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Lehrermangel
Pensionierte Lehrkräfte helfen aus: "Die Kinder haben sich verändert"
Weil Lehrerinnen und Lehrer fehlen, holt das Kultusministerium Rentner zurück. Auch Ruth Budak-Scheuringer und Dorothea Klimm-Kizil unterrichten wieder – und wissen, inwiefern Schule und Kinder heute anders sind.
Digitalpakt.jpeg       -  Eine Lehrerin schreibt eine Mathematikaufgabe auf eine digitale Schultafel im Klassenraum einer 4. Klasse einer Grundschule.
Foto: Julian Stratenschulte, dpa | Eine Lehrerin schreibt eine Mathematikaufgabe auf eine digitale Schultafel im Klassenraum einer 4. Klasse einer Grundschule.
Sarah Ritschel
 |  aktualisiert: 11.03.2024 10:03 Uhr

Frau Klimm-Kizil, Frau Budak-Scheuringer, Sie sind 72 und 68 Jahre alt und lehren jetzt wieder an der Birkenau-Grundschule in Augsburg-Lechhausen. Sie könnten die Großmütter der Kinder sein, die Sie dort unterrichten. Ist das komisch?

Ruth Budak-Scheuringer: Gar nicht! Auch wenn ich kürzlich eine lustige Situation erlebt habe: Ich hatte eine Mutter um ein Gespräch gebeten – und wir haben festgestellt, dass sie als Kind auch meine Schülerin war!

Sie sind mit 64 Jahren vorzeitig in Pension gegangen, Frau Budak-Scheuringer. Frau Klimm-Kizil, Sie könnten schon seit 2017 ihren Ruhestand genießen. Warum stehen Sie beide heute wieder im Klassenzimmer?

Budak-Scheuringer: Nun ja, wir wissen beide, dass an den Schulen Lehrkräfte fehlen. Ich habe noch im ersten Jahr in Rente damit begonnen, hier an der Schule die Lernbegleitung für Kinder zu übernehmen, die kein Deutsch können. Das strukturierte meine Woche. Dorothea war auch dabei. Als das Angebot ausgelaufen ist, haben wir uns gefragt: Was machen wir jetzt? Und wir kamen zu dem Schluss: Machen wir, was wir am besten können. Wir haben uns beim Schulamt beworben – und wurden mit Handkuss genommen. Parallel hat mich auch ein Brief vom Kultusministerium erreicht, ob ich für ein paar Wochenstunden ins Klassenzimmer zurückkehren würde. Aber da war ich ja längst im Dienst.

Klimm-Kizil: Ich habe fast zeit meines Lebens Vollzeit als Lehrkraft gearbeitet. Von 100 Prozent runter auf null, das konnte ich mir nicht vorstellen. Andere Rentner lernen Sprachen oder gehen wieder in die Uni. Für mich ist die Rückkehr an die Schule eine super Möglichkeit, um geistig aktiv zu bleiben und Kontakt zu Kindern und Kollegen zu haben. Mir ist zwar gesagt worden: Du wirst schon sehen, die Jungen grenzen dich aus. Das habe ich überhaupt nicht erlebt. Im Gegenteil, junge Lehrkräfte haben mir Hilfe angeboten, weil ich mit dem Computer nicht so fit bin. Ich habe keinerlei schlechte Erfahrungen gemacht und man bekommt auch von den Kindern so viel positive Rückmeldung.

Wie viel unterrichten Sie?

Klimm-Kizil: Wir halten beide sechs Unterrichtsstunden an zwei Tagen die Woche. In einer Klasse sitzen bis zu 25 Schülerinnen und Schüler, das ist schon herausfordernd. Früher hat man die Klassen im Werkunterricht immer geteilt, da hatte man dann zwischen zehn und zwölf Kinder, das war ideal und man konnte natürlich viel intensiver mit ihnen arbeiten. Schade, dass wir jetzt so große Gruppen betreuen müssen. Aber das Problem lässt sich nicht lösen, weil wir nicht genügend Personal haben. 

Haben sich die Kinder denn verändert?

