
Herr Karmasin, die bayerischen Landkreise tagen ab Mittwoch zum Thema Gesundheitsversorgung. Vor welchen Problemen stehen Krankenhäuser im Freistaat aktuell?
Thomas Karmasin: Wir haben momentan eine nie gekannte schlechte Stimmung im Krankenhausbereich. Es gibt enorme Betriebskostendefizite der Krankenhäuser. Das sind keine Einzelfälle, bei denen in einzelnen Häusern schlecht gewirtschaftet wurde. Das ist auf breiter Front so. Eine Krankenhausreform ist grundsätzlich nicht verkehrt, aber die geplante beachtet die Besonderheiten, die wir etwa in Bayern haben, nicht. Man muss das Ganze betrachten: Wie geht es mit der Ausbildung der Ärzte weiter? Wie wird die Notarztversorgung, die zu 80 Prozent von den Kliniken gestemmt wird, aufrechterhalten?
Die Notarztversorgung ist vor allem im ländlichen Bereich eine Herausforderung. Hat Gesundheitsminister Lauterbach die ländlichen Regionen vergessen?
Karmasin: Das befürchten wir. In großen Städten gibt es weniger Probleme. Wenn eine Klinik keine Kapazitäten hat, geht man eben zur nächsten. Aber im ländlichen Raum brauchen die Menschen ihre Kreiskrankenhäuser vor Ort. Die jetzt geplanten Level 1i-Häuser sind Pflegestationen – Krankenhaus kann man das nicht mehr nennen, da ist nicht mal ein Arzt oder eine Ärztin vor Ort –, werden das nicht ersetzen können. Diese Häuser können keine medizinische Ausbildung mehr bieten und auch keine Notarztversorgung abdecken.
Wie viele Kliniken stehen in Bayern denn vor dem Aus?
Karmasin: So genau können wir das nicht sagen. Wir wissen, dass die 400 Krankenhäuser in Bayern miteinander etwa eine Milliarde Euro Betriebskostendefizite haben. Wenn nicht schnell neues Geld ins System kommt, dann werden viele Krankenhäuser diese geplante Reform gar nicht mehr erleben, weil sie vorher pleitegehen. Oder die Landkreise müssen mit so erheblich viel Geld aushelfen, dass sie damit ihre Kreishaushalte sprengen. Beides ist nicht wünschenswert.
Was genau fordern die Landkreise vom Bund?
Karmasin: Wir brauchen frisches Geld in Milliardenhöhe an Stabilisierungshilfen. Sonst werden wir das nicht schaffen.
Was wäre das schlimmste Szenario?
Karmasin: Im schlimmsten Fall müssen Krankenhäuser schließen. Das würde eine große Lücke in die Gesundheitsversorgung im ländlichen Raum reißen. Die Wege zu den Kliniken werden länger und die beste Versorgung hilft nichts, wenn sie zu spät kommt. Das Problem sind dann Akutsituationen wie Herzinfarkte, Schlaganfälle oder auch Geburten.
Was können die Landkreise tun?
Karmasin: Die Landkreise helfen schon jetzt aus. Aber Defizite von 20 Millionen oder mehr kann kein Landkreis ausgleichen. Für uns ist jetzt die Grenze erreicht.
An ihre Grenzen stoßen viele Landkreise aktuell auch im Hinblick auf die Aufnahme von Flüchtenden. Wie schätzen Sie die Situation hier ein?
Karmasin: Alle bayerischen Landkreise sind völlig am Limit. Die Unterkünfte sind voll. Meine Kollegen stellen Zelte und Traglufthallen auf, weil der Platz nicht ausreicht. Die meisten Flüchtenden sind allerdings keine Kriegsflüchtlinge. Wir werden irgendwann an den Punkt kommen, wo wir die Menschen nicht mehr aus den Bussen aussteigen lassen können und dann bricht das System zusammen.
Was müsste anders laufen?
