Das befürchtete Verkehrschaos ist erst einmal ausgeblieben am Montag in Fürth – am ersten Tag der Abstimmung zum türkischen Verfassungsreferendum. „Aber der bekommt einen Strafzettel. Wir haben schon die Polizei verständigt“, sagt einer der drei jungen Männer, die in ihren neongelben Warnwesten als Parkanweiser fungieren. „Heute geht es noch. Aber am Wochenende herrscht hier Chaos“, ist sich der ehrenamtliche Helfer sicher und zeigt auf einen Wagen, der mitten auf der Straße in der zweiten Reihe parkt.
Beim Thema Referendum sind sich die drei, die gemeinsam in die benachbarte Moschee zum Beten gehen, nicht einig. „Er sagt ja, ich sage nein und der da vielleicht“, sagt der junge Mann, während im Hintergrund ein Streifenwagen vorfährt und neben dem Parksünder hält, der den halben Weg zur „Grünen Halle“ versperrt.
Die einzige Zufahrt zum Wahllokal haben die Männer mit einer Bake abgesperrt. Bei einer dunklen Limousine mit getönten Scheiben machen sie eine Ausnahme und Platz. „Das ist das Auto des Generalkonsuls“, sagen die jungen Parkanweiser und lassen den nagelneuen Wagen direkt vorfahren zum Eingang der „Grünen Halle“. Die ehemalige Sporthalle im Fürther Südstadtpark mutiert in den nächsten zwei Wochen für rund 65 000 wahlberechtigte Türken aus Nordbayern, Thüringen und der Oberpfalz zum politischen Pilgerort. Im Zentrum steht die Entscheidung, ob man mit „Evet“ (Ja) oder „Hayir“ (Nein) abstimmt.
Drinnen steckt derweil Generalkonsul Yavuz Kül mit einigen Wahlbeobachtern, die den korrekten Ablauf des Urnengangs garantieren sollen, die Köpfe zusammen. Vier gläserne Wahlurnen stehen bereit. „An den Wochenenden kommen noch zwei Wahlurnen dazu“, kündigt der Nürnberger Konsul Gürol Bas an. Als Wahlbeobachter haben türkische Parteien einige Mitglieder aus der Region nach Fürth geschickt.
„Ich bin von der bösen Partei“, sagt Semra Aydin und meint damit die Erdogan-Partei AKP. „Ich bin von den Grauen Wölfen“, sagt Emin Köse und erzählt, dass auch er mit „Ja“ abstimmen wird. Ali Yurt von der sozialdemokratischen CHP drückt dagegen dem „Hayir“-Lager die Daumen. „Ich bin seit 43 Jahren hier. Meine drei Kinder sind hier geboren und haben hier studiert. Jetzt will Erdogan den starken Mann spielen. Damit gefährdet er die Sicherheit der in Deutschland lebenden Türken“, ärgert sich Yurt.
Noch kräftiger dem „Nein-Lager“ die Daumen drücken dürfte Riza Kocadag, der Vertreter der Kurden-Partei HDP. Erdogan wolle mit Hilfe des Referendums langfristig eine Diktatur in der Türkei aufbauen. Viele kurdische Abgeordnete säßen dort bereits im Gefängnis. Kocadag hofft, dass auch viele Erdogan-Anhänger einen absoluten Alleinherrscher in Ankara verhindern wollen und deshalb mit „Hayir“ abstimmen werden.
Emil Altintas hat schon am Montag zum Auftakt der zweiwöchigen Abstimmung ihren Wahlzettel in eine der gläsernen Urnen in Fürth geworfen. „Ich habe mit ,Evet? und für die Verfassungsreform abgestimmt. Erst hatten wir Atatürk, jetzt haben wir Erdogan. Dazwischen hatten wir niemanden. Erdogan verdanken wir den wirtschaftlichen Aufstieg in der Türkei“, sagt die moderne Frau und junge Mutter gutgelaunt und selbstbewusst in akzentfreiem Deutsch.
„Ich habe mit Nein gestimmt, damit die Türkei weiterhin zu Europa gehört“, sagt dagegen ein Familienvater, der strahlend das Wahllokal verlässt. Seit 37 Jahren fühle er sich wohl in Deutschland, berichtet er. „Ich ärgere mich nur, dass ich keinen deutschen Pass habe. Ich darf Steuern zahlen, aber nicht mitbestimmen. Meine Kinder haben zum Glück beide Pässe und können hier und in der Türkei wählen.“ Er setze fest darauf, dass sich die Beziehungen beider Länder nach dem Referendum wieder normalisieren werden. „Wir haben Wahlkampf in der Türkei. Da wird viel auf die Pauke gehauen.“