
Herr Aiwanger, bei den aktuellen Demonstrationen tauchen Sie öfter auf als viele andere Politiker. Sind Sie der heimliche Landwirtschaftsminister in Bayern?
Hubert Aiwanger: Die Interessen der Landwirtschaft vertreten Freie Wähler und die CSU. Es ist besser, Bayern hat zwei Parteien, die sich um die Landwirtschaft bemühen, als es in der Bundesregierung aussieht, wo wir drei Parteien haben, die gemeinsam gegen die Bauern arbeiten. Es ist wichtig, den Bauern jetzt Rückendeckung zu geben, anstatt sie in eine Ecke zu stellen, sie auszupfeifen und ihnen vorzuwerfen, sie würden auf hohem Niveau jammern.
Bei der Landtagswahl waren 52 Prozent der Landwirte CSU-Wähler, 37 Prozent stimmten für die Freien Wähler. Nutzen Sie die aktuelle Situation nicht auch, um für Ihre Partei zu punkten?
Aiwanger: Jeder Dritte in der Fraktion der Freien Wähler hat landwirtschaftlichen Hintergrund. Darum wissen wir, was in der Landwirtschaft los ist und wertschätzen deren Bedeutung für die Gesellschaft in besonderem Maß. Ich bekomme zunehmend auch bundesweit Einladungen zu Veranstaltungen, zum Beispiel auch aus Baden-Württemberg, Brandenburg und Niedersachsen. Das ist auch unser Anspruch. Als Bundesvorsitzender der Freien Wähler will ich die Themen der vernünftigen Menschen deutschlandweit unterstützen. Und ja: Wir wollen den Themenbereich ländlicher Raum, Jäger, Waldbesitzer, Naturnutzer politisch besetzen, anstatt es grünen Ideologen zu überlassen, die dort aggressiv und oft ohne Kompetenz handeln. Das war schon in früheren Koalitionen das Problem: Da haben sich die Konservativen aus dem Thema zurückgezogen und die Ressorts Landwirtschaft und Umwelt als Mitgift an die Grünen verfüttert.
Bei den Bauerndemos geht es inzwischen kaum noch um Details, sondern viel mehr um grundlegende Sorgen, um die Zukunftsfähigkeit eines Berufsstandes.
Aiwanger: Ich sehe da eine generelle Trendwende. Die Straße gehörte früher den Linken, jetzt demonstrieren endlich auch Bürgerliche und Konservative wieder und melden Ansprüche auf die gesellschaftliche Mitgestaltung an. Bis dato gab es nur Klima oder Tierschutz. Jetzt geht es zunehmend um Leistung und Selbstversorgung. Und ums Eigentum: Bauern fürchten um ihre Höfe, die Mittelständler um ihre Firma.
Haben Sie dafür ein Beispiel?
Aiwanger: Jeder sieht, dass ideologische Vorgaben, beispielsweise wie ein Wirtshaus zu führen ist oder wie man Lebensmittelkontrollen handhaben muss, oft übers Ziel hinausgeschossen sind oder bewährte Strukturen zerstört haben. Ich denke da an die vielen Dorf-Metzgereien, die wegen überzogener Vorgaben schließen mussten. Jetzt muss es darum gehen, funktionsfähige mittelständische Strukturen zu erhalten. Und nochmal: Auch das Thema Fleiß und Leistung spielt zunehmend eine Rolle. Warum wird nicht bei den Bürgergeld-Empfängern gespart, die arbeitsfähig sind? Ein Beispiel: Man könnte die geflüchteten Ukrainer direkt arbeiten lassen, so wie in anderen Ländern auch, statt ihnen sofort das Bürgergeld zu geben. Da liegen mehrere Milliarden Sparpotenzial herum, während jetzt bei den Bauern eine knappe Milliarde eingesammelt wird.
Ist es richtig, dass die Bauern weiter auf die Straße gehen, obwohl die Ampel ihnen deutlich entgegengekommen ist?
Aiwanger: Es geht durchaus noch um Dinge wie die Subvention des Agrardiesels, die abgeschafft werden soll, wenn auch in Stufen. Da nimmt man Bauern mehrere Tausend Euro im Jahr ab, bei Großbetrieben um 10.000 Euro aufwärts. Das tut richtig weh. Und die Kfz-Steuer kommt nun zwar nicht, aber die gab es auch früher nicht. Das ist, wie wenn ich jemandem androhe, ihn zu verprügeln. Dann verprügle ich ihn doch nicht, und dafür soll er sich dann bedanken.
