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München
100 Jahre Hitler-Putschversuch: Münchens Feldherrnhalle ist ein Ort der Widersprüche
Vor hundert Jahren scheiterte der Putschversuch von Adolf Hitler vor der Münchner Feldherrnhalle. Das Bauwerk steht noch heute für die wechselvolle Geschichte der Landeshauptstadt.
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Foto: Matthias Balk, dpa | Im Oktober forderten Tausende Menschen vor der Feldherrnhalle in München: "Zammreißen! – Bayern gegen Rechts".
Josef Karg
 |  aktualisiert: 11.03.2024 10:02 Uhr

Es ist ein trist-grauer Mittag, typisches Novemberwetter. Das Glockenläuten der Theatinerkirche weht herüber. Und wie jeden Tag stehen Gruppen von Touristen vor der Münchner Feldherrnhalle. Eine Dame mit Schirm erklärt gerade auf Spanisch, was es mit ihr auf sich hat. Auch Adolf Hitler kommt in ihren Ausführungen vor, es ist ein knapper Exkurs – schließlich will man noch mehr von München sehen.

Und so bekommen die kolumbianischen Besucherinnen und Besucher die Dramatik der Vorgänge vor fast genau hundert Jahren zumindest nicht im Detail geschildert: Damals war die Feldherrnhalle Mittelpunkt eines blutigen politischen Geschehens. An jenem 9. November 1923 zog Hitler zusammen mit Generalfeldmarschall Erich Ludendorff an der Spitze von rund 2000 Bewaffneten aus der SA und anderen Kampfverbänden vom Bürgerbräukeller aus durch den eisigen Schneeregen Münchens. Der Marsch auf die Feldherrnhalle wird als Hitlers erster Versuch, die Macht zu ergreifen, in die Geschichte eingehen.

Am Ende scheitert er kläglich. Vor der Feldherrnhalle werden die Schergen von einer Hundertschaft der Bayerischen Landespolizei empfangen. Nach einem heftigen Feuergefecht mit Dutzenden von Toten und Schwerverletzten ist der erste Angriff der Nationalsozialisten auf den Staat um die Mittagszeit gescheitert. Hitler flieht in ein Versteck an den Staffelsee. Später wird er verhaftet und nach dem Gerichtsprozess zu fünf Jahren Festungshaft in Landsberg verurteilt.

Weil der Bereich zur Fußgängerzone gehört, ist die Feldherrnhalle Ziel Tausender Menschen aus aller Welt

Ein Jahrhundert später: Eine weitere Besuchergruppe ist an der Feldherrnhalle angekommen. Sie verweilt dort etwas länger, und der Guide kommt auf den "Odeonsplatz mit dem imposanten Denkmal" zu sprechen. Und natürlich auch auf Hitler. Ein Tablet wird herumgereicht, auf dem eine Schwarz-Weiß-Fotografie des "Führers" zu sehen ist. Wirkmächtig steht er bei der Gedenkfeier am 8./9. November 1934 vor dem Denkmal am Rednerpult. Ein Raunen geht durch die Touristenschar. Es wird auch auf Benito Mussolini verwiesen. Mussolini und sein erfolgreicher Marsch auf Rom im Jahr 1922 waren für die Nazis das Vorbild.

Die zwischen 1841 und 1844 erbaute Feldherrnhalle steht wie kaum ein anderes Baudenkmal für die wechselvolle Geschichte Münchens. König Ludwig I. gab diese Nachbildung der Florentiner Loggia dei Lanzi am südlichen Ende des Odeonsplatzes in Auftrag. Friedrich von Gärtner, neben Leo von Klenze der bedeutendste Baumeister im Königreich, lässt es als Denkmal für die bayerische Armee errichten. Zu sehen sind auch die beiden größten bayerischen Feldherren, Tilly und Wrede, von denen der eine allerdings kein Bayer und der andere kein Feldherr war. Wie es Schriftsteller Lion Feuchtwanger in seinem bekanntesten Gesellschaftsroman "Erfolg" schrieb, in dem der Hitlerputsch vor der Feldherrnhalle ebenfalls vorkommt.

1987 hielten Neonazis eine "Ehrenwache" nach dem Tod von Hitlers Stellvertreter Heß an der Feldherrnhalle ab

Weil dieser Bereich Münchens heute zur Fußgängerzone gehört, ist die Feldherrnhalle Ziel Tausender Menschen aus aller Welt. Asiaten schießen Fotos, Englisch sprechende Gäste machen Selfies, und Geschäftsleute ziehen raschen Schrittes vorbei. Die meisten ahnen vermutlich nicht, welche Symbolschwere das Gebäude hat, das derzeit nach 70 Jahren erstmals wieder generalsaniert wird und stellenweise eingerüstet ist. Ob die Sanierung bewusst zeitlich so gelegt wurde, dass zum "Jubiläum" rechtsextreme Umtriebe erschwert werden? Diese Frage beantwortet die zuständige Bayerische Schlösser- und Seenverwaltung nicht.

Die Frage kommt nicht von ungefähr. 1987 beispielsweise hielt eine Gruppe von Neonazis eine "Ehrenwache" nach dem Tod von Hitlers Stellvertreter Rudolf Heß an der Feldherrnhalle ab. Vor einigen Jahren wurde eine Pegida-Demonstration an gleicher Stelle von der Stadt abgelehnt.

Dass der Ort so stark aufgeladen ist, liegt auch daran, dass Hitler die Loggia in der Zeit des Nationalsozialismus zu einer Kultstätte stilisierte und sie für Propagandazwecke instrumentalisierte. Nach der Machtergreifung ließ er eine große Bronzetafel mit Hakenkreuz "für die Märtyrer der Bewegung" mit dem Spruch "Und ihr habt doch gesiegt!" anbringen. Eine Ehrenwache wurde aufgestellt, Passanten mussten mit dem Hitlergruß die Ehre erweisen.

Im Oktober forderten hier 35.000 Menschen "Zammreißen! – Bayern gegen Rechts"

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die Nazi-Symbole beseitigt. Heute erinnert nur mehr eine kleine Bronzetafel an die vier beim Putschversuch getöteten Polizisten. Die Halle sei mit ihren elegant geschwungenen Rundbögen ein ganz spezieller Symbolort, der widersprüchlich wahrgenommen wird, heißt es im Historischen Lexikon Bayerns. Im Oktober fand an diesem Ort vor den Landtagswahlen eine Großdemo mit 35.000 Menschen unter dem Motto "Zammreißen! – Bayern gegen Rechts" statt. Die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde, Charlotte Knobloch, eröffnete die Veranstaltung mit den Worten: "Wir stehen ein für unsere Demokratie. Deshalb erlauben wir nicht, dass Rechtsextremismus unsere Demokratie zersetzt – nicht noch einmal!"

An diesem Novembertag schiebt ein Securitymann die Bauzäune zur Seite, die vorher mit Schlössern versperrt waren. Die Augen der Umstehenden richten sich auf ihn. Auf die Frage, was er denn mache, will er zunächst nicht antworten. Noch einmal gefragt, erläutert er, dass täglich Stichproben genommen würden. Wovon? Keine Antwort. Nun werden Regenschirme aufgespannt, die nächste Touristengruppe ist im Anmarsch. Diesmal kommt sie aus Argentinien.

 
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