26 Kilo Kokain hat die Grenzpolizei Mitte März in einem Auto bei Füssen entdeckt. Nur wenige Tage später fanden die Beamten in einem anderen Wagen bei Pfronten 18 Kilo. Seit einiger Zeit gibt es fast jeden Monat ähnliche Meldungen. Wie kommt das? Darüber haben wir mit Jörg Beyser gesprochen. Er war bis vor Kurzem Leiter des Rauschgift-Dezernats des Bayerischen Landeskriminalamts (LKA) und der „Arbeitsgruppe Südost“. Diese tagte vergangene Woche in Fürth. Mit dabei waren neben Beyser die Chefermittler von Polizei, Zoll und Staatsanwaltschaften aus 22 Staaten.
Wie kommt es, dass es in den vergangenen Monaten rund um Füssen so viele Kokain-Aufgriffe gegeben hat? Noch dazu mit Mengen zwischen zehn und zwanzig Kilo und einem Verkaufswert in Millionenhöhe?
Jörg Beyser: Wir werden derzeit mit Kokain in Reinform überschwemmt. Der amerikanische Markt ist gesättigt und die Preise sind dort relativ niedrig. In Europa ist Kokain deutlich teurer und die Gewinnmarge für die Täter attraktiver, weshalb hochgefährliche internationale Gruppierungen mit großem Eifer auf den europäischen Markt drängen. Im Straßenhandel kostete das Gramm in Bayern vergangenes Jahr im Schnitt 88,75 Euro, das Kilogramm im Großhandel rund 51.250 Euro. Dazu kommen die Liberalisierungstendenzen in den Herstellungsländern. In Kolumbien wird ernsthaft darüber diskutiert, Kokain freizugeben, weil die Behörden nicht mehr hinterherkommen. In Peru und Bolivien gibt es einen Wildwuchs an Kokapflanzen. Jeder versucht, möglichst viel, möglichst schnell und möglichst rein zu produzieren. Wenn es keine staatlichen Kontrollen mehr gibt, kann man große Mengen auf den Markt werfen. Die vielen Aufgriffe auch im Allgäusind eine Konsequenz dieses Überangebots. Außerdem gibt es in Bayern sehr viele Kontrollen. Da machen vor allem die Fahnder der Grenzpolizei einen guten Job. Dort, wo sich die Aufgriffe häufen, wird zudem verstärkt kontrolliert. Und je mehr man kontrolliert, desto mehr findet man.
Wie sieht der Weg der Drogen aus?
Beyser:Oft kommt das Rauschgift an den europäischen Häfen in Containern an. In den Niederlanden werden die Drogen in Einheiten von zehn bis 20 Kilogramm portioniert und von dort in ganz West- und Südeuropa verteilt. Wir gehen davon aus, dass auf den europäischen Straßen Tausende Autos mit Schmugglerverstecken unterwegs sind. Das sind dann die Fahrzeuge, die wir auch im Allgäu feststellen.
Wenn ein Fahrer mit mehreren Kilo Drogen erwischt wird, wie geht es dann in der Regel für ihn weiter und welche Schritte unternehmen die Ermittler?
Beyser: Der Kurier wird festgenommen und kommt bis zu seiner Verhandlung in Untersuchungshaft. Wer in Bayern mit mehreren Kilo Kokain mit einem Reinheitsgrad von 96 bis 98 Prozent, und das hat die Ware derzeit, erwischt wird, muss mit einer Gefängnisstrafe von plus/minus zehn Jahren rechnen. Das kommt auf die Ergebnisse der Ermittlungen an. Wir versuchen beispielsweise herauszufinden, in wessen Auftrag die Fahrer unterwegs sind und wie oft sie schon Drogen geschmuggelt haben. Das fließt alles in das Strafmaß ein. Uns ist vor allem wichtig, die Hintermänner zu ermitteln.
Ist Ihnen das schon einmal gelungen?
Beyser: Ja. Oft heißt es: An die Hintermänner kommt man eh nicht ran. Aber mit viel Zeit, Personal und großem finanziellen Aufwand kann es gelingen. Vor einigen Jahren konnten wir in Belgien zusammen mit den dortigen Behörden einen Mann verhaften, der für den Import von Kokain aus Kolumbien und Ecuador nach Europa zuständig war. Auch in Südamerika gab es dann Festnahmen. Die Ermittlungen haben drei Jahre gedauert. Nach Deutschlandkamen die Drogen damals in Bananenkisten. Diese wurden in Hallen gebracht, wo die Früchte reifen sollten. Albanische Straftäter haben in der ganzen Bundesrepublik die Reifehallen angefahren, sind dort eingebrochen, haben Hunderte Kilo Kokain rausgeholt und das Rauschgift in die Niederlande gebracht. Von dort wurde es weiterverteilt.
Wie gut funktioniert die Zusammenarbeit mit den ausländischen Kollegen?
Beyser: Wir haben gute Kontakte zueinander. Aber wir müssen nicht nur europaweit, sondern weltumspannend zusammenarbeiten. Ich habe selber schon die Erfahrung gemacht, dass wir uns relativ kurzfristig gut mit den kolumbianischen und ecuadorianischen Behörden vernetzen können. Gleichwohl hat jedes Land seine eigenen Bestimmungen und Rechte, die es wahren will. In diesem Geflecht gibt es noch was aufzuholen.
Braucht es deswegen internationale Tagungen wie jene in Fürth vergangene Woche? Welche Themen standen dort im Fokus?
Beyser: Ja, unter anderem. Wenn man sich persönlich kennt, vielleicht schon mal am Abend ein Bier miteinander getrunken und sich unterhalten hat, dann ist es deutlich einfacher, zum Telefonhörer zu greifen und zu sagen: Wir brauchen eure Unterstützung. Eines der Hauptthemen auf der Tagung war natürlich die derzeitige Kokain-Schwemme. Es wurde aber auch besprochen, welche Probleme es in den verschiedenen Ländern gibt und wie man damit umgeht. Die Niederlande haben zum Beispiel massiven Ärger mit Lachgas als Droge. Jugendliche laufen mit Flaschen davon durch die Gegend. Das geht soweit, dass es wegen der herumliegenden Einwegflaschen mittlerweile ein Müllproblem gibt.
Wie stehen Sie als Chef-Drogenfahnder zur geplanten Legalisierung von Cannabis in Deutschland?
Beyser: Nach meiner Erfahrung ist Cannabis eine Einstiegsdroge. Die Konsumenten gewöhnen sich daran, der Wirkstoff hat nicht mehr den gewünschten Effekt und dann greift man zu einer härteren Droge. Argumente, wie dass durch die Liberalisierung der Schwarzmarkt eingedämmt wird, kann ich nicht gelten lassen. Bei einer entsprechenden Nachfrage wird der Staat nicht einmal im Ansatz in der Lage sein, die gewünschte Menge hochwertiges Cannabis zur Verfügung zu stellen. Dann wird es so laufen wie in den Niederlanden: An der Hintertür werden die Drogen auf dem Schwarzmarkt gekauft, und an der Vordertür unter dem Deckmantel der Liberalisierung als „legale“ Ware verkauft.