zurück
München
Historiker: "Extremisten dürfen keinen Zipfel Macht bekommen"
Wie der Historiker Andreas Wirsching und weitere Fachleute den Hitlerputsch von 1923 einordnen – und welche Ähnlichkeiten und Unterschiede sie zu heutigen Verhältnissen sehen.
KINA - Tage, die Deutschland veränderten.jpeg       -  SA-Truppen aus dem Umland kommen am Bürgerbräukeller in München während des sogenannten Hitlerputsches an. Von dort aus wollen sie das ganze Land erobern.
Foto: dpa | SA-Truppen aus dem Umland kommen am Bürgerbräukeller in München während des sogenannten Hitlerputsches an. Von dort aus wollen sie das ganze Land erobern.
Christoph Frey
 |  aktualisiert: 11.03.2024 10:01 Uhr

Als in Bayern die Demokratie gerettet wurde, hatte eine Frau die Hosen an: Doch der Anteil der gebürtigen Schwedin Ellen Ammann an der Niederschlagung des Hitlerputsches in München vor genau hundert Jahren wurde lange verkannt. "Sie zog im Hintergrund die Fäden, die politische Bühne aber gehörte den Männern", sagt die Augsburger Geschichtsprofessorin Martina Steber. Ammann, Gründerin des Katholischen Frauenbundes in Bayern und damals eine von wenigen weiblichen Landtagsabgeordneten, hinderte das nicht, gegen Adolf Hitler entschlossen Front zu machen. Schon Monate vor dem gescheiterten Nazi-Putsch versuchte sie vergeblich, den österreichischen Hetzredner aus Bayern ausweisen zu lassen.

Es kommt anders. Von München aus wollen nationalistische Kräfte damals das Land erobern. "Die Regierung der Novemberverbrecher in Berlin ist heute für abgesetzt erklärt worden", proklamieren Adolf Hitler, Erich Ludendorff und Gesinnungsgenossen am 8. November 1923. Doch am Tag darauf endet der Putsch der Demokratiefeinde mit 20 Toten und vielen Verletzten. Die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP) wird verboten und Hitler wegen Hochverrats verurteilt. Ein Sieg für die Demokratie, der allerdings nicht von Dauer ist. Knapp zehn Jahre später kommen die Nazis an die Macht und führen Deutschland in die Katastrophe.

Der Blick auf die stärker werdende AfD löst Sorgen aus: Wie stabil ist unsere Demokratie?

Doch wäre so etwas auch heute wieder möglich? So unterschiedliche Politiker wie Markus Söder (CSU) und Gerhart Baum (FDP) sprachen schon vom "Hauch von Weimar", der die Bundesrepublik durchwehe. Der renommierte Historiker Heinrich August Winkler sorgte sich jüngst in einem Interview mit dem Spiegel ebenso um die Widerstandskraft der deutschen Demokratie und sagte mit Blick auf die Wahlerfolge der AfD: "Bedenken hinsichtlich der Stabilität müssen einem fast zwangsläufig kommen."

Doch was haben 1923 und 2023 tatsächlich gemeinsam? Sind Parallelen erkennbar? Genau mit diesen Fragen beschäftigte sich in München hundert Jahre nach dem Umsturzversuch eine Veranstaltung der Katholischen Akademie in Bayern mit drei renommierten Historikerinnen und Historikern. Als man sich für dieses Thema entschieden habe, habe er es eher als Werbegag gesehen, sagt Studienleiter Robert Walser. "Doch inzwischen bleibt mir der Gag fast im Hals stecken."

Zunächst einmal sind die Unterschiede zwischen 2023 und 1923 gewaltig. Das Deutschland des Jahres 1923 ist ein kaputtes Land, das einen Krieg mit Millionen von Toten verloren und Hungersnöte hinter sich hat. Die Demokratie ist jung und vielen fremd, die Hyperinflation vernichtet die Ersparnisse von Millionen und führt zu heute kaum mehr vorstellbarer sozialer Not. "Die Deutschen standen in der Tat am Abgrund", sagt Andreas Wirsching. Der Professor ist Direktor des Instituts für Zeitgeschichte München-Berlin, das sich mit der wissenschaftlichen Aufarbeitung des Nationalsozialismus befasst.

