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SCHWEINFURT/WÜRZBURG
Gewalt in Krankenhäusern: Risiko Patient
Immer wieder greifen Krankenhauspatienten diejenigen an, die ihnen helfen wollen. In einer alternden Gesellschaft könnte das Problem sich auch in Unterfranken verschärfen.
Krankenhaus       -  Krankenhaus (Symbolbild).
Foto: dpa | Krankenhaus (Symbolbild).
Von unserem Mitarbeiter Claudio Höll
 |  aktualisiert: 21.09.2016 03:40 Uhr

Sonnenlicht durchflutet die Eingangshalle des Leopoldina-Krankenhauses in Schweinfurt. Wer an der Kaffeebar in einem der Loungesessel Platz nimmt, ahnt vielleicht, dass es hinter den hellen Wänden in OP-Sälen und Krankenzimmern um Leben und Tod geht, denkt aber wohl an eines nicht: an Gewalt. An ausgeschlagene Zähne und lädierte Sehnen. Das sind Verletzungen, die Mitarbeiter des Krankenhauses bei ihrer Arbeit erlitten haben. Patienten haben sie angegriffen. Ob die Mitarbeiterin, der die Hand verdreht wurde, ihre Arbeit wieder ausüben können wird, ist noch nicht klar.

Es sind Fälle, von denen Jürgen Lehmann erzählt, wenn man ihn auf aggressive Patienten anspricht. Lehmann leitet seit gut zwei Monaten den Geschäftsbereich Pflege der 692-Betten-Klinik. Zuvor hat er 14 Jahre in einem Krankenhaus in Essen gearbeitet. Er stellt fest: In Schweinfurt sind Mitarbeiter mit aggressiven Patienten konfrontiert, in großen Ballungsgebieten sei das Problem aber drastischer: „In meiner alten Klinik war das ein tägliches Problem, hier ist das deutlicher seltener.“ In seiner kurzen Zeit in der Leopoldina hat Lehmann von drei Fällen erfahren, in denen Patienten Mitarbeiter verletzten. Ein solcher Angriff belaste Betroffene nachhaltig: „Das Grundvertrauen geht verloren.“ Das aber sei wichtig, weil die Pfleger mit den Patienten oft allein sind, wenn sie sie versorgen.

Der Vergleich zwischen Kliniken scheint Lehmanns Eindruck zu bestätigen: Große Krankenhäuser in Ballungsgebieten erzählen von mehr Vorfällen. So berichteten mehrere Medien im vergangenen Monat über das Klinikum Nürnberg: Die 2370-Betten-Klinik sprach offen über Angriffe und Gegenmaßnahmen: Im Schnitt einmal am Tag komme es zu einer Attacke, es gibt einen Sicherheitsdienst, Deeskalationstrainings und Türsicherungen, die nur von Mitarbeitern geöffnet werden können.

Ein anderes Bild zeigt sich in der Klinik Kitzinger Land mit 205 Betten: In den zweieinhalb Jahren, in denen sie den Pflegedienst leitet, sei es nie zu einem gravierenden Vorfall gekommen, erklärt Heidemarie Walker-Lilienfein. Nie habe man die Polizei rufen müssen. Sensibilisiert sei man für das Problem trotzdem: „Die Ängste sind da.“ Bei einer Nachmittagsschulung bildete das Krankenhaus interessierte Pflegekräfte in Selbstverteidigungstechniken aus.

Die Gründe, wieso Patienten ausrasten und zum Beispiel Pfleger kratzen oder beißen – zwei der häufigeren Gefahren, wie Lehmann vom Leopoldina berichtet – sind unterschiedlich. Ein Faktor, der dabei oft eine Rolle spielt: Alkohol. Lehmann meint dazu: „Menschen reagieren auf Alkohol unterschiedlich. Manche werden ruhig und müde. Andere laut und aggressiv. Wenn dann die Eigensteuerung nachlässt, hat man ganz schnell eine Situation, in der jemand übergriffig wird.“ Vor allem in den Notaufnahmen sei das ein Problem, hier haben es die Pfleger am häufigsten mit Patienten zu tun, die beleidigen, drohen oder handgreiflich werden. Das bestätigt auch Dr. Christian Pietsch, Chefarzt der Notaufnahme im Klinikum Aschaffenburg: „Selbstverständlich wird das Personal der Zentralen Notaufnahme immer wieder mit aggressiven und potenziell aggressiven Patienten konfrontiert. Das geschieht hier in ungleich höherem Maß als in anderen Krankenhausbereichen.“ Körperliche Angriffe seien aber in der Notaufnahme in Aschaffenburg die Ausnahme. An Zahlen kann er diese Aussage nicht festmachen – das Krankenhaus führe dazu keine Statistik. Auch das Leopoldina in Schweinfurt erfasst nicht systematisch, wie oft Patienten Mitarbeiter angreifen.

