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Augsburg
Arzt warnt: "Einsamkeit kann zu Depressionen führen"
Das Gefühl, niemanden zu haben, ist keine Erkrankung. Der Zustand kann aber krank machen. Wie ein Arzt und ein Wissenschaftler die Lage einschätzen.
Daniela Hungbaur
 |  aktualisiert: 11.03.2024 13:31 Uhr

Sie würde einfach gerne mit jemandem reden. Sie würde gerne mit jemandem spazieren gehen. Doch sie braucht jedes Mal Hilfe, wenn sie ihre Wohnung verlassen will. Denn sie sieht sehr schlecht und hat nach einem Sturz auch viele Ängste, erzählt die 74-Jährige. Ihr Mann ist vor ein paar Jahren gestorben, ihr Sohn ist auch bereits tot, viele Freunde seien schon gestorben und zur Tochter besteht leider kein Kontakt mehr. „Ich fühle mich oft einsam“, sagt die Leserin. „Sehr oft sogar.“

Bereits vor der Pandemie fühlte sich ein Drittel der Menschen in Bayern einsam

Ihren Namen will sie nicht in der Zeitung lesen, aber sie hat sich von einem Bericht angesprochen gefühlt, indem darüber informiert wurde, dass Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) das Thema Einsamkeit stärker in den Fokus rücken, dass er auch mehr Angebote schaffen will. „Doch die ganzen Angebote nützen nichts, wenn man nicht in der Lage ist, dort hinzukommen“, sagt die Frau, die in unserer Region lebt. Es sei schlimm, wenn man immer um Hilfe bitten muss, „denn man will doch keine Belastung sein“. Schlimm sei es aber vor allem auch, den ganzen Tag allein nur in der Wohnung sitzen zu müssen. „Bei mir läuft fast immer das Radio“, erzählt sie. „Klar, auch deswegen, weil ich informiert sein will, aber vor allem auch, damit sich wenigstens ein bisschen etwas rührt in der stillen Wohnung“.

Holetschek verwies auf Daten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) und des Deutschen Alterssurveys (DEAS) wonach vor der Corona-Pandemie etwa ein Drittel der Menschen in Bayern angab, zumindest manchmal einsam zu sein, zwei bis drei Prozent sind häufig beziehungsweise sehr häufig einsam. Seit der Corona-Pandemie ist diese Zahl noch einmal deutlich gestiegen, ist sich Dr. Achim Grinschgl sicher. Er ist der Ärztlicher Direktor der psychosomatischen Günztalklinik Allgäu. „Bei vielen Menschen, die schon vorher beispielsweise zu Ängsten, zu Panikattacken, zu Depressionen geneigt haben, verstärkten sich in Folge der Kontaktbeschränkungen ihre psychischen Probleme. Wir sehen aktuell in unserer Klinik eine deutliche Zunahme von Angst- und Panikerkrankungen, aber auch von Depressionen.“ Sehr viel häufiger als früher kommen zu ihm jetzt in die Klinik Patientinnen und Patienten, die sich gar nicht mehr aus dem Haus trauen, die gar keine sozialen Kontakte mehr pflegen, die nicht selten nicht einmal mehr ans Telefon gehen. Diese Isolation kann in Folge einer Depression, einer Angststörung entstehen, erklärt Grinschgl, andersherum sei es aber auch so, „dass Einsamkeit zu Depressionen führen kann“.

Einsamkeit ist stets ein negatives Gefühl, das Alleinsein nicht

Doch wichtig ist Grinschgl zu betonen: „Nicht immer geht das Gefühl der Einsamkeit mit einer psychischen Erkrankung einher. Überhaupt ist Einsamkeit ja keine Diagnose, sondern kann ein Symptom für eine Erkrankung sein." Ausschlaggebend für den Arzt ist der persönliche Leidensdruck des Betroffenen und wie sehr die Einsamkeit den Betroffenen in seinem Alltag einschränkt. Damit eine psychosomatische Behandlung Erfolg hat, sei es entscheidend, dass der Betroffene sich auch helfen lassen und etwas in seinem Leben verändern will. Denn wichtig ist bei diesem Thema auch: nicht jeder, der allein ist, ist einsam, betont Grinschgl. Doch während jemand, der sich aus freien Stücken heraus entscheidet, allein zu sein, sich damit sehr wohlfühlen kann, ist die Einsamkeit stets ein negatives Gefühl, eines, bei dem etwas schmerzlich vermisst wird, die soziale Interaktion nämlich.