Budak-Scheuringer: Ja. Die Schere geht so weit auseinander. Ich habe ganz schwache Kinder im Unterricht – und hochintelligente. Das Mittelfeld bricht immer mehr weg. Ich habe eine dritte Klasse, da merkt man ganz deutlich, dass sie während der ersten Klasse im Corona-Lockdown waren. Man sieht sofort, wer zu Hause gefördert wurde. Zum Beispiel merkt man das an der Feinmotorik.

Klimm-Kizil: Die Konzentration ist auch ein Problem, die Aufmerksamkeitsspanne. Darum haben wir jetzt hier auch zweimal Pause und nicht einmal wie zu unserer aktiven Zeit. Deshalb halten wir übrigens auch Werken für so ein wichtiges Fach. Die Arbeit mit Holz und Metall macht besonders hibbeligen Kindern Spaß, weil sie da praktisch mit Werkzeugen arbeiten dürfen.

Eine Studie hat vor ein paar Monaten gezeigt, dass jedes vierte Viertklasskind nicht ausreichend lesen kann. Und – wie Sie sagen – die Leistungsunterschiede unter Schülerinnen und Schülern driften weiter auseinander. Bemerken Sie das auch in Ihrem Fach?

Kimm-Kizil: Es gibt immer mehr Kinder, die noch mehr Hilfe bräuchten, als man ihnen geben kann. Ich habe früher immer gedacht: fördern, fördern, fördern. Heute glaube ich, dass einfach irgendwann eine Grenze erreicht ist. Man kann als Lehrkraft bis zu einem bestimmten Grad fördern. Aber wenn es zu viele Defizite gibt, wenn es den Eltern daheim nicht möglich ist, ihre Kinder ausreichend zu unterstützen, dann wird es schwierig für uns Lehrerinnen und Lehrer, das aufzufangen. 

Wie hat sich der Lehrerberuf verändert seit den Siebzigerjahren, als Sie angefangen haben?

Budak-Scheuringer: Es wird alles irgendwie immer komplizierter. Für Lehrkräfte ist so viel dazugekommen. Bürokratie vor allem. Man muss vieles ganz genau dokumentieren, zum Beispiel die Ausgaben für den Werkunterricht.

Klimm-Kizil: Inhaltlich musste man im Laufe der Jahrzehnte immer breiter gefächert arbeiten. Du musst für die ganz Schwachen etwas anbieten, für die mittlere Gruppe, und die sehr guten Schüler müssen auch sinnvoll beschäftigt sein. Als ich jung war, haben halt alle ungefähr dasselbe gemacht. Das hatte etwas Gemütliches. Und wenn Eltern sich beschwerten, dann kamen sie zu mir als Fachlehrerin. Heutzutage überspringen sie die Lehrkraft und gehen gleich zu den Vorgesetzten. Und den Lehrkräftemangel merkt man heute viel deutlicher als zu unserer aktiven Zeit.

Immer weniger junge Menschen wollen Lehrkräfte werden. Die Zahl der Studienanfänger im Lehramt ist binnen fünf Jahren um fast 20 Prozent zurückgegangen. Würden Sie denn heute noch regulär Lehrerinnen sein wollen, in Vollzeit und mit allem Drum und Dran?

Klimm-Kizil: 29 Stunden mit ungeteilten Klassen, das kann ich mir ehrlich gesagt nicht mehr vorstellen. 

Budak-Scheuringer: Wenn ich ganz ehrlich bin: Ich auch nicht. Ich bin gerne Lehrerin, mit Leib und Seele. Aber so wie im Moment das Schulsystem ist, würde ich es nicht wollen. Da müsste sich einiges gewaltig ändern. Es wird ja an allem gespart. Die räumlichen Gegebenheiten sind schwierig, gerade bei den großen Gruppenstärken. Wir Lehrkräfte hätten so viele Ideen, wir könnten so viel machen. Ich zum Beispiel bin total digital-affin, hole mir viel Inspiration auf Instagram. Aber Schulen bekommen kein Personal, weil der Ist-Zustand ist, wie er ist. Kürzlich habe ich einen Podcast gehört. Ein bekannter Wissenschaftsjournalist meinte da: Die Schulen müssten die schönsten und am besten ausgestatteten Gebäude der Stadt sein - da ja die Kinder auch das Wertvollste sind, was wir haben.

 
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