Die NSDAP war in ihren Anfängen eine von vielen rechtsextremen und antisemitischen Gruppierungen. Hitler war bald der Star der schillernden rechten Szene in München und Südbayern. Seine Reden lockten Zehntausende in die Brauereikeller und den Zirkus Krone. In Franken wurden sogenannte Deutsche Tage zu Aufmärschen mit Tausenden Teilnehmern und in Augsburg gab es die Werkgemeinschaft des Lehrers und frühen Hitler-Konkurrenten Otto Dickel.

Bayern war in diesen Jahren ein brauner Sumpf, ein Dorado für gewaltbereite Rechtsextremisten und Terroristen, die beste Kontakte zu Polizei, Militär und Politik unterhielten. Selbst Kapitalverbrechen wie "Fememorde", mit denen man politische Gegner ausschaltete, wurden nur unzureichend verfolgt. Der Münchner Polizeipräsident Ernst Pöhner beteiligte sich sogar am Hitlerputsch und bekannte später vor Gericht, dass er seit Jahren auf einen Umsturz hingearbeitet habe. Generalstaatskommissar Gustav Ritter von Kahr plante ebenfalls einen Staatsstreich und wandte sich erst spät gegen die Putschisten.

Bayern war in diesen Jahren ein brauner Sumpf

Im Unterschied zu damals stünden die Eliten in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft heute fest auf dem Boden der Demokratie, sagt der Historiker Wirsching. Er schränkt aber ein: "Was in zehn oder 15 Jahren ist, dafür würde ich meine Hand nicht ins Feuer legen." Denn die Krisensymptome seien nicht zu übersehen. Die Politik löse Probleme nur ungenügend, die Parteienlandschaft nähere sich "Weimarer Verhältnissen" an und mit der in Teilen rechtsextremen AfD gebe es eine Gruppierung, die das ganze System infrage stelle und die im Grunde ausgegrenzt werden müsse. Die historische Erfahrung aus Weimar sei: "Extremisten dürfen keinen Zipfel Macht bekommen."

Georg Seiderer, Professor für Neuere Landesgeschichte in Erlangen-Nürnberg, hat einen weiteren wichtigen Punkt ausgemacht. Die Parteien müssten Kompromissfähigkeit zeigen. "An der hat es in der Weimarer Republik gemangelt." Parallelen zur heutigen Zeit gibt es, sagt die Augsburger Geschichtsprofessorin Steber mit Blick auf den bayerischen Wahlkampf, in dem die CSU eine Koalition mit den Grünen von vornherein ausgeschlossen hatte. "Wenn demokratische Parteien Koalitionen miteinander von vorneherein ausschließen, dann weht ein Hauch von Weimar."

In ihrer Frauenschule organisierte Ellen Ammann den Widerstand

Ellen Ammann erlebte das Ende der Weimarer Republik, die sie in jener Novembernacht vor hundert Jahren so entschlossen verteidigt hatte, nicht. Die einflussreiche Abgeordnete der Bayerischen Volkspartei trommelt damals in der von ihr gegründeten Frauenschule in der Theresienstraße Mitglieder der Regierung zusammen, von dort aus wird der Widerstand koordiniert, werden gefährdete Menschen gewarnt. Ihr 20-jähriger Sohn radelt als Kurier los. Ammann hat ihn zu ihrem Parteikollegen, dem stellvertretenden Ministerpräsidenten Franz Matt, geschickt, um diesen zu holen. Neun Jahre nach dem Hitlerputsch starb sie am 23. November 1932 an den Folgen eines Schlaganfalls. Nach einer Rede im Landtag brach die 62-Jährige zusammen.

 
Themen & Autoren / Autorinnen
Adolf Hitler
Alternative für Deutschland
CSU
Erich Ludendorff
FDP
Gerhart Baum
Gustav Ritter
Heinrich August Winkler
Markus Söder
NSDAP
Nationalsozialisten
Polizei
Rechte Szene
Rechtsextremisten
Robert Walser
Weimarer Republik
Lädt

Damit Sie Schlagwörter zu "Meine Themen" hinzufügen können, müssen Sie sich anmelden.

Anmelden Jetzt registrieren

Das folgende Schlagwort zu „Meine Themen“ hinzufügen:

Sie haben bereits von 50 Themen gewählt

bearbeiten

Sie folgen diesem Thema bereits.

entfernen