Was sagen Sie zum aggressiven Verhalten von Landwirten in Norddeutschland, wo Wirtschaftsminister Robert Habeck am Verlassen einer Fähre gehindert wurde? Viele Politiker haben das kritisiert, Sie nicht. Tolerieren Sie eine solche Aktion?
Aiwanger: Ich sage ganz klar: Demos müssen gewaltfrei und gesetzeskonform sein. Punkt. Die Frage ist für mich aber, was bei diesem Vorfall genau geschehen ist – war das eine Straftat oder nicht. Das muss geprüft werden. Ich will mich hier nicht zu einer juristischen Ferndiagnose drängen lassen, ohne zu wissen, was wirklich passiert ist.
Und wie bewerten Sie das Ganze politisch?
Aiwanger: Für mich geht es hier um die zentrale Frage: Sind das Straftaten oder nicht? In einem Bierzelt von Trillerpfeifen ausgepfiffen zu werden, ist auch nicht statthaft, es ist aber nicht verboten. Die Linie verläuft für mich dort, wo der Boden des Gesetzes verlassen wird. Ob das passiert ist, müssen jetzt Polizei und Staatsanwaltschaft vor Ort klären. Deshalb werde ich mich auch nicht sicherheitshalber distanzieren, bevor die Dinge geklärt sind, und mit dem Finger auf andere zeigen. Ich wünsche mir, dass bei künftigen Krawallen von sogenannten Party-People in Berlin und anderswo genauso schnell und intensiv versucht wird, mögliche Straftaten festzustellen. Und die Grünen sich dann dazu äußern.
Was sagen Sie zu Galgen, die bei manchen Demos gezeigt wurden?
Aiwanger: Das halte ich für geschmacklos. Grundsätzlich sind die aktuellen Proteste von Bauern, Handwerkern, Spediteuren und der Gastronomie aber vorbildlich gesetzeskonform und nötig, um politische Fehlentwicklungen aufzuzeigen und zu korrigieren. Das tut der Demokratie gut. Wir müssen den Bauern, Handwerkern und anderen dankbar sein, dass sie auf die Straße gehen, damit nicht noch mehr Unsinn produziert wird von dieser Ampel. Sonst kommt dieses Land immer mehr in Schieflage, die Leute werden immer noch unzufriedener, und es werden immer noch mehr radikalere Parteien gewählt. Wenn die Mitte nicht mehr gehört wird, zwingt man die Menschen an die politischen Ränder. Die Fehler liegen bei der Ampel, nicht bei den Bauern. Und die Demos werden ja von einem überwiegenden Teil der Bevölkerung positiv gesehen.
Es gibt immer wieder die Kritik, die unangemeldeten Blockaden der Bauern seien mit den Aktionen der Klimakleber vergleichbar.
Aiwanger: Es gibt einen großen Unterschied: Die Bauern machen sich Sorgen um die Ernährung der Bevölkerung und den Wohlstand in diesem Land. Die Klimaleute haben ja häufig Sachbeschädigung begangen, das haben die Bauern nicht getan.
Die haben aber auch ein nachvollziehbares Motiv: Die Sorge um die Zukunft unseres Planeten …
Aiwanger: Klimaschutz und Umweltschutz sind auch die Ziele der Staatsregierung.
Lassen Sie uns auch über den Stil der Auseinandersetzung sprechen. An der Diskussion über die Agrarpolitik beteiligen Sie sich mit zum Teil sehr markigen Sätzen. Tragen Sie damit nicht zu der so oft beklagten Polarisierung in der Gesellschaft bei?
