Eine besorgniserregende Entwicklung setzt sich fort: Immer mehr Menschen in Bayern melden sich wegen psychischer Erkrankungen arbeitsunfähig, vor allem Depressionen nehmen zu. Zu diesem Ergebnis kommt die Barmer Krankenkasse auf Basis ihrer Versichertendaten. Auch junge Menschen im Alter von 15 bis 29 Jahren seien stark betroffen. Und nicht nur die Barmer macht auf die Zunahme aufmerksam, auch die AOK meldet: Die Fehltage wegen psychischer Erkrankungen sind bundesweit seit 2012 um 48 Prozent gestiegen. Wer aber ist besonders gefährdet? Und wie kann gegengesteuert werden?
Fehlzeiten befinden sich auf Rekordniveau
Die Fehlzeiten befinden sich nach Berechnungen der Barmer generell auf einem Rekordniveau: Jede Erwerbsperson fiel im Jahr 2022 im Schnitt 20,6 Tage krankheitsbedingt aus. Damit lagen die Fehlzeiten im vergangenen Jahr um fast ein Drittel höher als noch 2021. Atemwegsinfekte waren mit Abstand der häufigste Grund für eine Krankschreibung, gefolgt von Rückenschmerzen. Vier Prozent der Krankschreibungen haben demnach eine psychische Erkrankung als Ursache. Das Problem bei seelischen Erkrankungen: Sie führen in der Regel zu sehr vielen Fehltagen. In Bayern sind es im Schnitt sechs Wochen. Das heißt, dass mit der Zunahme der psychischen Probleme auch die Mehrbelastung für die Kolleginnen und Kollegen steigt. Auch deswegen ist es für Barmer-Landesgeschäftsführer Alfred Kindshofer so wichtig, die Risiken besser zu erkennen und präventiv stärker entgegenzuwirken.
Ein paar Einflüsse, die psychische Erkrankungen begünstigen, konnte die Barmer herausarbeiten: So weisen Beschäftigte mit einer längerfristigen Tätigkeit an einem Arbeitsplatz, die auch länger am gleichen Wohnort leben, die geringsten Risiken auf. Beschäftigte in der Zeitarbeit sind demnach häufiger betroffen als diejenigen in einer regulären Anstellung. Auch bei unbefristeten Arbeitsverhältnissen ist die Quote demnach geringer als bei befristeten. Und ein höheres Risiko haben auch Frauen in Teilzeitbeschäftigung, erklärt Kindshofer und vermutet, dass es hier oft zu hohen Mehrfachbelastungen im beruflichen und privaten Bereich komme, da diese Frauen nicht selten neben dem Job noch Erziehungs- oder Pflegeaufgaben meistern müssen. Überhaupt seien Frauen häufiger von psychischen Erkrankungen betroffen als Männer, gerade im Alter zwischen 60 und 64 Jahren.
Spitzenreiter ist die Altenpflege
Auch ein Blick auf die einzelnen Berufsgruppen lässt große Unterschiede erkennen: So hat der Gesundheitsreport der Barmer ergeben, dass Beschäftigte in medizinischen und sozialen Berufen die meisten Fehltage aufgrund einer psychischen Diagnose haben. Spitzenreiter ist die Altenpflege, gefolgt von der Gesundheits- und Krankenpflege, dem Rettungsdienst und der Geburtshilfe. An dritter Stelle stehen Berufe im Bereich Erziehung, Sozialarbeit, Heilerziehungspflege, an vierter der Verkauf von Lebensmitteln, dann folgt die Verwaltung und die Reinigung. Am wenigsten mit seelischen Beeinträchtigungen kämpfen demnach Lehr- und Forschungstätige an Hochschulen.
Generell steige das Risiko für eine psychische Erkrankung mit dem Alter, erklärt Kindshofer. Um so auffallender sei der hohe Anteil von Krankschreibungen bei sehr jungen Beschäftigten. „Jungen Menschen scheinen die multiplen Krisen der vergangenen Jahre besonders zuzusetzen“, sagt Kindshofer. Da man weiß, dass sich seelische Leiden oft über Jahre entwickeln, macht er sich gerade auch um die jungen Menschen große Sorgen: Man wisse heute noch gar nicht, was da infolge der Corona-Pandemie mit ihren Maßnahmen wie etwa Schulschließungen noch auf unsere Gesellschaft zukomme.
Sensibilisierung der Führungskräfte ist entscheidend
An die Unternehmen appelliert Kindshofer, die Unterstützungsangebote im betrieblichen Gesundheitsmanagement anzunehmen, um so früher Warnsignale zu erkennen und gegensteuern zu können. Für Anja Buschner, die bei der Schaeffler AG mit Hauptsitz im bayerischen Herzogenaurach für das Gesundheitsmanagement zuständig ist, sind neben Seminaren rund um die Gesundheit die Schulung und Sensibilisierung der Führungskräfte ein entscheidender Schlüssel. Gelte es doch vor allem auch das Stigma, das psychische Krankheiten noch immer oft haben, weiter aufzubrechen.
Gleichwohl gibt es noch ein ganz anderes Problem: Menschen, die eine Psychotherapie brauchen, müssen vielerorts lange warten. Erst in diesen Tagen schreibt das Deutsche Psychotherapeuten Netzwerk: In Deutschland gibt es zu wenig Therapieplätze. „Der Gesetzgeber tut nichts, um für eine verbesserte Versorgung der kritischen Situation zu sorgen.“ Gut ausgebildete Psychotherapeutinnen und -therapeuten seien vorhanden, es fehlten aber Kassensitze für Psychotherapeuten.