„Und Einsamkeit ist ein Tabuthema“, weiß Grinschgl. „Einsamkeit ist schambesetzt.“ Nicht ohne Grund wird sie als eine Epidemie im Verborgenen bezeichnet. Denn schnell komme gerade bei dem Thema die Schuldfrage oder der Hinweis: selbst schuld. Doch auch wenn natürlich jeder eine Selbstverantwortung hat, sagt Grinschgl, die Schuld für seine Einsamkeit trägt noch lange nicht jeder allein. Zumal es auch sehr viele kranke Menschen gibt, Menschen, die beispielsweise aufgrund einer körperlichen oder geistigen Beeinträchtigung, aufgrund von Erkrankungen etwa im Autismus-Spektrum-Bereich ein höheres Risiko tragen, einsam zu sein. Auch Menschen, die in ihrer Kindheit sehr belastende oder missbräuchliche Beziehungen erlebten, laufen nach Ansicht von Grinschgl Gefahr, einsam zu sein. 

Grinschgl plädiert für eine stärkere breite Sensibilisierung für das Thema. Da es so viele Menschen trifft, da so viele Menschen ernsthaft krank werden können, kann er nur jedem raten, offener und aufmerksamer zu sein. „Uns fehlt heute oft der Austausch, das direkte Gespräch. Warum fragen wir nicht öfter: Kannst du mir helfen, kann ich was für dich tun? Fragen kostet doch nichts.“

Exzessive Mediennutzung kann zu Einsamkeit führen

Aber bietet nicht auch die Digitalisierung mehr Möglichkeiten Einsamkeit zu lindern? „Ein heikles Thema“, sagt Grinschgl. Natürlich bieten Social Media und Online-Angebote neue Möglichkeiten der Kommunikation und des Kontaktes. Doch er ist überzeugt: „Auf kognitiver Ebene lässt sich online viel vermitteln, aber emotional fehlt uns doch oft etwas.“ Dazu gebe es auch neurobiologische Studien, die zeigten, wie wichtig reale Beziehungserfahrungen sind.

Auch beim „Kompetenznetz Einsamkeit“, kurz KNE, einem Zusammenschluss von Forschenden, die sich mit den Ursachen und der Prävention befassen, sieht man die Digitalisierung nicht nur positiv. Zwar zeige sich, dass Menschen, die digitale Medien als Ergänzung zur Stabilisierung ihrer Kontakte nutzen, Vorteile haben. Doch exzessive Nutzungsformen können Einsamkeit verstärken, erklärt Janosch Schobin vom KNE. Für Schobin ist Einsamkeit ganz klar „ein Zukunftsthema“. Betroffen seien vor allem alte Menschen, aber auch junge Erwachsene. Und in einer alternden Gesellschaft sind immer mehr Menschen von Einsamkeit betroffen, da man bereits weiß, dass mit zunehmenden Alter und Erkrankungen, aber auch mit dem Tod des Partners oder Freunden sich das Risiko, einsam zu sein, erhöht. Bei jungen Erwachsenen sei es die Phase des Selbstständigwerdens, die verbunden mit der Trennung vom Elternhaus, der Suche nach einem Lebenspartner oft zu Stress und damit auch zu Einsamkeit führen kann. Hinzu kommt: „Wir leben in einer Welt, in der eine Krise auf die nächste folgt“, sagt Schobin. „Das verursacht nicht nur viele Ängste und Stress, die Frage ist auch, ob wir unseren Wohlstand halten können?“ Denn wissen muss man: Zu den Risikofaktoren für Einsamkeit zählen nicht nur Alter und Krankheit, sondern auch Armut.

Doch apropos Stress: Längst bekannt ist, wie Schobin ausführt, dass man Menschen mit Isolation in eine extreme Stresssituation versetzen kann. Bei einsamen Menschen sei eine wesentlich höhere Stresshormonkonzentration im Blut gemessen worden. Das heißt: Einsamkeit verursacht Stress und erhöht damit gerade auch das Risiko für Herz- und Kreislauferkrankungen. Was wiederum bedeutet: Einsamkeit kann nicht nur seelisch, sondern auch körperlich schwer krank machen.

Hilfe:Die Krisendienste Bayern bieten täglich rund um die Uhr unter der kostenlosen Telefonnummer 0800/6553000 Menschen in seelischen Krisen, Mitbetroffenen und Angehörigen Beratung und Unterstützung. Die Telefonseelsorge ist unter Telefon 0800/1110111, 0800/1110222 zu erreichen; Chatseelsorge: online.telefonseelsorge.de

 
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