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Interview
Holetschek: "Die Unzufriedenheit mit der Bundesregierung so groß wie nie"
Klaus Holetschek spricht im Interview über den Frust vieler Menschen und was das mit der aktuellen Politik zu tun hat. Das sagt der CSU-Fraktionschef über Aiwanger und Özdemir.
Helmut Kustermann, Markus Raffler
 |  aktualisiert: 11.03.2024 09:04 Uhr

Sie sind jetzt gut drei Monate im Amt. Was machen Sie anders als ihr Vorgänger Thomas Kreuzer aus Kempten?

Klaus Holetschek: Mir ist wichtig, dass wir als Mannschaft auftreten und mit eigenen Themen sichtbarer werden. Ich wurde 2013 erstmals in den Landtag gewählt und habe in dieser Zeit viel von Thomas Kreuzer gelernt. Er ist ein sehr kluger Kopf, der auch viel für das Allgäu bewirkt hat. Aber ich habe einen anderen Führungsstil als er.

Welche drängenden Allgäuer Themen sehen Sie aktuell?

Holetschek: Den Wunsch nach einer Elektrifizierung weiterer Bahnstrecken, ebenso den B12-Ausbau. Mit der Hochschule Kempten wollen wir weitere Innovationen auf den Weg bringen, das ist der Treiber für eine gute wirtschaftliche Entwicklung. In der Region spielt die Landwirtschaft eine große Rolle, das merken wir gerade jetzt. Auch die Pflege bleibt ein großes Thema. Hier schauen wir, wie Digitalisierung helfen und Künstliche Intelligenz uns nutzen kann.

Auch im Allgäu haben viele Menschen den Eindruck, dass politische Entscheidungen während der Corona-Pandemie, etwa Lockdowns und Ausgangssperren, nie richtig aufgearbeitet wurden. Was sagen Sie zu diesem Vorwurf?

Holetschek: Wir arbeiten diese Themen im Ministerium durchaus auf. Es gibt auch immer wieder neue wissenschaftliche Studien, etwa zu den Schulschließungen. Außerdem haben wir ein Pandemie-Zentrallager zur Vorhaltung von Schutzausrüstung etabliert. Mit dem Wissen von heute würde man sicher manche Entscheidung anders fällen. Aber in der Pandemie war es wichtig, Verantwortung zu übernehmen und Menschenleben zu retten. Diejenigen, die heute alles besser wissen, waren damals in aller Regel nicht sichtbar.

Bauernproteste dominieren derzeit die Schlagzeilen. Die CSU stellt sich an die Seite der Landwirte und kritisiert die Ampelkoalition. Doch die Union gehörte lange der Bundesregierung an und hat ebenfalls Fehler gemacht.

Holetschek: Es kann keiner für sich beanspruchen, dass er alles richtig macht. Ich glaube aber, dass Vieles in der Vergangenheit gut gelaufen ist. Die Arbeitslosigkeit wurde halbiert und ein schuldenfreier Haushalt etabliert. Jetzt ist die Unzufriedenheit mit der Bundesregierung so groß wie nie. Zur Agrarpolitik muss man sagen, dass sie immer komplexer geworden ist und immer mehr von Brüssel gesteuert wird. Die Chance dieser Proteste ist, dass der Fokus in Politik und Medien wieder auf der Landwirtschaft liegt. Darum muss man jetzt klar machen, dass es nicht nur um den Agrardiesel geht, sondern um die grundsätzliche Frage, wohin sich die Landwirtschaft entwickelt. Die Ampel schafft Dinge über Nacht ab und lässt die Bauern bewusst im Regen stehen.

Die Ampelkoalition will die Anbindehaltung abschaffen. Bauern befürchten ein „Massensterben“ in der Landwirtschaft, denn der nötige Umbau von Ställen kostet viel Geld. Wie groß ist die Chance, dass man hier zugunsten der Bauern noch etwas bewegen kann?

Holetschek: Ich hoffe, sie ist groß. Denn ich gehe davon aus, dass diese Bundesregierung nicht mehr so lange im Amt ist und ein neuer Landwirtschaftsminister das anders sieht. Der jetzige Minister Cem Özdemir hat sich klar in Richtung eines Verbots positioniert.

