Eigentlich müsste der CSU-Spitzenkandidat für die Bundestagswahl ja bereits schwer im Wahlkampfstress sein. Doch Joachim Herrmann ist auch in diesen Tagen die Ruhe selbst. Kürzlich zum Beispiel verwendet er fast einen ganzen Tag darauf, Nordostbayern mit der Bahn zu erkunden, um auf die Notwendigkeit der Elektrifizierung wichtiger bayerischen Bahntrassen hinzuweisen. Der Tag produzierte immerhin eine schöne Schlagzeile: „Herrmann unter Strom“.
Die Unaufgeregtheit, mit der der Erlanger derzeit die Herausforderung, bayerische Wahlkampflokomotive der Union zu sein, angeht, ist typisch für ihn: „Leute, die Hektik machen, gibt es immer und überall schon genug“, lautet sein Credo. Da muss der Chef nicht noch zusätzlich für Wallung sorgen. Übersetzt in seine Wahlkampfstrategie heißt das: nur kein sinnloser Aktionismus. Die Wähler wollten gerade bei seinem Kernthema „Innere Sicherheit“ keinen politischen Springinsfeld, der für die schnelle Schlagzeile unnötige Konflikte produziert, ist Herrmann überzeugt. Sondern einen glaubwürdigen Politiker, der vor allem gewissenhaft seinen Job erledigt.
Und so beackert der 60-Jährige auch wenige Wochen vor der Wahl, die ihm einen Karrieresprung nach Berlin verschaffen soll, gewissenhaft die vielen Themenfelder seines derzeitigen Jobs als bayerischer Innenminister: kommunale Wohnraumförderung, Verkehrsunfall-Statistik, Gaffer-Schutzwände an der Autobahn, der Ausbau des Erdinger Bahnhofs, die Übergabe von E-Autos an die Staatsbauverwaltung – Herrmann macht noch immer alles selbst. Soll bloß keiner sagen, er sei mental schon in Berlin.
Die demonstrative Gelassenheit darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass da einer brennt für seine neue Aufgabe – zumal der Wahlkampf ohnehin erst jetzt so richtig in Fahrt kommen soll: Jeden bayerischen Wahlkreis will Joachim Herrmann in den verbleibenden gut fünf Wochen besuchen. Auch mehrere gemeinsame Auftritte mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sind geplant – an diesem Freitag zum Beispiel in Bad Kissingen.
Herrmanns beruflicher Ehrgeiz wurde oft schon unterschätzt: 2008 etwa, als es um die Nachfolge von Edmund Stoiber als Ministerpräsident ging und gleich eine ganze Handvoll CSU-Granden ihren Hut in den Ring warfen, wurde auch Herrmann gefragt, ob er denn selbst Interesse hätte. Nein, nein, wiegelte er damals zwar entschieden ab – um mehr zu sich selbst halblaut anzufügen: „Noch nicht.“
In den folgenden Jahren war der Reserveoffizier stets davon überzeugt, dass er weitere Karrieresprünge nicht in der machtpolitischen Feldschlacht mit anderen Prinzlingen wie Markus Söder erzwingen kann – sondern geduldig auf seine Chance warten muss. 2011 hätte er allerdings schon einmal nach Berlin wechseln können: Nach dem Rücktritt von Karl-Theodor zu Guttenberg suchte CSU-Chef Horst Seehofer fast händeringend nach einem ministrablen Nachfolger. Doch Herrmann lehnte damals noch aus familiären Gründen ab.
Im vergangenen Sommer, als Bayern durch die Attentate von Würzburg, Ansbach und München erschüttert wurde, überzeugte Herrmann dann vor allem durch die Eigenschaften, die ihm zuvor mitunter als Schwäche ausgelegt worden waren: Was manchen vorher als Behäbigkeit erschien, wirkte nun wohltuend ruhig, konzentriert und sachlich. Längst einer der profiliertesten Innenpolitiker in Deutschland, gewann er durch sein Krisenmanagement weiter an Statur – nicht nur in Bayern, sondern gerade auch in Berlin als Gegengewicht einer in der Krise mitunter recht unsicher wirkenden Bundesregierung.
In der Sicherheitspolitik fährt Herrmann meist eine harte Linie, die jedoch weniger auf Rechtsverschärfungen drängt, als die konsequente Umsetzung bestehender Regeln einfordert. Der Jurist ist allerdings kein Scharfmacher und wählt seine Worte in der Regel mit Bedacht: So enthielt in den vergangenen Jahren so gut wie jede Herrmann-Rede zur Flüchtlingspolitik neben Forderungen nach Grenzkontrollen, Identitätsprüfung oder konsequenten Abschiebungen auch den klaren Hinweis, dass bayerische Sicherheitsbehörden unter seiner Führung auch jede Form von Gewalt gegen Asylbewerber knallhart verfolgen werden.
Das bayerische Erfolgsrezept in Sachen Innere Sicherheit will Hermann nun auf ganz Deutschland übertragen: „Es ist mehr Sicherheit möglich, als heute in Deutschland in weiten Teilen Realität ist“, lautet dabei einer seiner Kernsätze. Oder knapper: „Wir brauchen mehr Bayern in Berlin.“ Als personifizierter Garant für Recht und Gesetz soll Hermann aber wohl vor allem in Bayern Merkel-skeptische CSU-Wähler wieder von seiner Partei überzeugen.
Dass ihn die CSU aber als Merkel-Aufpasser nach Berlin schickt, wie zuletzt manche Medien formulierten, würde Herrmann sich nie zu eigen machen. Ohnehin verzichtete er bei aller Kritik in der Sache selbst im chaotischen Flüchtlingsherbst 2015 – anders als etwa Seehofer – auf direkte Attacken auf die Bundeskanzlerin. Eine Zurückhaltung, die ihm nun zugutekommen könnte.
Loyalität ist für Herrmann extrem wichtig: In mehr als neun gemeinsamen Jahren im bayerischen Kabinett habe er nie einen „Anflug von Unzuverlässigkeit oder Intrige“ erlebt, lobte Regierungschef Horst Seehofer seinen Innenminister bei der Spitzenkandidaten-Kür Anfang Mai. Mehr noch: „Man fühlt sich bei dir einfach geborgen und in Sicherheit“, schmeichelte ihm der Parteichef.
Von Seehofer hat der CSU-Spitzenkandidat die Zusage, nur nach Berlin zu wechseln, wenn die CSU den Bundesinnenminister stellen darf. Dass er etwa stattdessen seinen CSU-Parteifreund Alexander Dobrindt als Bundesverkehrsminister beerben könnte, weist Joachim Herrmann freundlich, aber entschieden von sich. So weit reicht seine Liebe zur Bahn dann doch nicht. Foto: dpa