Ist ausgerechnet das bayerische Verfassungsschutzgesetz verfassungswidrig? „In weiten Teilen: Ja“, findet die Grünen-Fraktionschefin im Landtag, Katharina Schulze. Die Landtags-Grünen reichen deshalb jetzt vor dem Bayerischen Verfassungsgerichtshof eine Klage gegen die vor rund einem Jahr in Kraft getretene Neuregelung ein.
Diese sieht eine deutliche Ausweitung der Rechte und Befugnisse des bayerischen Landesamtes für Verfassungsschutz (LfV) vor: So kann die Landesbehörde nun etwa auf Telefondaten aus der Vorratsdatenspeicherung zurückgreifen. Auch Online-Durchsuchungen von Computern oder Smartphones darf der Verfassungsschutz nun durchführen oder in eigener Verantwortung Wohnungen überwachen.
Alles Kompetenzen, die bundesweit und in allen anderen Bundesländern nur Polizeibehörden und Staatsanwälten zur Gefahrenabwehr gestattet sind – nicht aber dem Verfassungsschutz, dessen zentrale Aufgabe bislang die Informationsbeschaffung über verfassungsfeindliche Personen oder Organisationen ohne direkte Eingriffsbefugnisse war.
Selbst Kinder unter 14 Jahren kann der bayerische Verfassungsschutz mithilfe des neuen Gesetzes nun überwachen. Unter Einschränkungen ist die Bespitzelung besonders geschützter Berufsgruppen wie Rechtsanwälten oder Journalisten möglich. Vom Verfassungsschutz bezahlte Informanten können nicht mehr nur in gewaltbereite Gruppierungen eingeschleust werden, sondern auch in bislang nicht gewalttätige staatskritische Bewegungen.
„Es ist eine klare Kiste, dass von den 30 Artikeln des bayerischen Verfassungsschutzgesetzes mindestens ein Drittel einer verfassungsrechtlichen Prüfung nicht standhält“, glaubt der Mainzer Rechtsprofessor Matthias Bäcker, der für die Landtags-Grünen die Klageschrift formuliert hat.
So widerspreche das Landesgesetz in Teilen sowohl geltendem Bundesrecht, als auch der aktuellen Rechtsprechung – etwa dem „BKA-Urteil“ des Bundesverfassungsgerichts aus dem April 2016, das bei staatlicher Überwachung einen ausreichenden Schutz der Grundrechte der Betroffenen einforderte. Auch die nun mögliche Weitergabe bei Überwachung gewonnener Informationen an Geheimdienste im Ausland „ist so, wie es das Gesetz vorsieht, verfassungswidrig“, findet Bäcker.
Politisch stören sich die Grünen zudem an der Aufweichung der strikten Trennung zwischen Polizei und Verfassungsschutz in Bayern: Dieses klare Trennungsgebot fuße aus gutem Grund auf den historischen Erfahrungen in Deutschland, dass die Verschmelzung geheimdienstlicher Tätigkeit im Inneren mit direkten polizeilichen Zwangsmaßnahmen im Zweifel nicht mehr Sicherheit, sondern nur weniger Freiheit bewirke, warnt Schulze.
„Die klare Trennung führt zu einer starken Balance und gegenseitigen Kontrolle“, findet sie. Verschwinde diese Grenze, wie beim Verfassungsschutzgesetz oder auch beim neuen bayerischen Polizeigesetz, das der Polizei auch ohne konkreten Anlass schon bei einer nicht näher definierten „drohenden Gefahr“ weitreichende Befugnisse einräumt, sei der Preis für den vermeintlichen Sicherheitsgewinn zu hoch, kritisiert die Grüne: „Denn unter dem Label 'Mehr Sicherheit' entsteht eine falsche Balance, die bürgerliche Freiheitsrechte erheblich gefährdet.“