Halten Sie Herrn Özdemir in diesem Punkt für verbohrt?

Holetschek: Ja. Wie man hört, strebt er ja eine Kandidatur als Ministerpräsident in Baden-Württemberg an. Also in einem Land, das sehr bodenständig ist. Da wird es spannend, wie er sich mit seinen aus Berlin mitgebrachten Ideen durchsetzt. Derzeit mauert sich Özdemir immer mehr in seine Ideologie ein.

Manche Bauern feiern Bayerns Wirtschaftsminister Aiwanger mit „Hubsi“-Sprechchören. Laufen die Freien Wähler bei den Landwirten der CSU den Rang ab?

Holetschek: Ich habe kein Problem, wenn man Solidarität mit den Landwirten zeigt. Das sollte jeder tun. Aber in der Wirtschaftspolitik haben wir halt auch andere Bereiche, zudem ist unser Land in schwierigen Zeiten. Darum brauchen wir einen Wirtschaftsminister, der seine ureigensten Themen extrem beackert. Für mich hat der ländliche Raum ein riesiges Entwicklungspotenzial und ist Zukunftsregion. Und natürlich konkurrieren CSU und Freie Wähler um die dortige Wählerschaft.

Also müsste der Wirtschaftsminister mehr Präsenz zeigen?

Holetschek: Ich glaube schon, dass man neben den Themen, die er zuletzt besetzt hat, weitere in den Fokus nehmen muss. Wenn er nach dem verlorenen Bürgerentscheid zum Windpark bei Altötting sagt, dass er für die Windenergie nicht zuständig sei, dann verstehe ich das tatsächlich nicht. Schließlich ist er der Energieminister.

Neben der Energiepolitik gibt es weitere Themen, über die ohne durchschlagenden Erfolg diskutiert wird: Asyl-Problem, Fachkräfte-Mangel, Bürokratie. Können Sie verstehen, dass Menschen das Vertrauen in die etablierten Parteien verlieren?

Holetschek: Ich mache das zunächst mal an der Ampelkoalition fest: Die Menschen haben Vertrauen verloren, weil sie nicht sehen, dass die Politik ihre Probleme löst. Und weil auch die Kommunikation schlecht ist, siehe Heizungsgesetz und Agrardiesel. Und dann reden wir über die Bezahlkarte für Asylbewerber, die dringend nötig ist, und wo die Grünen plötzlich sagen, dass man sie gar nicht braucht. Da fragen sich die Menschen zurecht, was jetzt wieder los ist.

Und wie steht es um den Abbau von Bürokratie?

Holetschek: Das sind extrem schwierige Prozesse. Es ist aber unabdingbar, dass wir das jetzt angehen. Vielleicht brauchen wir auch eine Verwaltungsreform, um das Leben der Menschen einfacher zu machen. Es nützt nichts, einfach nur ein Formular abzuschaffen. Die Gesellschaft muss vielmehr dazu bereit sein, dass wir nicht mehr 100 Prozent regeln, sondern nur noch 80.

Wie könnte eine solche Reform aussehen?

Holetschek: Das werden wir jetzt entwickeln. Ich möchte bei diesem Thema eine Enquete-Kommission im Landtag anstoßen. In einem solchen Gremium sitzen Abgeordnete ebenso wie Wissenschaftler und Sachverständige aus der Praxis. Wir brauchen einen grundsätzlichen Blick auf die Frage, was eigentlich ein moderner Staat ist. Da geht es auch darum, wie wir vielleicht zu komplex gewordene Standards auflösen können.

Lange ungelöste Probleme helfen der AfD, die immer stärker wird. Man hat den Eindruck, dass die etablierten Parteien deren Aufstieg ziemlich machtlos gegenüberstehen. Stimmt das?

Holetschek: Das beste Rezept ist, die Probleme der Menschen zu lösen. Nicht jeder AfD–Wähler ist rechtsradikal oder gar ein Nazi. Aber die Leute sind frustriert, weil sie nicht sehen, wohin es geht. Es fehlt die Zuverlässigkeit, das ist auch ein großes Problem für die Wirtschaft. Deswegen wächst die AfD. Das entbindet uns aber nicht von der Verpflichtung, diese Partei im Landtag zu stellen. Denn die Funktionäre dieser AfD sind zum großen Teil rechtsradikal. Deren Gedankengut aus Zeiten des Nationalsozialismus müssen wir bekämpfen. Die Menschen werden die AfD erst dann nicht mehr wählen, wenn sie sehen, dass der Staat wieder Probleme lösen kann.

