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München
"Der Hass im Netz begünstigt Gewalttaten"
Die Verfasser von Hass-Posts hetzen gegen Politiker, Migranten, Queere, Juden. Kann die Gewalt ins Analoge überschwappen? Bayerns Hatespeech-Beauftragter hat eine klare Meinung.
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Foto: Fabian Sommer, dpa | Hass und Hetze im Netz greifen immer mehr um sich. 2021 wurden in Bayern wegen Hatespeech 2317 Verfahren eingeleitet, 2023 waren es schon 3115. 
Stephanie Sartor
 |  aktualisiert: 26.05.2024 02:40 Uhr

Herr Beck, Sie sind der Hatespeech-Beauftragte der bayerischen Justiz – warum ist so eine Stelle heutzutage nötig?

David Beck: Die Stelle eines Hatespeech-Beauftragten wurde 2020 bei der Generalstaatsanwaltschaft München eingerichtet, weil das Phänomen der Hasskriminalität im Internet damals schon sehr aufgefallen ist – es aber nicht die Aufmerksamkeit bekommen hat, die ihm zukommen muss, wenn man das Problem effektiv bekämpfen will. Ich bin seit Februar dieses Jahres Hatespeech-Beauftragter und führe als Staatsanwalt besonders herausgehobene Verfahren aus diesem Bereich, bin Ansprechpartner für verschiedene Kooperationsprojekte, auch mit anderen Bundesländern, und ich koordiniere die Arbeit der 22 Sonderdezernate für die Bekämpfung von Hatespeech in Bayern. 

In letzter Zeit gab es mehrere Angriffe auf Politiker. Sind die auch besonders oft die Adressaten hasserfüllter Posts im Internet?

Beck: Die Themenfelder und die Äußerungen sind unglaublich vielfältig und richten sich nicht nur an eine Gruppe. Hinter manchen steckt eine fremdenfeindliche Motivation, andere gründen sich auf Antisemitismus, sind queerfeindlich, frauenfeindlich oder eben gegen Politikerinnen und Politiker gerichtet. Das ist ein sehr weites Feld. Seit dem 7. Oktober haben vor allem die antisemitischen Äußerungen stark zugenommen. Und es gibt natürlich ein großes Dunkelfeld. Wir sehen da nur die Spitze des Eisbergs. 

Wie groß ist die Gefahr, dass der Hass im Digitalen in die analoge Welt hinüberschwappt?

Beck: Der Hass im Netz ist mit Sicherheit ein begünstigender Faktor für Gewalttaten, die dann tatsächlich begangen werden. Wenn im Internet schon befürwortet wird, dass man bestimmte Personen an die Wand stellen und erschießen sollte, dann verbreitet sich da eine Gesamtstimmung, die von anderen wahrgenommen wird. Und eventuell werden dadurch Hemmschwellen heruntergesetzt. Ich kann das nicht wissenschaftlich belegen, aber ich habe schon den Eindruck, dass es durchaus leichter zu Gewalttaten im analogen Leben kommt, wenn Gewalttaten im Internet befürwortet und verherrlicht werden. 

Das ist bedenklich, schließlich steigen die Zahlen von Hass und Hetze im Netz ja, oder?

Beck: Ja, die Zahlen steigen. 2021 hatten wir in Bayern wegen Hatespeech 2317 Verfahren eingeleitet, 2023 waren es schon 3115.

Wie erklären Sie sich denn diese Entwicklung?

Beck: Es ist schwer zu sagen, ob es insgesamt daran liegt, dass wir mehr aufdecken oder dass es mehr Fälle gibt. Aber dass etwa die antisemitischen Hass-Posts nach dem 7. Oktober so stark angestiegen sind, dafür ist mit Sicherheit nicht eine höhere Aufklärungsquote der Grund. 

Welche Gründe könnte es denn noch geben für die steigenden Zahlen? Verrohen die Sitten immer mehr?

Beck: Ich kann nicht sagen, ob das ein gesamtgesellschaftliches Problem ist. Aber die Zunahme von Hatespeech schaukelt sich auch selbst hoch. Also: Je mehr Hassbeiträge im Internet sind, desto mehr wird es als normal wahrgenommen, und desto mehr verbreitet es sich dann auch. 

Unternehmen die Betreiber der Internetseiten denn genug, um das zu unterbinden?

