Dass der Traum vom Auswandern nach nur etwa 300 Kilometern an einer Autobahnraststätte durch einen rauchenden Motor unterbrochen wird, führt Roland Golsner zu einer Aktion, die er eigentlich nie machen wollte: Der 24-Jährige bittet auf seinem Social-Media-Account um Geld, genauer gesagt um 2500 Euro, ungefähr die Hälfte der Werkstattrechnung. Auf einer Spendenplattform schreibt er: "In diesem Auto ist alles, was wir noch besitzen" und "Die Rechnung ist leider höher als erwartet & konnte in unsere Berechnungen nicht einkalkuliert werden".
Eigentlich habe Golsner, der zuletzt noch in Kaufbeuren wohnte, mit vielen negativen Nachrichten gerechnet, erzählt er im Gespräch mit unserer Redaktion, schließlich hat er sich in Schweden gerade ein Haus leisten können. Doch die Reaktionen fallen anders aus als erwartet: Nach nur wenigen Stunden ist das Spendenziel erreicht. Dazu schicken einige Fans aufmunternde Worte. "Ich hoffe, dass eure Reise bald weitergehen kann. Ihr habt es verdient", schreibt eine Nutzerin. Ein paar Tage später sind Golsner und sein Freund Lukas Fischer in Schweden angekommen. Dort möchten sie sich ein neues Leben aufbauen.
Roland Golsner dreht als @itsrolislife Videos über mentale Gesundheit
Den Entschluss zum Auswandern habe Golsner im Juni 2023 gemeinsam mit seinem Freund gefasst, einem großen Schweden-Fan. Auf der Social-Media-Plattform Tiktok entdeckten die beiden ein Haus in Nordschweden, das zum Verkauf stand. Zunächst dachten die beiden darüber nach, ein Ferienhaus zu kaufen, als ihnen aber ihre gemeinsame Wohnung in Kaufbeuren auf Eigenbedarf gekündigt wurde, beschlossen sie, nach Schweden auszuwandern. "Der Wohnungsmarkt in Deutschland ist einfach zum Kotzen", sagt Golsner.
Leisten kann er sich das Haus in Schweden aufgrund zweier Jobs, von denen einer deutlich lukrativer ist. Golsner, besser bekannt als @itsrolislife im Internet, ist ein erfolgreicher Video-Creator auf Instagram und Tiktok. Auf seinen Accounts teilt er Kurzvideos über Selbstliebe und mentale Gesundheit. Golsner wurde wegen seines Gewichts in der Schule und Ausbildung gemobbt, auch im Internet, er litt an Depressionen und entwickelte eine Magersucht. Heute will er mit seinen Videos anderen Menschen mit seinen Erfahrungen unterstützen und Mut machen.
Während der Corona-Pandemie begann Roland Golsner mit Social Media
Im ersten Corona-Lockdown beginnt Golsner, Inhalte auf Social Media zu posten, schon das erste Video geht viral. Er merkt: Die Leute interessieren sich für sein Leben. Fast 90.000 Menschen folgen ihm inzwischen auf Instagram, 350.000 auf Tiktok. In seinen Videos schaut Golsner oft in die Kamera, dazu blendet er Texte ein. "Es ist ok, wenn dir deine Hosen nicht mehr passen", steht da oder in einer Video-Reihe sammelt er "365 Gründe, am Leben zu bleiben". Als Gründe listet er auf: "Weil es irgendwann ein Happy End geben wird", "Das Funkeln in den Augen anderer, wenn sie dein Geschenk auspacken" oder "Dieses Gefühl, erholt nach dem Schlafen aufzustehen".
Der ernste Hintergrund: Golsner hat mehrere Suizidversuche hinter sich. "Ich träume oft noch von meinen Suizidversuchen und dann wache ich in Schweiß gebadet auf und denke mir, es wäre schlimm, wenn ich diese schönen Jahre nicht erlebt hätte", sagt er. Über seine Erlebnisse hat er inzwischen sogar ein Buch geschrieben. Das Buch soll Menschen bei der Selbstreflexion und dem Umgang mit Gefühlen helfen.
Golsner wird in Schweden auch in der Pflege arbeiten
Von seinen Inhalten und Werbung für Produkte auf seinen Social-Media-Kanälen kann Golsner leben. Trotzdem wird er auch in Schweden einen zweiten Job anfangen. Schon nach wenigen Tagen hat er eine Stelle in der Pflege gefunden. Golsner wird sich um ältere Menschen in seinem Wohnort kümmern. In Deutschland arbeitete er in einem Heim für psychisch kranke Menschen und unterstützte diese bei der Wiedereingliederung. "Das Schwerste am Auswandern war es, meinen Job in der Pflege aufzugeben. Dort habe ich viele Freunde gefunden. Deswegen war es klar, dass ich in der Pflege weiter arbeiten will", sagt Golsner. Und schon jetzt weiß er: "Pflege wird in Schweden sehr wertgeschätzt."
Nach den Abschieden und dem Trubel der Anreise heißt es jetzt erst einmal ankommen, denn es gibt im neuen Zuhause noch viel zu renovieren. Auf Instagram nehmen Golsner und sein Freund die Follower mit: Sie streichen die Wände, fahren gemeinsam in den Baumarkt und bauen eine Eckbank in ihr Haus in Nordschweden. Es soll aber auch weiter Zeit für die Inhalte bleiben, die man von Golsner kennt. Er werde sich weiter mit mentaler Gesundheit beschäftigen. "Schweden ist wie so ein kleiner Neubeginn. Ich wollte in ein ruhigeres Land, um anzukommen, und werde auch weiter meine Vergangenheit verarbeiten." Und so ist das Auswandern nach Schweden für Golsner auch ein weiterer Schritt zu sich selbst.
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