Karmasin: Man müsste an den Außengrenzen der EU prüfen, ob jemand wirklich die Chance hat, in Deutschland zu bleiben. Ich meine nicht, dass man das Asylrecht einschränken muss. Aber anwenden sollte man es schon. Knapp 50 Prozent der Ankommenden haben sicherlich kein Bleiberecht. Das weiß man schon, sobald sie ankommen, wenn sie etwa aus sicheren Herkunftsstaaten kommen. Aber trotzdem sind sie im Land. Und wenn sie im Land sind, gehen sie nicht mehr. Eine Abschiebung ist in unserem System quasi unmöglich. Und wir haben ein Sozialleistungssystem, das Menschen, die im Asylverfahren abgelehnt werden, weiterhin unterstützt. Solche Auswüchse des Sozialsystems muss man beseitigen. Deshalb kann man nur an den Außengrenzen ansetzen, um den Platz für Menschen freizuhalten, die dringend Hilfe brauchen.
Wo sollen die Menschen stattdessen hin, wenn sie an der Grenze abgewiesen werden?
Karmasin: Es ist nun mal so, dass nicht jeder kommen kann. Menschen, die in ihrer Heimat bedroht sind und deshalb flüchten, meine ich damit nicht. Aber es sind sehr viele Menschen unterwegs, die sich in Deutschland ein besseres Leben erträumen. Das ist zwar verständlich, aber Deutschland muss sich überlegen, wie viel es helfen kann und ob man diese Hilfen nicht für Menschen freihält, die persönlich bedroht sind.
Sie haben mal gesagt, dass der Kipp-Punkt der Integration überschritten wurde. Was meinen Sie damit?
Karmasin: Wenn ich in die Notunterkünfte schaue, sehe ich viele Kinder und generell Menschen, die nicht in den Arbeitsmarkt eingebunden werden können. Und ich frage mich: Was wird aus diesen Kindern? Sie brauchen Kindergarten- und Schulplätze, Eltern sowie Kinder brauchen Sprachkurse, alle müssen medizinisch versorgt werden und so weiter. Aber die Kapazitäten sind endlich. So schnell können keine Kindertagesstätten gebaut werden und es gibt nicht genügend Erzieherinnen und Erzieher. Es ist leider oft so, dass Menschen in den Unterkünften bleiben und Kinder dort aufwachsen. Viele werden nie eine Arbeit geschweige denn eine eigene Wohnung finden.
Wie müsste der Bund die Landkreise in der Hinsicht unterstützen?
Karmasin: Zum einen brauchen wir Geld für Integrationsmaßnahmen. Der Bund hat diese Hilfen im neuen Bundeshaushalt allerdings reduziert statt aufgestockt. Doch auch mit mehr Geld gäbe es zum Beispiel immer noch zu wenige Erzieher. Das Problem der fehlenden Ressourcen gibt es in jedem Fall. Der Bund muss deshalb die Zahl der Zuwanderer begrenzen.
Wie viele Menschen kommen aktuell in den bayerischen Landkreisen an?
Karmasin: Die Anzahl steigt nachweislich. Im Landkreis Fürstenfeldbruck zum Beispiel kommt alle zwei Wochen ein Bus mit 50 Menschen an. Es könnte sein, dass bald jede Woche Gruppen ankommen. Die verantwortlichen Personen scheinen davon auszugehen, dass die Ressourcen unendlich sind. Aber irgendwann ist der Platz einfach weg.
Viele Anwohnerinnen und Anwohner sind von der Situation verunsichert.
Karmasin: Ja. Sie stört, dass sie alle zwei Wochen 50 Personen mehr auf der Straße sehen, die keine Arbeit und nichts zu tun haben. Da fragen sich die Menschen, wann das aufhört und was mit den Flüchtenden passieren soll. Und sie sorgen sich darum, dass sie mit ihren Steuern ständig mehr Leute im Land versorgen. Irgendwann wird das nicht mehr gehen.