Beck: Die Kooperation mit den Plattformen ist in der letzten Zeit deutlich besser geworden. Wir kriegen häufig recht schnelle Antworten zu unseren Anfragen, etwa wenn wir nach Daten fragen, die wir für unsere Ermittlungsverfahren brauchen. Was schade ist: Wir hatten gute Regelungen im Netzwerkdurchsetzungsgesetz auf nationaler Ebene. Der entsprechende Paragraf wurde aber nicht als vereinbar mit dem Europarecht angesehen und deswegen nicht umgesetzt. Jetzt haben wir seit letztem Jahr den Digital Service Act auf EU-Ebene – der sieht insgesamt aber nicht ganz so strikte Regeln vor. Die Plattformbetreiber werden damit nicht so sehr in die Pflicht genommen, wie es das Netzwerkdurchsetzungsgesetz getan hat. Wir könnten mit Sicherheit mehr tun, um der Verbreitung dieser ganzen Hetze Einhalt zu gebieten. 

Wie stoßen Sie denn überhaupt auf die Posts?

Beck: Da gibt es unterschiedliche Ansätze. Posts in mehr oder weniger geschlossenen Gruppen, etwa auf Whatsapp oder Telegram, sind oft Zufallsfunde, zum Beispiel, wenn im Rahmen eines anderen Strafverfahrens EDV-Geräte ausgewertet werden. Oft stellen Betroffene direkt eine Anzeige bei der Polizei. Daneben melden Journalisten oder Social-Media-Manager auffällige Posts direkt bei uns, also bei der Generalstaatsanwaltschaft, mit der Bitte um Prüfung, ob das strafrechtlich relevant ist. Daneben gibt es noch andere Meldestellen im Internet. Etwa "Respect", wo jeder recht niederschwellig Hass-Posts, auf die er trifft, melden kann. Das wird dann vorgeprüft und dann direkt an die Polizeibehörden weitergeleitet.

Und wie gehen Sie vor, wenn Sie auf etwas stoßen, das so nicht stehen bleiben kann? Es ist ja nicht ganz einfach, einen Täter online zu identifizieren.

Beck: Ich kann Ihnen natürlich jetzt nicht zu viel über unsere Ermittlungstaktik erzählen. Aber ganz allgemein: Es ist schon so, dass wir eine relativ hohe Aufklärungsquote haben, gerade in den sozialen Netzwerken, die mit uns kooperieren. Denn die User müssen da ja oft eine E-Mail-Adresse hinterlegen oder eine Handy-Nummer. Darüber finden wir dann oft die Verfasser von Hass-Posts. 

Ab wann liegt denn ein Straftatbestand vor?

Beck: Das mit dem Straftatbestand ist immer schwierig, denn es gibt im Strafgesetzbuch keinen Paragrafen, der sich eindeutig mit Hatespeech befasst. Aber grundsätzlich ist es so: Verschiedene Äußerungen im Internet können verschiedene Straftatbestände erfüllen. Zum Beispiel: Wenn man jemand anderen als Arschloch bezeichnet, dann erfüllt man den Straftatbestand der Beleidigung. Wenn man zum Hass gegen bestimmte Bevölkerungsgruppen aufstachelt, kann es sich um Volksverhetzung handeln. Wenn man zu Gewalttaten aufruft oder wenn man begangene, oder auch nur fiktive, Taten befürwortet, dann handelt es sich möglicherweise um eine Billigung von Straftaten. Je nach Äußerung kann das sehr unterschiedlich sein, es ist auch immer eine Einzelfallprüfung. 

Wie viele Verurteilungen gibt es in Bayern wegen Hass im Netz? Und gibt es den typischen Täter?

Beck: Im Jahr 2023 gab es 567 Verurteilungen. Genaue Statistiken zu den Tätern gibt es nicht. Aber ich befasse mich mit dem Thema schon länger. Bevor ich zum Hatespeech-Beauftragten der bayerischen Justiz wurde, war ich in diesem Bereich bei der Staatsanwaltschaft Kempten tätig. Und da war mein Eindruck, dass das Täterfeld sehr divers ist. Ich kann nicht sagen, dass es nur Männer wären, es sind auch Frauen dabei. Es sind auch nicht nur junge, sondern auch ältere Menschen. Und es geht quer durch alle Bildungsschichten. 

Was kann man tun, um solche Fälle vielleicht schon im Vorfeld zu verhindern?

Beck: Man darf sich auf jeden Fall nicht wegducken und an den Punkt kommen, wo man aus Angst vor möglichen Kommentaren seine Meinung nicht mehr sagt oder das Internet nicht mehr nutzt. Das wäre eine verständliche Reaktion, die wir auch immer wieder beobachten, aber das ist nicht richtig. Denn dann überlassen wir das Spielfeld denen, die zu Hass und Hetze greifen und Straftaten begehen. Das gilt auch für Politiker, die sich online für ihre Ansichten starkmachen. Wenn die dann bei der nächsten Wahl aus Angst nicht mehr kandidieren, dann ist das eine ganz gefährliche Entwicklung. 

Zur Person: David Beck ist 36 Jahre alt und bei der Generalstaatsanwaltschaft München seit Februar als Hatespeech-Beauftragter der bayerischen Justiz tätig. 

 
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