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Augsburg
Wo kann man in der Region noch Kinder zur Welt bringen?
Im Jahr 2000 gab es in Schwaben noch 29 Kliniken mit Geburtsstationen, 2023 sind es nur noch 18. Es wird weiter zentralisiert – auch mit der Krankenhausreform.
KAYA8101.jpeg       -  Rund ein Drittel der im Jahr 2000 noch existierenden Geburtsstationen im Regierungsbezirk Schwaben gibt es nicht mehr.
Foto: Alexander Kaya (Symbolbild) | Rund ein Drittel der im Jahr 2000 noch existierenden Geburtsstationen im Regierungsbezirk Schwaben gibt es nicht mehr.
Dominik Durner
 |  aktualisiert: 11.03.2024 11:01 Uhr

Die Debatten und Aufschreie in Bayern sind stets emotional, wenn wieder eine Geburtsstation geschlossen wird – meist ändert das aber nichts am Ergebnis. "Wenn Kliniken ihre geburtshilflichen Abteilungen schließen, hat das in der Regel wirtschaftliche Gründe", sagt Mechthild Hofner, erste Vorsitzende des Bayerischen Hebammen Landesverbandes (BHLV). Obendrein mangle es häufig an Hebammen und Fachärzten. Das jüngste Beispiel ist die Wertachklinik Bobingen, am 30. September 2022 wurde dort das vorerst letzte Kind geboren. Währenddessen werden Hausgeburten und Geburtshäuser immer beliebter.

Mit Oettingen, Oberstdorf, Sonthofen, Weißenhorn, Lindenberg und Wertingen ist die Liste der seit 2000 endgültig geschlossenen Geburtsstationen lang. In Schwabmünchen wurde genauso wie in Bobingen bislang nur der Betrieb eingestellt – die Wertachkliniken melden die Abteilung also weiterhin für den Krankenhausplan des Gesundheitsministeriums.

Für kleinere Kliniken sind geburtshilfliche Abteilungen häufig nicht wirtschaftlich

Darüber hinaus existieren neben der Privatklinik Jessenius in Kaufbeuren noch das Stiftungskrankenhaus Lauingen, die Illertalklinik Ilertissen– mittlerweile ein Gesundheitszentrum – und die Klinik Marktoberdorfüberhaupt nicht mehr. Das geht aus einer Anfrage unserer Redaktion an das bayerische Gesundheitsministerium hervor. Das Krankenhaus Augsburg-Haunstetten wurde zudem zum 1. Januar 2006 in das damalige Zentral- und heutige Universitätsklinikum eingegliedert.

Allein in Schwaben reduzierte sich die Anzahl der klinischen Geburtsstationen von 29 im Jahr 2000 auf 18, Stichtag 1. Januar 2023, wie Daten des Gesundheitsministeriums und der Krankenhaus-Suchplattform "Klinikradar" zu geburtshilflichen Abteilungen zeigen. "Geburtshilfliche Abteilungen, gerade in kleineren Krankenhäusern, die eine gewisse Sectio-Rate (Kaiserschnitte, Anm. d. Red.) nicht einhalten oder entsprechend hohe Geburtenzahlen nicht vorweisen können, sind schon von vornherein nicht wirtschaftlich", sagt Mechthild Hofner. Werdende Eltern müssten deshalb auf größere Krankenhäuser ausweichen und weitere Strecken in Kauf nehmen.

Im Krankenhaus in Aichach befindet sich ein hebammengeleiteter Kreißsaal

Auch die Aichacher Klinik stellte 2018 die Geburtshilfe ein, seit 2021 wird dort aber Pionierarbeit geleistet: In den Räumen der ehemaligen Geburtsstationbefindet sich mittlerweile ein hebammengeleitetes Geburtshaus. "Das ist ein absolut positives Beispiel, wo das massive Engagement der Hebammen auch vom politischen Willen unterstützt wird", sagt BHLV-Vorsitzende Mechthild Hofner. Der Landkreis habe durch eine Anschubfinanzierung in Form eines Kredits und einen "angemessenen Mietpreis" einen entscheidenden Beitrag zum hebammengeleiteten Kreißsaal geleistet.

Hebammengeleitete Einrichtungen wie Geburtshäuser und -räume wie in Kemptenoder Schwabmühlhausen finden laut Hofner immer mehr Zulauf: "Das wünschen sich sehr viele Frauen und werdende Eltern, weil sie gerne die Hebamme vor der Geburt kennen würden und auch von dieser Hebamme begleitet werden möchten." Das Angebot für "hebammengeleitete Geburtshilfe" sei aber klinisch und vor allem außerklinisch noch nicht entsprechend vorhanden, "sodass diese Familien doch zur Geburt in die Klinik gehen müssen".

Krankenhausreform wird in der aktuellsten Fassung als "enttäuschend" bewertet

Um die geht es am Rande auch in der kontrovers diskutierten Krankenhausreform, eines der Leuchtturmprojekte des Bundesgesundheitsministers Karl Lauterbach (SPD). Das aktuellste Eckpunktepapier vom 10. Juli lehnte der bayerische Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) zwar insbesondere aus Sorge vor einem "Klinik-Kahlschlag" ab. Die Ankündigung, unter anderem die Bereiche Pädiatrie und Geburtshilfe sollen "einen zusätzlichen, nach Leistungsumfang gestaffelten Zuschlag" erhalten, begrüßt das Gesundheitsministerium auf Anfrage aber.

Der Deutsche Hebammenverband (DHV) bezeichnet das Eckpunktepapier speziell für Hebammen und Geburtshilfen als "enttäuschend": "Ohne eine eigene Leistungsgruppe für die physiologische, hebammengeleitete Geburt kann eine echte Reform der klinischen Geburtshilfe nicht funktionieren." Es reiche nicht, neues Geld in ein schlecht funktionierendes System zu stecken. Die Folge sei eine weitere Zentralisierung der Fachabteilungen in größere Häuser, die ungesteuerte Schließung weiterer Geburtshilfestationen durch den immer stärkeren Druck auf Kliniken werde sich zudem fortsetzen.

Hebammenverband fordert Trennung von Geburtshilfe und Geburtsmedizin

Wie kann es also weitergehen? Der DHV fordert, dass die physiologische Geburt mit Hebammenbegleitung gefördert werden müsse: "Geburtshilfe und Geburtsmedizin müssen zwingend getrennt betrachtet werden, da man sonst weiterhin Äpfel mit Birnen vergleicht." Mit dem "gut gemeinten Sicherstellungszuschlag" allein sei es nicht getan.

Hofner fordert deshalb für die klinische Geburtshilfe zusätzlich hohe Investitionen in einen ausreichend großen Personalpool an Hebammen, denn "damit spart man sich im medizinischen Bereich langfristig ein Vielfaches an Kosten im Gesundheits- und Sozialsektor". Die Finanzierung der sogenannten Eins-zu-eins-Betreuung durch Hebammen sei zwar "ein hoher Kostenfaktor", rechne sich aber dadurch, dass man kostenintensive Interventionen wie den Kaiserschnitt vermeiden und die Kosten dafür einsparen könne.

Geburten mit Interventionen, etwa Kaiserschnitt, Saugglocke oder Zange, machen laut Hofner derzeit rund 30 Prozent der Geburten aus, "Interventionsgeburten ziehen aber hohe Nachfolgekosten nach sich". So fielen bei Verwachsungen nach Kaiserschnitten etwa Folgeoperationen an und auch Ausgaben im psychosozialen und therapeutischen Bereich seien nicht zu vernachlässigen: "Rund 20 Prozent der Frauen erleben die Geburt als traumatisch."

 
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