Psychiaterinnen und Psychiater in Bayern warnen eindringlich: Der Druck auf die psychiatrischen Kliniken und hier vor allem auf die Notaufnahmen wachse enorm. Dort werden vor allem immer mehr Ältere, die an einer schweren Demenz leiden, aber auch immer mehr suchtkranke junge Menschen eingeliefert: "Wir laufen hier sehenden Auges in eine Katastrophe", sagt Alkomiet Hasan, der Ärztliche Direktor des Bezirkskrankenhauses Augsburg. Unterstützung erhält er von seinem Kollegen Jürgen Deckert, dem Leiter der Klinik für Psychiatrie an der Universität Würzburg: "Das Thema brennt." Die Zahl der akuten Notaufnahmen steige vor allem, weil die ambulante Versorgung überlastet sei.
Es fehlen vor allem Ärztinnen und Ärzte
Denn es fehlen längst nicht mehr nur Haus- und Fachärzte für körperliche Erkrankungen, sondern vor allem niedergelassene Psychiaterinnen, Psychologen und Psychotherapeutinnen. Darunter leiden immer mehr Erkrankte und deren Familien, wie Cordula Falk vom Landesverband Bayern der Angehörigen psychisch erkrankter Menschen erklärt: "Monatelange Wartezeiten auf ambulante und stationäre Behandlungen sind inzwischen gelebte Realität und eine Besserung der Lage ist nicht in Sicht."
Im Gegenteil: Hasan, der auch Lehrstuhlinhaber für Psychiatrie und Psychotherapie an der Universität Augsburg ist, und sein Kollege Deckert fürchten eine weitere Verschlechterung. Das habe mehrere Gründe: So steigt in einer alternden Gesellschaft der Behandlungsbedarf. Dem stehe aber ein massiver Nachwuchsmangel bei psychiatrisch tätigen Ärztinnen und Ärzten gegenüber. Eine eigene Praxis wollten viele nicht.
"Zum einen verdienen niedergelassene Psychiater und Psychotherapeuten als Vertreter der sprechenden Medizin im Vergleich zu vielen anderen Fachärzten für somatische Leiden weniger", erklärt Deckert. Zum anderen fürchteten viele den hohen Bürokratieaufwand und das wirtschaftliche Risiko, ergänzt Hasan. Daher fordern beide, dass man die Niederlassung attraktiver gestalten muss.
Vor allem die schwer Erkrankten geraten oft völlig aus dem Blick
"Die dramatischen Engpässe in der psychiatrischen und psychotherapeutischen Versorgung sind leider noch nicht in allen Köpfen angekommen", bedauert Hasan, "weder bei den politischen Entscheidungsträgerinnen und -trägern, aber auch nicht in der Gesellschaft." Vor allem sei der Blick oft ein verengter: Meist würden nur die Menschen gesehen werden, die leicht oder mittelschwer erkrankt sind und sich noch selbst Hilfe holen können. Erkrankte beispielsweise mit ausgeprägten Demenzen, mit schweren Psychosen oder Suchterkrankungen sowie suizidgefährdete Menschen würden beim Blick auf die psychiatrische Versorgung zu oft vernachlässigt.
Gleichzeitig steht den psychiatrischen Kliniken bereits neues Ungemach ins Haus: Ihnen drohen ab 2026 massive finanzielle Sanktionen, wenn sie nicht detaillierte Personaluntergrenzen einhalten. "Diese sind aber vor allem in der Pflege im Gegensatz zur somatischen Medizin nicht finanziert", ergänzt Deckert. Daher droht laut Hasan und Deckert gerade in Zeiten des Fachkräftemangels der Abbau weiterer Betten.
Ministerin Gerlach verweist auch auf die Krisendienste
Im bayerischen Gesundheitsministerium nehme man die Not psychisch kranker Menschen sehr ernst, betont Ministerin Judith Gerlach auf Anfrage. Daher baue man die Unterstützung bereits seit Jahren konsequent aus. Geht es nach der Statistik, so sei Bayern beispielsweise im Bereich der Kinder- und Jugendpsychiater sogar überversorgt. "Die statistisch gute Versorgungslage spiegelt aber nicht mehr die tatsächliche Bedarfssituation wider", weiß die CSU-Politikerin. Hier setze man sich daher für Änderungen ein. Und im niedergelassenen Bereich gebe es bereits eigene Förderprogramme.
Ministerin Gerlach verweist unter anderem auch auf die Krisendienste: Menschen in psychischen Krisen können sich in Bayern frühzeitig und niedrigschwellig hier melden. "Mit den Krisendiensten Bayern steht seit nunmehr drei Jahren ein deutschlandweit einmaliges, flächendeckendes und professionelles Soforthilfeangebot zur Verfügung." Die Krisendienste sind rund um die Uhr bayernweit und kostenfrei unter der zentralen Rufnummer 0800/655 3000 erreichbar und können von jedem kontaktiert werden – auch von Angehörigen.