Die Parteienlandschaft verändert sich weiter, es gibt jetzt auch das Bündnis Sahra Wagenknecht und die Werteunion. Wie sehr sorgt es Sie, dass die politische Konkurrenz immer größer wird?

Holetschek: Die Zersplitterung der Parteienlandschaft haben andere Länder ja schon erlebt. Das macht es nicht einfacher. Ich mache mir aber für Bayern weniger Sorgen. Bei den neuesten Umfragen liegt die CSU bei 40 Prozent, wir sind stabil unterwegs. Unser Anspruch muss weiter lauten, eine der wenigen europäischen Volksparteien zu bleiben.

Dennoch stellt sich die Frage, wie die Union wieder an Profil gewinnen kann. Viele parteipolitische Positionen scheinen inzwischen austauschbar zu sein.

Holetschek: Wir müssen weiter den Spagat schaffen zwischen Gigabytes und Gummistiefeln. Es geht darum, Tradition und Moderne unter einen Hut zu bringen. Wichtig ist auch, bundespolitisch sichtbar zu sein. In der Rangliste der beliebtesten deutschen Politiker liegt Markus Söder auf Rang zwei, hinter Verteidigungsminister Boris Pistorius. Ich frage mich dann immer, warum es bei Kanzlerkandidaturen überhaupt keine Rolle mehr spielt, wer da wo steht.

Heißt das, dass Söder wieder als Kanzlerkandidat der Union ins Rennen gehen sollte?

Holetschek: Ich glaube, dass sich diese Frage nicht mehr stellt. Zumal das Amt des bayerischen Ministerpräsidenten auch bundespolitisch viele Gestaltungsmöglichkeiten bietet. Trotzdem muss man sich fragen, was es bedeutet, wenn Söder auf der Skala so weit oben steht. Es geht ja auch darum, wie man als Union in den Bundestagswahlkampf geht. Markus Söder muss aber nicht unbedingt in Berlin sein, um in der Bundespolitik eine zentrale Rolle zu spielen.

Sie stehen Söder seit Jahren sehr loyal gegenüber. Ist das nicht ein Widerspruch zu Ihrer neuen Funktion? Die Fraktion hat ja in einigen Punkten andere Vorstellungen als der Ministerpräsident.

Holetschek: Der Anspruch ist, als Fraktion Themen zu setzen. Aber natürlich arbeiten wir eng mit der Staatsregierung zusammen. Im Moment gibt es keine Spannungsfelder, das läuft sehr gut. Wobei ich mit meinem Vorstoß für ein verpflichtendes Gesellschaftsjahr einen anderen Schwerpunkt setze. Wir müssen aber auch über die Wiedereinführung der Wehrpflicht nachdenken. Denn ich habe nicht den Eindruck, dass wir militärisch gut aufgestellt sind. Das hat sich auch bei der Sicherheitskonferenz in München gezeigt. Wir müssen Europa verteidigungsfähig machen.

Aber wo soll das Geld herkommen? Es geht ja weiter: Die Pflegeversicherung ist unterfinanziert und für die Krankenhaus-Reform ist eine Riesen-Summe nötig, um nur zwei Beispiele zu nennen.

Holetschek: Man könnte zum Beispiel eine Milliarde beim Bürgergeld einsparen, um die Pflegeversicherung besser auszustatten. Eine Priorität muss doch sein, dass die medizinische Versorgung gut läuft. Zumal das Bürgergeld ja der Einstieg in ein bedingungsloses Grundeinkommen sein könnte. Und das wollen wir als CSU nicht.

Klaus Holetschek (59) sitzt seit über zehn Jahren im Landtag. Er vertritt dort den Memminger Stimmkreis. Er war erst Staatssekretär im Verkehrs- und im Gesundheitsministerium und wurde 2021 zum bayerischen Gesundheitsminister ernannt. Im vergangenen Oktober übernahm der gebürtige Niederbayer das Amt des CSU-Fraktionsvorsitzenden im bayerischen Landtag.

 
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