
Herr Ihm, im Januar 2022 haben sich mehr als hundert katholische Priester, Ordensleute oder Religionslehrerinnen als homo-, bi- oder transsexuell geoutet. Wie fanden Sie als Pastoralreferent des BistumsAugsburgdie Initiative "#OutInChurch"?
Andreas Ihm: Ich war wahnsinnig bewegt, auch von dem, was in der begleitenden ARD-Doku zu sehen war. Mich hat vieles, auch schmerzliches, an meine eigene Biografie erinnert.
Führten Sie ein Doppelleben?
Ihm: Ich arbeite seit mehr als 20 Jahren für das BistumAugsburg, sei es als Hochschulseelsorger oder als Polizeiseelsorger. Immer habe ich versucht, meine private Lebenssituation so wenig wie möglich zu erwähnen. Wenn ich nach einer Partnerin gefragt wurde, sagte ich eben, dass ich derzeit keine Beziehung führe. So war ich für viele "der alleinstehende Mann". Teilweise habe ich mein Privatleben vor Kolleginnen und Kollegen regelrecht abgeschirmt. Ich wollte mich einfach nicht dem Risiko aussetzen, dass mir mein Arbeitgeber, die katholische Kirche, kündigt. Denn das sah das kirchliche Arbeitsrecht vor. Also musste ich einen Teil von mir verleugnen.
Dennoch arbeiteten Sie weiter für die Kirche. Wie schafften Sie das?
Ihm: Mein Glaube hat mich in der Kirche gehalten, und er tut es noch. Die Botschaft, die Jesus vermittelte, ist eine einladende – für alle Menschen, egal welchen Geschlechts und welcher sexuellen Orientierung. Zu Jesus durften alle kommen, das will ich weitertragen. Und ich habe Kirche ja durchaus auch als offen erlebt. Einzelnen Kolleginnen und Kollegen habe ich mich als schwul geoutet.
Sie gehörten im April 2022 zu den Erstunterzeichnenden einer "Solidaritätserklärung zu OutInChurch", "AugsburgOhneAngst", der sich in kurzer Zeit hunderte Mitarbeitende und Engagierte aus dem Bistum anschlossen. Dass Sie schwul sind, wusste Ihr Arbeitgeber damals nicht. Hatten Sie Angst?
Ihm: Angst nicht, mir war aber unwohl. Ich wusste ja nicht, wie die Bistumsleitung darauf reagiert.
Sie hatten immer wieder mit Bischof Bertram Meier zu tun. Wie war seine Reaktion?
Ihm: Es gab zunächst ein Gespräch von Initiatorenseite mit dem Generalvikar, in dem einige Kolleginnen und Kollegen und ich sich geoutet haben. Persönlich habe ich es dem Bischof erst im Dezember 2022 gesagt. Ich dachte mir: Es braucht ein Zeugnis!
Ein Zeugnis?
Ihm: Ein klares Bekenntnis zu meiner sexuellen Orientierung mir und anderen gegenüber: Nehmt das wahr! Nehmt mich wahr! Dabei ging es mir gar nicht so sehr um mich. Sondern um all die Personen, die sich kirchlich engagieren und darunter leiden, dass sie ihre sexuelle Orientierung oder Identität verstecken mussten.
AugsburgOhneAngst hatte von Meier gefordert: "Unterstützen Sie eine Veränderung des kirchlichen Arbeitsrechts, die Rechtssicherheit für queere Mitarbeiter:innen bietet!" Er hatte sich zuvor zurückhaltend geäußert.
Ihm: Das Ziel, dass die Bischöfe das kirchliche Arbeitsrecht ändern, war dennoch im November 2022 erreicht. In diözesanes Recht umgesetzt war es in Augsburg auch schon zum 1. Januar 2023. Der Kernbereich privater Lebensgestaltung, insbesondere Beziehungsleben und Intimsphäre sollen nun rechtlichen Bewertungen entzogen bleiben.
Im Katechismus der Katholischen Kirche heißt es dagegen nach wie vor, dass homosexuelle Handlungen "in sich nicht in Ordnung" seien. Sie verstießen gegen das natürliche Gesetz.
Ihm: Insofern stehen sich nun kirchliches Arbeitsrecht und Sexualmoral diametral gegenüber. Für mich gleicht das einem Spagat. Wir sind noch lange nicht am Ziel. Es muss weitergehen.
Können Mitarbeitende im Bistum denn jetzt ohne Angst sein?
Ihm: Ich kann das momentan nur aus meiner Perspektive beantworten: Ich bin deutlich angstfreier. Meine Kolleginnen und Kollegen sagen mir, dass ich viel ruhiger geworden bin und offener wirke. Ich bin anders geworden. Man merkt offensichtlich, dass etwas von mir abgefallen ist. Zugleich merke ich, dass ich manchmal in alte Muster zurückfalle. Ich hatte mir ja über 20 Jahre ein Konstrukt aufgebaut, was ich erzählen kann und was nicht. Jetzt offen über meine Lebenssituation zu sprechen, fällt mir manchmal noch schwer.
Und nun übernehmen Sie zum 1. September die vor wenigen Monaten neu geschaffene Planstelle für "queersensible Pastoral". Hätte es die ohne OutInChurch und AugsburgOhneAngst gegeben?
Ihm: Ich glaube nicht – zumindest nicht in dieser Form. Ich bin überrascht, was alles in etwas mehr als einem Jahr möglich war. Gerade schreibe ich am Konzept für die Stelle. Ich will für die queeren Menschen, ihre Angehörigen und Freunde in unserem Bistum da sein, gleichzeitig für einen sensibleren Umgang mit der Thematik werben und vermitteln. Das braucht Zeit, aber wir haben die ersten Schritte getan.
Zur Person Andreas Ihm, 46, ist Pastoralreferent und bislang als Polizeiseelsorger und Social Media Manager für die Diözese tätig.
TV-Tipp Große Aufmerksamkeit erlangte die ARD-Doku "Wie Gott uns schuf", die am 24. Januar 2022 ausgestrahlt wurde. In ihr bekannten sich hundert Gläubige im Dienst der katholischen Kirche zu ihrer sexuellen Orientierung oder Identität. Nun ist in der ARDMediathek die Nachfolge-Doku "Wie Gott uns schuf – nach dem Coming-Out" zu sehen. In ihr kommt auch der Würzburger Hochschulpfarrer Burkhard Hose zu Wort. Er ist Vorstandsmitglied des Ende Januar gegründeten Vereins #OutInChurch.