Aiwanger: Nein, ganz im Gegenteil. Ich glaube, dass ich die Stimme derer bin, die bisher unter die Räder gekommen sind. Wenn ich daran denke, wie an Silvester 2022 halb Berlin abgefackelt und mit Steinen auf die Polizei geworfen wurde. Da würde ich mir wünschen, dass mit der gleichen Akribie ermittelt wird wie bei dem Zwischenfall mit Herrn Habeck auf der Fähre. In Berlin hieß es damals halt, dass ein paar Sozialarbeiter mehr eingesetzt werden. Bei den Landwirten wollen linke Kreise krampfhaft etwas hineininterpretieren, während andere Narrenfreiheit haben. Deswegen stelle ich mich vor die Landwirte. Ich glaube, dass diese Gesellschaft wieder lernen muss, solche Debatten zu führen. Wir haben zunehmend die Demokratiefähigkeit verloren. Wenn Herr Habeck von Umsturzgefahren wegen der Bauerndemos spricht, ist das ein großer Unsinn und schadet dem demokratischen Diskurs. Dieser ganze Konsensdruck tut dieser Demokratie nicht gut. Wir dürfen nicht sofort jeden umzingeln und in eine politische Ecke stellen, der ein bisschen vom Mainstream abweicht.
Wie groß ist die Gefahr, dass bei den Bauernprotesten zunehmend extreme Gruppen mitmischen, die man dort nicht haben will?
Aiwanger: Diese Gruppen werden in der Bauernschaft nicht Fuß fassen. Dieses Problem wird herbeigeredet, so schafft man diesen Organisationen erst Reichweite und spielt ihnen in die Karten.
Was müsste vor allem passieren, dass die Bauern in unserem Land eine bessere Zukunft haben?
Aiwanger: Wir brauchen zum Beispiel faire Lieferverträge für die Landwirte. Die Bauern sind die einzige Berufsgruppe, die ihre Waren abliefert und erst im Nachhinein irgendeinen Preis überwiesen bekommt. Das gilt zum Beispiel für Milch genauso wie für Schweine und Getreide. Das muss sich umdrehen, damit der Bauer auf Marktentwicklungen reagieren kann. Kommen wir noch zum Stallbau. Es darf nicht sein, dass Tierwohl-Ställe, die heute die staatliche Beratung empfiehlt, nach zwei, drei Jahren aus gesetzlichen Gründen schon wieder umgekrempelt werden müssen. Da hat der Landwirt vielleicht noch nicht einmal seine erste Kreditrate bezahlt. Das bricht gerade vielen Schweinehaltern das Genick. Bei anderen Themen spielen auch große Lebensmittel-Konzerne eine Rolle. Zum Beispiel, wenn sie keine Milch mehr von Kühen wollen, die in Anbindehaltung leben. Weil dann könnten ja Tierschützer demonstrieren. Es gibt viele Betriebe, die eben keinen Laufstall bauen, wenn die Anbindehaltung verboten wird. Dann hört dieser Hof auf. Das ist dann ein politisch erzwungener Strukturwandel.
Was bedeutet all das für eine Region wie das Allgäu, in der es viele kleinere Betriebe gibt?
Aiwanger: Diese Gesellschaft muss definieren, was sie will. Wollen wir eine bäuerliche geprägte Landwirtschaft mit Selbstversorgungsanspruch oder nicht? Wenn es das höchste Ziel ist, keine Kuh mehr an der Kette zu haben und es deshalb irgendwann keine bayerische Milch mehr gibt, muss man das benennen. Dann kommt halt die Butter aus Neuseeland. Eine solche Weltfremdheit müssen wir noch markanter benennen. Auch wenn man dann im Netz angegriffen wird und gesagt bekommt, dass man auf seinen Bauernhof heimgehen solle.
Sie unterscheiden sehr stark zwischen den Menschen auf dem Land und den Städtern, die aus Ihrer Sicht oft bei Themen mitreden, von denen sie keine Ahnung haben. Sind Sie stellvertretender bayerischer Ministerpräsident vor allem für die Landbevölkerung?
Aiwanger: Ich ziehe nicht die Trennlinie zwischen Stadt und Land, sondern zwischen kompetent und inkompetent. Die Bauern sollten selbstbewusster sein und sich nicht von Menschen reinreden lassen, die nichts verstehen. Ein Städter muss sich von einem Bürger aus dem Dorf auch nicht erklären lassen, wie er die U-Bahn zu benutzen hat. Das weiß der Städter selber. Und umgekehrt muss man dem Bauern nicht sagen, wie er die Kuh zu halten hat, wenn man selbst noch keine gemolken hat. In Sachen Landwirtschaft müssen wir dafür sorgen, dass wieder mehr Menschen etwas davon verstehen. Schüler sollten wieder häufiger auf Bauernhöfe gehen. Wenn mehr Menschen Ahnung von der Landwirtschaft hätten, würde sich auch der Stadt-Land-Konflikt entspannen.