
Im Fall des schweren Mobbings an einer Nördlinger Realschule arbeiten mehr als zehn Ermittler daran, den Täter zu überführen. Darunter seien speziell ausgebildete IT-Kriminalisten, betonte der Leiter der Kriminalpolizei in Dillingen, Michael Lechner, am Dienstag gegenüber der „Augsburger Allgemeinen“. Sie werten Material auf den sichergestellten Datenträgern eines 14-Jährigen aus, der mehrere Achtklässler über Monate gemobbt haben soll. Er steht im Verdacht, zuletzt eine Todesanzeige für einen seiner Schulkameraden in der Zeitung veröffentlicht zu haben. Anfangs hatte der Täter die Schüler vor allem im Internet belästigt. Cybermobbing nennt man dieses Phänomen, das im Zeitalter des Smartphones andere Formen des Mobbings überlagert oder ersetzt.
Die deutschlandweite Studie „Jugend, Information, Multimedia“, kurz JIM, befragt Schüler seit mehreren Jahren zu Ausgrenzungserfahrungen im Netz. Jeder fünfte Jugendliche zwischen zwölf und 19 Jahren musste Zahlen aus dem Jahr 2018 zufolge schon erleben, dass falsche oder beleidigende Inhalte über ihn über das Smartphone oder online verbreitet wurden. Und jeder Dritte kennt zumindest jemanden, der im Netz diskriminiert wurde. Die Statistik belegt allerdings nicht, dass die Zahl schwerer Mobbingfälle im Internet-Zeitalter deutlich angestiegen ist. Nur, weil heute 97 Prozent der Jugendlichen ein Smartphone besitzen – über 20 Prozent mehr als noch vor fünf Jahren – gibt es also nicht zwangsläufig mehr Täter.
Drei bis fünf Prozent leiden unter schwerem Mobbing
Jörg Breitweg, Experte für Gewaltprävention bei der Aktion Jugendschutz in Bayern, erklärt das so: „Ich denke, früher war es nicht besser. Körperliche Gewalt wurde noch eher geduldet, dafür finden heutzutage die Angriffe auch online statt.“ Drei bis fünf Prozent leiden unter schwerem Mobbing Die Grenzen zwischen Mobbing im Internet und in der realen Welt sind demnach fließend. „Wer auf dem Schulhof Opfer wird, muss auch Cybermobbing befürchten. Und geht ein Foto im Internet herum, läuft das Mobbing in der Schule weiter.“ Bei der Aktion Jugendschutz, die vom bayerischen Familienministerium gefördert wird, nimmt man an, dass derzeit drei bis fünf Prozent der Schüler unter schwerem Mobbing leiden, bei dem sie mindestens einmal die Woche über mehr als ein Jahr hinweg belästigt werden.
Ein Problem speziell beim Cybermobbing stellt jetzt auch die Nördlinger Polizei wieder vor Schwierigkeiten: Die Taten sind schwer nachzuverfolgen, sofern sie nicht unter Klarnamen über Whatsapp oder Soziale Medien stattfinden. Denn das Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung besagt, dass Anbieter von Kommunikationsdiensten nicht verpflichtet sind, Informationen ihrer Kunden über einen längeren Zeitraum zu speichern. Kripo-Leiter Michael Lechner: „Fakt ist, dass für die Polizei eine Speicherung der Daten besser wäre.“ Im Nördlinger Fall sei die Polizei im Oktober über die Mobbingfälle informiert worden. Daten aus der Zeit vor den Sommerferien seien da längst nicht mehr verfügbar gewesen. Außerdem würden Anonymisierungs-Anbieter die Aufklärung von Kriminalität im Internet erschweren, sprich: die IP-Adressen verschlüsseln. Immer wieder hatte es in den vergangenen Jahren Fälle gegeben, in denen Ermittlungen bei Bedrohungen via Internet ins Leere liefen. Ein Beispiel, bei dem Jugendliche weltweit in Angst und Schrecken versetzt wurden, war der Kettenbrief Momo. Eine Computerstimme hatte darin Kinder mit dem Tod bedroht. Für Ermittler war es unmöglich nachzuvollziehen, in welchem Land der Urheber saß.