, zumal die Immobilienpreise zuletzt stark gesunken sind? Und ist dieser als Draufgänger beschriebene Jürgen Baumgärtner dann wirklich der Richtige, um den staatlichen Wohnungsbau in Bayern voranzutreiben? Diese Frage stellt man sich durchaus auch in der Landeshauptstadt. In Gesprächen mit CSU-Leuten stößt man auf zwei Versionen des Politikers. 

Wer es gut meint mit dem Kollegen, nennt ihn durchsetzungsstark. Andere zeichnen das Bild eines Karrieristen, der mit recht robusten Mitteln zu Werke geht. Immer wieder wird auf seine Expertise als Vorsitzender des Bauausschusses im Landtag verwiesen und auf dieses Projekt, das er da in Kronach auf die Beine gestellt habe. Doch der Lucas-Cranach-Campus wirft eben auch Fragen auf. Neben den hohen Schulden geht es zum Beispiel um ein Café im Stadtzentrum, das schon wieder weiterverkauft wurde – mit sattem Verlust.

Baumgärtner selbst will sich nicht äußern. Lediglich zum Hintergrundgespräch, aus dem nach journalistischen Gepflogenheiten nicht zitiert wird, können wir ihn in Kronach treffen. Einen vereinbarten Interviewtermin im Februar sagte er kurzfristig ab. Der Fragenkatalog, den er zur Vorbereitung bekommen hatte, habe ihn veranlasst, „beim Lucas-Cranach-Campus anzuregen, eine unabhängige Untersuchung betreffend meiner Tätigkeit als deren Vorstand“ zu starten. Der 50-Jährige gibt sich überzeugt, dass eine solche juristische Prüfung zu seiner „Entlastung beitragen könne“. Hat er womöglich doch die Grenzen des rechtlich Zulässigen überdehnt?

"Brutal und skrupellos", nennt ein Parteifreund den CSU-Abgeordneten

In der CSU spürt man Nervosität, wenn die Sprache auf den streitbaren Kollegen kommt. Und immer wieder landet man bei den zwei Seiten des Jürgen Baumgärtner. Als es im vergangenen Jahr darum ging, wer neuer Chef der CSU-Landtagsfraktion werden soll, lotete er offensiv seine Chancen aus und sammelte schon Truppen. Verblüffende Ambitionen für einen aus der zweiten Reihe. Doch wer ihm in die Quere kommt, kann die andere Seite des Politikers zu spüren bekommen. Ein Mitglied des Parteivorstands nennt ihn „brutal und skrupellos“. 

Eine CSU-Parlamentarierin, die erlebt hat, wie schnell er aus der Haut fahren kann, sagt: „Wenn der Jürgen das Gefühl hat, dass jemand hinter seinem Rücken agiert, hat er eine sehr kurze Zündschnur.“ Das bestätigen weitere Parteifreunde. Baumgärtners Kommunikation sei bisweilen „grenzwertig“. Was ihm hingegen niemand abspricht, ist sein extremes Engagement. Immer in die Vollen. Er wird als ein Mann beschrieben, der sich tief in Themen hineinfräst. 

Ist das der Grund, warum das politische Frühwarnsystem, das Parteien normalerweise bei der Vergabe mächtiger Posten aktiviert haben, in seinem Fall nicht anschlägt? Ist er Favorit auf den Spitzenjob der Super-Wohnungsgesellschaft, weil das Zusammenwachsen von drei Einheiten jemanden braucht, der harte Entscheidungen einfordert? Oder geht es darum, einem Parteifreund ein Amt zu verschaffen, um endlich Ruhe im Laden zu haben?

Der Posten sei doch naheliegend, sagt einer, der sich gut auskennt mit den Mühlen des staatlichen Bauwesens. Baumgärtner habe schließlich viel Erfahrung. Das bestätigt auch Klaus Holetschek. „Als Vorsitzender des Landtagsausschusses für Wohnen, Bau und Verkehr ist er gut im Stoff“, sagt der CSU-Fraktionschef und fügt hinzu: „Er ist ein Macher, der Dinge vorantreiben will. Er scheut sich nicht, Probleme direkt anzusprechen, auch wenn er sich damit nicht nur Freunde macht.“ Wahrlich hat Baumgärtner nicht nur Freunde, selbst in der eigenen Partei.

Manche sagen, er setze seine Interessen mittels Einschüchterung durch. Andere halten dagegen, er sei halt einer der wenigen echten Typen. Einer, der sich nichts gefallen lässt – was sich etwa im „brutalen Kampf mit der AfD“ zeige, den er mit offenem Visier führe. Baumgärtner, der als Jugendlicher selbst der Neonaziszene angehört hatte, wird in der CSU als ermutigendes Beispiel dafür gesehen, wie sich Menschen auf Abwegen wieder für die Demokratie gewinnen lassen.

"Wer Politik macht - Helm auf!", lautet ein Motto von Jürgen Baumgärtner

Andererseits verkörpert er eben auch ein altbekanntes CSU-Muster: das des engagierten, unkonventionellen Stimmenkönigs, der das Beste für seine Heimat herausholen will, dabei aber mit den Jahren die Grenzen des Vertretbaren immer weiter ausreizt. Er selbst scheint sich mit diesem Ruf nicht unwohl zu fühlen. Viel Feind’, viel Ehr’? Im Hintergrundgespräch sagt er: „Wer Politik macht – Helm auf!“ Später stimmt er zu, dass wir zumindest diesen Satz zitieren dürfen. 

Und nun? Die Verschmelzung der Wohnungsbaugesellschaften zieht sich hin. Oder, wie es ein Sprecher des Bauministeriums in schönstem Behördendeutsch ausdrückt: „Im Rahmen eines Gutachtens werden derzeit rechtliche Fragen in Zusammenhang mit der konkreten Ausgestaltung der Unternehmensstruktur vertieft untersucht.“ Bis zum Sommer soll die Organisation stehen. Mit dem Chefaufseher Jürgen Baumgärtner?

Bis vor Kurzem schien das ausgemachte Sache. Seinen Posten beim LCC hat er schon aufgegeben. Der Ministerpräsident hat die Personalie Baumgärtner nach unseren Recherchen intern schon verkündet. Auf Anfrage allerdings mauert das zuständige Bauministerium: „Für Besetzungen von Spitzenpositionen gibt es klare Regelungen, die eingehalten werden.“ Entscheidungen gebe es bisher keine. Das ganz normale Business? Oder ist Markus Söder die Sache mit dem Hochrisiko-Mann am Ende doch zu riskant?

 
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