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WÜRZBURG
Jan Böhmermanns regelmäßige Medienerdbeben
Lukas Will
Lukas Will
 |  aktualisiert: 26.04.2016 03:35 Uhr

Von den einen wird Jan Böhmermann als genialer Satiriker gefeiert, von anderen etwa als „Mario Barth der pseudo-intelligenten Hipster“ abgekanzelt. Mit seinem Schmähgedicht über Erdogan hat der 35-Jährige nicht nur eine veritable Staatsaffäre ausgelöst, sondern sich auch spätestens jetzt ins Bewusstsein aller Deutschen katapultiert. Der Moderator hat sich nun erst mal eine Atempause von Fernsehen und Radio auferlegt, die kommenden Sendungen sind abgesagt. Hat sich Böhmermann mit seiner provakanten Schmäh überschätzt? Es wäre das erste Mal. Wer ist dieser Mann, der regelmäßig Medienerdbeben verursacht?

Die Erdogan-Affäre war nicht Böhmermanns erster großer Coup. Erst im Frühjahr vergangenen Jahres löste der Fernsehmoderator mit „Varoufake“ eine Debatte aus. Kürzlich erhielt der Unterhalter dafür sogar den Grimme-Preis. Böhmermann blamierte damals Günther Jauch mit einem gefälschten Video, das Jauch in seiner Talksendung für authentisch hielt.

Die Verwirrung um den Stinkefinger des damaligen griechischen Finanzministers dürfte für viele bis heute noch nicht ganz aufgelöst sein, denn Böhmermann garnierte die Verwirrung mit weiteren Falschmeldungen. Einige Monate zuvor hatte er schon Stefan Raab mit einem ähnlichen Trick düpiert. Und noch nicht lange ist es her, dass Böhmermann es mit seinem satirischen Rap-Lied „Ich hab Polizei“ von den Schlagzeilen bis in die Charts schaffte. Fakt ist: Böhmermann stieß in letzter Zeit so viele gesellschaftliche und medienethische Debatten an, wie kaum ein anderer Fernsehmacher.

„Man muss auch mal so richtig geil vor die Wand fahren und für alle sichtbar scheitern“, sagte der 35-Jährige einmal in einem Interview. Diese Einstellung hat ihm bisher nicht geschadet. Der Aufstieg des Unterhalters gleicht einem Raketenstart. Als Böhmermann im Februar 2011 in der Würzburger Posthalle mit Moderator Klaas Heufer-Umlauf das Kabarett „Zwei alte Hasen erzählen von früher“ aufführte, war letzterer der aktuell angesagte Stern am TV-Himmel. Aber Böhmermann? Wer soll das sein? Schlagfertig war er ja. Aber Heufer-Umlauf war es, der den Abend zu einem guten Abend machte.

Würden die beiden heute wieder ein Bühnenprogramm spielen, könnte das genau andersrum sein. Böhmermann hat ein ungeheures Arsenal an Gags, dass er selbst im Schlaf abfeuern kann. So schadet es auch nicht, wenn er sich wieder mal kaum vorbereitet hat, wie er gerne gegenüber seinen Gästen in der Sendung zugibt. Denn genau das ist seine Stärke. Die geplante Spontaneität ist sein Schlüssel zum Erfolg.

Dies beweist er jede Woche, wenn er mit seinem Kumpel Olli Schulz die Radiosendung „Sanft und Sorgfältig“ moderiert. Darin erzählen die beiden Quatschmacher Anekdoten aus ihrem Leben, philosophieren über amerikanische Fernsehserien, ihre Jugendsünden oder Tankstellenbockwürste.

Klingt höchst banal, ist aber höchst unterhaltsam – und oftmals sogar lehrreich. Hört man den beiden am Sonntag in der zweistündigen Sendung zu, fühlt es sich fast so an, wie mit seinen zwei besten Freunden am Tisch zu sitzen und über Gott und die Welt zu schwadronieren. Privat ist jedoch wenig über „das Mysterium Böhmermann“, wie ihn Olli Schulz betitelte, bekannt. Nach eigener Aussage hat er „mehrere Kinder“, ist in Bremen-Nord geboren, Sohn eines Kriminalpolizisten und lebt heute in Köln.

Privat sei er eher zurückhaltend, hasse Smalltalk. Das gibt er von sich preis, „damit die Leute wissen, wo ich ungefähr stehe“.

Der Medienkenner, der seinen Erfolg aus den Misserfolgen anderer strickt, weiß haargenau, welche Bereiche er von sich schützen muss und welche er veröffentlichen kann. „Ich gebe zwar private Inhalte preis, aber das ist sehr kontrolliert und das wissen die Leute, glaube ich, auch“, sagte Böhmermann dem Onlineportal „Planet Interview“.

Der Selfmade-Satiriker hat sich vom Zeitungsausträger bis ins Hauptprogramm des ZDF hochgearbeitet. Einen ersten Erfolg feierte der gelernte Radiojournalist und Studienabbrecher 2005 mit „Lukas‘ Tagebuch“. In dem Hörfunkformat parodierte er Lukas Podolski. Der Fußballspieler reagierte pikiert, klagte erfolglos und verweigerte der ARD bei der Weltmeisterschaft 2006 TV-Interviews. Böhmermanns erstes Skandälchen. Später fungierte er als Autor und Sidekick von Harald Schmidt.

2012 kam „Roche & Böhmermann“ ins Fernsehen. Die Talksendung hob sich von anderen Genrevertretern ab, indem die beiden Moderatoren ihren Gästen neben Fragen abseits der journalistischen Norm auch mal die Meinung geigten. Wer viel redete, redete eben viel, wer sich zurückhielt, kam kaum zu Wort. Nebenbei wurde geraucht und getrunken.

Nach dem Zerwürfnis mit Moderatorin Charlotte Roche, gab es dieses Jahr eine Neuauflage der Sendung mit Olli Schulz. Seit 2013 macht Böhmermann die TV-Sendung „Neo Magazin“, zunächst auf dem Spartenkanal ZDF Neo, inzwischen im Hauptprogramm unter dem Namenszusatz „Royale“, in der er auch das Schmähgedicht vortrug.

Mit Böhmermann wollten die ZDF-Verantwortlichen wieder die junge Generation anlocken, die schon lange zuvor vom Fernsehen zu Youtube übergelaufen ist. Dass der Satiriker das ältere Publikum mit seiner Schamlosigkeit vergraulen könnte, versuchte man abzufangen, indem seine Sendung auf einen nächtlichen Sendeplatz verfrachtet wurde. Doch in Zeiten, in denen massenhaft kurze Ausschnitte im Netz geteilt werden, lässt sich nicht mehr aufhalten, was einmal in der Welt ist.

„Ohne künstlerische Kompromisslosigkeit geht es nicht. Wenn ich von etwas überzeugt bin, versuche ich auch, es angstfrei durchzuziehen“, sagte Böhmermann einmal dem „Spiegel“. Nun zieht die Affäre um Erdogan immer größere Kreise, Böhmermann steht inzwischen unter Polizeischutz, ihn erwartet vermutlich eine Anklage.

Selbst für den sonst so ausgebufften Satiriker dürfte dies eine Nummer zu viel sein. In der Hand hat er das ganze ohnehin nicht mehr. Doch wer weiß, vielleicht ist der Kontrollverlust auch nur Kalkül, und Böhmermann wartet nur auf den richtigen Moment, um den nächsten Eklat zu verursachen. Zuzutrauen wäre es ihm.

 
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