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München
Reaktion auf jüngste Pisa-Studie: Neuer Stundenplan ja, aber …
Kultusministerin Anna Stolz stellt ihr Konzept für mehr Lesen, Schreiben und Rechnen in der Grundschule vor. Die Lehrkräfte, die CSU und der Elternverband sind darüber geteilter Meinung.
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Foto: David-Wolfgang Ebener, dpa | Wie schafft man es, dass Bayerns Grundschüler besser in Deutsch und Mathematik abschneiden?
Sarah Ritschel
 |  aktualisiert: 11.03.2024 09:01 Uhr

Deutschlands Jugendliche waren in der jüngsten Pisa-Studie so schlecht wie nie zuvor. Zwar stammte nur ein Bruchteil der getesteten Neuntklässler aus Bayern. Doch in deutschlandweiten Vergleichstests sanken zuletzt auch die Leistungen im Freistaat – unter Jugendlichen ebenso wie unter Grundschulkindern, wenn auch auf deutlich höherem Niveau als in anderen Bundesländern. Alarmierenderweise ausgerechnet in den Basiskompetenzen Lesen, Schreiben und Rechnen.

Bayerns Kultusministerin Anna Stolz (Freie Wähler) hat am Dienstag einen Sieben-Punkte-Plan vorgestellt, der in der Grundschule ansetzt und Kinder wieder sicherer im Jonglieren mit Buchstaben und Zahlen machen soll. Je eine Stunde mehr Deutsch in allen Jahrgangsstufen, dazu in den Klassen eins und drei je eine Wochenstunde mehr Mathematik, das ist die Basis ihrer Grundschulreform. Weil über die ganze Schulzeit hinweg die Stundenzahl nicht steigen soll, müssen andere Fächer daran glauben. Streichen dürfen die Schulleitungen eine Stunde Englischunterricht. Kunst, Musik, Werken und Gestalten sind ab dem kommenden Schuljahr ein "Fächerverbund", innerhalb dessen Lehrkräfte weitgehend flexibel unterrichten können. Bei Lehrkräften, Bildungsexperten und Familien in Bayern kommt das unterschiedlich gut an. 

Wo sollen die zusätzlichen Lehrkräfte herkommen?

Wer soll das alles stemmen? Diese Frage stellt der Bayerische Lehrer- und Lehrerinnenverband (BLLV). Präsidentin Simone Fleischmann und ihre 68.000 Verbandsmitglieder sind offen für eine Pisa-Offensive, aber: Bei allen Konzepten – das von Ministerin Stolz umfasst ganze 23 Seiten – müsse man aber eines bedenken, so Fleischmann: die Arbeitsbedingungen für Lehrkräfte. "Von diesen hängt es ab, was bei den Kindern und Jugendlichen an den Schulen letztlich ankommt." 

Der BLLV fordert nicht nur einen Dialog darüber, wie die besseren Fördermöglichkeiten verwirklicht werden sollen und woher zusätzliche Lehrkräfte kommen sollen, die es nach Ansicht des BLLV benötigen wird. Der Verband verlangt auch die Rücknahme des "Piazolo-Pakets". Stolz' Vorgänger Michael Piazolo hatte Lehrkräften an Grund- und Mittelschulen 2020 Mehrarbeit, Einschränkungen bei der Teilzeit und bei den Ruhestandsregeln aufgebrummt. Dass sie das Paket erst mal nicht werde zurücknehmen können, hatte Anna Stolz im Gespräch mit unserer Redaktion zu Beginn ihrer Amtszeit betont. Ein Konzept für mehr Personal will sie in den kommenden Monaten präsentieren.

"Ich habe aktuell den Eindruck, dass die Ministerin nicht sieht, welche Probleme an den Schulen existieren"

Aus den Reihen des Koalitionspartners CSU kommt Kritik – genauer: aus dem Mund des schwäbischen Bildungsexperten Peter Tomaschko. "Ich habe aktuell den Eindruck, dass die Ministerin nicht sieht, welche Probleme an den Schulen existieren", sagt er auf Anfrage unserer Redaktion. Eine flexible Aufteilung der Unterrichtszeit sei bereits Praxis an den Grundschulen. "Aus der aktuellen Pisa-Studie wird deutlich: Schüler fühlen sich deutlich weniger durch ihre Lehrkraft unterstützt als 2012 und als jene im OECD-Durchschnitt." Jugendliche würden deutlich seltener einen Bezug des Unterrichts zu ihrer Lebenswelt erkennen, als es von den Lehrkräften angedacht sei. "Hier muss das Kultusministerium ansetzen und Schulen mit Lehr- und Arbeitsmaterial, Fortbildungen und moderner Software unterstützen."

Dass die Pisa-Offensive Schulen überfordern könnte, fürchtet Klaus Zierer, einer der renommiertesten Schulpädagogen Deutschlands. "Es geht hier um die Grundlagen aller weiteren Bildungsprozesse", betont der Augsburger Professor für Schulpädagogik. Deswegen hätte es seiner Ansicht nach klare Vorgaben aus dem Kultusministerium gebraucht, statt die Schulleitungen mit der Frage zu "überfordern", wo gestrichen werden soll." Auch, dass "durch mehr Stunden eine bessere Leistung folgt, ist ein Fehlschluss". Es hätte nicht mehr Stunden gebraucht, sondern eine Rückkehr zur Kultur des Übens, findet der Experte. Diktate, Nachschriften, das Einmaleins lernen, bis es sitzt, das werde an den Schulen heute kaum mehr gemacht. Doch genau darauf komme es an – "und wenn es fünf bis sieben Wiederholungsschleifen benötigt". Zierer fürchtet auch, dass Fächer wie Kunst, Musik oder Werken künftig abgewertet werden.

Daniela Orlamünder sieht es ganz anders als Zierer. Die Niederbayerin setzt sich als Vorstandsmitglied im Bayerischen Elternverband für die Anliegen von Familien ein, hat selbst ein Grundschulkind in der dritten Klasse und freut sich über die Gestaltungsfreiheit vor Ort. Die Qualität des Unterrichts lasse sich am meisten verbessern, wenn die Schulen selbst erarbeiten könnten, welche Stunden sie ersetzen. "Wir wünschen uns jetzt, dass die Eltern dabei mit ins Boot genommen werden und auch gemessen wird, ob die einzelne Schule ihre Ziele erreicht", sagt Orlamünder. "Das möchten wir nicht erst erfahren, wenn in fünf Jahren die nächste Pisa-Studie stattfindet."

 
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