Das Uniklinikum in Würzburg erklärt dazu in einer schriftlichen Stellungnahme, das sei „nicht sinnvoll“. Zu unterschiedlich seien verschiedene Fälle. Am Klinikum Nürnberg, das seine Maßnahmen gegen Gewalt offen kommuniziert, halten Mitarbeiter Gewalt mit dem Formblatt „Meldung von Übergriffen“ fest. Das Krankenhaus erfasst so, wie oft es zu Angriffen kommt.

Auch wenn viele Krankenhäuser keine konkreten Zahlen nennen können, ist man sich sicher: Das Problem hat zugenommen. Pietsch vom Aschaffenburger Klinikum, der seit zwölf Jahren ausschließlich in Notaufnahmen arbeitet, sagt: „Subjektiv hat die Aggression zugenommen. Die Entwicklung ist eindeutig.“ Lehmann stimmt mit Blick auf seine Zeit in Essen zu: Was früher eine Randerscheinung gewesen sei, habe die Klinikleitung zuletzt täglich beschäftigt.

In der Statistik der Versicherer der Kliniken sind Angriffe durch Patienten Arbeitsunfälle. Dabei erfassen Versicherungen nicht nur Vorfälle in Kliniken, sondern zum Beispiel auch in Pflegeheimen. 2055 Mal gaben versicherte Einrichtungen im Jahr 2014 bundesweit an, dass sich ein Arbeitsunfall durch „Gewalt, Angriff oder Bedrohung“ ereignet habe. Neuere Zahlen haben die Statistiker des Versicherungsspitzenverbands Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV) noch nicht veröffentlicht. Das sind über 500 Fälle mehr als noch 2010, fast sieben Prozent der meldepflichtigen Arbeitsunfälle im Pflegebereich waren 2014 auf Gewalt zurückzuführen. Allerdings sind die Kliniken nur verpflichtet, Fälle zu melden, die zu mehr als drei Tagen Arbeitsausfall führen – „begrenzt aussagefähige Daten“ wie die kommunale Unfallversicherung Bayern selbst findet. Sie versichert die Krankenhäuser der Kommunen. Außerdem stellt auch die DGUV klar: Hochrechnungsunsicherheiten können auftreten, auch sei nicht sicher, ob inzwischen vielleicht mehr Fälle gemeldet werden, weil die Kliniken stärker sensibilisiert sind.

Aufschluss über das Ausmaß des Problems gibt ein Blick in die Statistik der Polizei: 58 Mal registrierten die Beamten in Unterfranken im vergangenen Jahr das, was sie als „Rohheitsdelikt mit Tatörtlichkeit Krankenhaus“ bezeichnen: In 47 Fällen ging es um Körperverletzung, der Rest entfiel auf Delikte wie Bedrohung. In 25 Fällen waren die Tatverdächtigen alkoholisiert, acht hatten andere Drogen konsumiert. Einen eindeutigen Trend zeigen die Zahlen der letzten fünf Jahre nicht, im Vergleich zum Vorjahreszeitraum passierte 2016 bisher weniger als 2015.

Johanna Knüppel, Sprecherin des Deutschen Berufsverbands für Pflegeberufe (DBfK) kritisiert, dass es keine verlässlichen Zahlen darüber gebe, wie oft Pflegekräfte in ihrem Beruf zu Opfern von Angriffen werden.

Knüppel ist sicher, dass das Thema an allen Krankenhäusern eine Rolle spielt, auch sie meint: in Ballungsgebieten eher als auf dem Land. Für sie ist klar, dass die Kliniken sich zu dem Thema ungern äußern: „Das hält man gerne lange unter der Decke und geht in die Offensive, wenn es nicht mehr anders geht.

“ Wenn wie in Nürnberg ein Wachdienst engagiert wird, dann auch, weil die Kliniken versuchten, ihre Mitarbeiter in Zeiten des Fachkräftemangels zu binden. Fragt man den Schweinfurter Pflegeleiter Lehmann, ob das Thema für die Kliniken tatsächlich so heikel sei, sagt er: „Heikel hin oder her, es ist eine Realität mit der wir uns auseinandersetzen müssen.“ Gewalt gebe es auch in anderen Bereichen: „Krankenhäuser sind nichts anderes als ein Spiegel der Gesellschaft. Ob wir das gerne kommunizieren oder nicht, ist nicht relevant. Es ist ein Faktum, mit dem wir umgehen müssen.“

