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Augsburg
Klage abgelehnt: Sexualbegleitung bleibt in kleinen Gemeinden verboten
Da Sexualbegleitung als Prostitution gilt, ist sie in kleineren Orten verboten. Eine Einrichtung für Menschen mit Behinderung klagte dagegen. Das Verwaltungsgericht Augsburg weist die Klage ab.
Bianca Dimarsico
 |  aktualisiert: 11.03.2024 10:08 Uhr

Ist Sexualbegleitung für Menschen mit Behinderung Prostitution oder nicht? Mit dieser Frage beschäftigte sich das Verwaltungsgericht Augsburg am Donnerstag. Das Fritz-Felsenstein-Haus, ein Zentrum für Menschen mit Körper- oder Mehrfachbehinderung, klagte gegen den Freistaat Bayern. Denn in mehreren Einrichtungen des Fritz-Felsenstein-Hauses in Mering im Landkreis Aichach-Friedberg und in Königsbrunn ist die Durchführung von Sexualbegleitung bisher verboten. Das liegt an einer im Jahr 1975 eingeführten Verordnung, die besagt, dass Prostitution in Gemeinden unter 30.000 Einwohnern untersagt ist. Ziel der Klage war, Sexualbegleitung in diesen Einrichtungen zu erlauben. In der zweistündigen Verhandlung wird über Sexarbeit, Selbstbestimmung und Diskriminierung gesprochen. 

Sexualbegleitung richtet sich an Menschen mit diversen Beeinträchtigungen. Sie bietet einen Raum, um die eigene Sexualität zu erforschen. Geschlechtsverkehr kann Teil der Begleitung sein, ist es aber in vielen Fällen nicht. Oft bleibt es bei Kuscheln, Streicheln oder Massieren. Die Vizepräsidentin des Verwaltungsgerichts, Ingrid Linder, äußert sich zu Beginn skeptisch gegenüber der Klage. Geklagt hatte Gregor Beck, Vorsitzender des Fritz-Felsenstein-Hauses, vertreten durch Sebastian Weber, Fachanwalt für Sozialrecht. Beklagt war die Regierung von Schwaben, vertreten von Verwaltungsjurist Rainer Hilsberg. Diskutiert wurde vor allem über den Begriff "Prostitution", darüber, ob Sexualbegleitung darunterfällt und ob die Einrichtungen des Fritz-Felsenstein-Hauses folglich Prostitutionsstätten sind. Per gesetzlicher Definition ist Prostitution eine sexuelle Handlung an oder vor einer anderen Person gegen Entgelt. 

Das Ausleben von Sexualität ist Teil der Selbstbestimmung

Auf der einen Seite stand Gregor Beck, der sich für Menschen mit Beeinträchtigung einsetzt. Er sagt: "Sexualität ist Lebensenergie, die für alle Menschen wichtig ist, auch für die Menschen mit Behinderung. Da geht es um einen Kernbereich gesellschaftlicher Teilhabe und Selbstbestimmung." Sexualität sei ein Grundrecht und Einrichtungen der Behindertenhilfe seien fachaufsichtlich dazu verpflichtet, Bewohnerinnen und Bewohnern eine selbstbestimmte Sexualität zu ermöglichen. Solange Sexualbegleitung und -assistenz vor dem Gesetz wie übliche Prostitution behandelt wird, sei diese Selbstbestimmung nicht gegeben. 

Auf der anderen Seite stand die Regierung von Schwaben. Wie Hilsberg sagte, sei ein Stattgeben der Klage so lange fraglich, wie Sexualbegleitung als Prostitution gilt. "Der Gesetzgeber hat den Begriff 'Prostitution' bewusst so weit ausgelegt", sagte er. Hilsberg meinte, dass man für eine Veränderung der Definition von Prostitution bei der Bundesgesetzgebung ansetzen müsse. 

Verwaltungsgericht Augsburg verkündet am Freitag sein Urteil

Richterin Imme Strauch warf während der Verhandlung ein, dass die Sexualbegleitung außerhalb der Einrichtungen des Fritz-Felsenstein-Hauses stattfinden könnte. Denn so umgeht man die Verordnung zum Verbot der Prostitution in kleinen Gemeinden. "Gesundheitliche Versorgung findet ja auch woanders statt", sagte Strauch. Fachanwalt Weber bezeichnete diesen Vorschlag als behinderungsspezifische Diskriminierung. "Es kann nicht sein, dass Menschen mit Behinderung Sexualität nicht in den eigenen vier Wänden ausleben können." Dem stimmte Beck zu. Er sagt: "Es ist fachlich immanent, dass es in den Privaträumen stattfindet."

Am Freitag verkündete das Verwaltungsgericht Augsburg sein Urteil: Die Klage wurde abgewiesen. Somit bleibt es in den Einrichtungen des Fritz-Felsenstein-Hauses in Mering, Königsbrunn sowie in der Augsburger Innenstadt verboten, Sexualbegleitung in Anspruch zu nehmen. Für Gregor Beck ist die Sache damit aber nicht abgeschlossen. "Wir bleiben in einem Dilemma. Denn die Regierung müsste uns eigentlich sanktionieren, wenn wir Sexualbegleitung, also gesetzlich Prostitution, anbieten. Sie müsste es aber auch sanktionieren, wenn wir es nicht anbieten, da das gegen den Grundsatz der Selbstbestimmung geht", erklärt Beck. Menschen mit Behinderung keine Sexualbegleitung anzubieten, sei fachlich unverantwortlich. Der Vorsitzende wartet nun die Urteilsbegründung des Verwaltungsgerichts ab. 

 
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