Wenn die Pfleger Bedarf anmelden, werde es auch am Leopoldina Schulungen geben, so Lehmann. Fortbildungen zum Thema kennt er aus Essen: „Deeskalationstrainings sind hilfreich. Wer so ein Training absolvierte, fühlte sich sicherer und war auch sicherer in der Anwendung entsprechender Techniken.“ Das Uniklinikum in Würzburg und das Klinikum Aschaffenburg bilden ihre Pfleger bereits entsprechend fort. Einen Sicherheitsdienst, wie es ihn in Nürnberg gibt, hat keine der Kliniken eingerichtet. Das private Rhön-Klinikum in Bad Neustadt ging nicht darauf ein, wie viele Vorfälle es dort gibt und ob Übergriffe dokumentiert werden.

Auch wie es seine Mitarbeiter schützt, wollte das Privatkrankenhaus nicht mitteilen. Dies sei dort „kein Thema“.

DBfK-Sprecherin Knüppel meint zu gewalttätigen Patienten: „Die Krankenhäuser sind darauf viel zu wenig eingerichtet. Schulungen reichen nicht, damit kann man sich nicht rausreden.“ Notwendig seien technische Einrichtungen wie Rufsysteme, Sicherheitsdienste könnten sinnvoll sein, auch ausreichend Personal sei wichtig, um dem Problem zu begegnen: „Der Schutz der Mitarbeiter ist eine Investition, die sein muss!“

Mit aggressiven Patienten werden Pfleger es in Zukunft noch öfter zu tun bekommen, ist sich Knüppel sicher. Der Grund: Demenz und eine alternde Gesellschaft. Gerade in der ungewohnten Krankenhausumgebung können Demenzpatienten aggressiv werden. Knüppel fordert deshalb, sie nach Möglichkeit in ihrer gewohnten Umgebung zu behandeln – viele Ärzte scheuten aber den Besuch zu Hause oder im Heim, so ihr Vorwurf, zu schnell werde so ein Klinikbesuch nötig.

Zu Patienten mit Demenz wie auch zu Patienten, die unter Drogen stehen oder nach einer Narkose halluzinieren meint Lehmann: „In der Regel sind es Leute, die Situationen in der Patientenversorgung falsch einschätzen und auf Grundlage dieser falschen Einschätzung aus ihrer Sicht richtig reagieren, indem sie sich wehren.“

Demenz hat auch das Uniklinikum Würzburg im Blick, wenn es um Gewalt geht. Gemeinsam mit der Seniorenvertretung der Stadt Würzburg, dem Geriatriezentrum des Bürgerspitals und Sozialwissenschaftlern der FH Würzburg-Schweinfurt baut das Klinikum gerade die Arbeitsgruppe „Demenzsensibles Krankenhaus“ auf. So sollen Klinik, ambulante Versorgung und stationäre Altenhilfe besser vernetzt werden.

 
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  • H. S.
    Ich habe nirgends geschrieben das Demente es bewusst tun, sondern lediglich eine Aussage getätigt das meine Angst vor Dementen größer ist, wenn die gewalttätig werden, durch Kräfte die diese debei entwickeln.

    Und ja ich muss denen oder diese schreiben weil es sich auf eine Gruppe bezieht!

    Es ist immer wieder intressant wie manche Dinge interpretieren und einem Dinge in den Mund legen, die so nicht geschrieben sind.

    Schönen Sonntag noch
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  • A. B.
    "denen" ist umgangssprachlich und abwertend, "ihnen" wäre die korrekte Form gewesen. Auch im 2. Kommentar " wenn die gewalttätig werden" ...." wenn sie gewalttätig werden". Aber lassen wir das.
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  • A. B.
    @cooletrickle,- wenn Sie als Fachkraft in der Pflege tätig sind und davon gehe ich mal aus, finde ich Ihren Beitrag nur noch peinlich. 1. sind Demenzerkrankte mit Sicherheit NICHT bewußt gewalttätig, wie es auch Herr Lehmann beschrieben hat. Wenn Sie dafür keine Empathie übrig haben, haben Sie schlichtweg den falschen Beruf gewählt. Und 2. Ihr abfälliges "vor DENEN" sagt schon viel über Ihr Pflegeverständnis aus. Und 3. hoffe ich für Sie, dass Sie im Alter niemals dement werden und dann auf eine Pflegekraft mit Ihrer Einstellung angewiesen sind.
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  • H. S.
    Auch Patienten mit Demenz können unvorhersehbare Kräfte entwickeln und aggressiv werden, vor denen habe ich mehr Angst, wie vor alkoholisierten.
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