Wenig Zeit, viel Stoff und viel Chaos: Wenn sich zwei Frauen aus der Region an ihre Zeit als Schülerinnen im achtjährigen Gymnasium erinnern, kommen sie immer wieder auf diese Probleme zu sprechen. Wie haben sie die Schulzeit erlebt? Und wie blicken sie darauf, dass 2024 der letzte Abiturjahrgang nach acht Jahren den Abschluss macht – und der nächste erst wieder nach neun?
Julia Knöferl, 31 Jahre, aus Augsburg
Ich gehörte zum ersten G8-Jahrgang. Allerdings war mir das nicht bewusst, als ich in der 5. Klasse auf ein Mädchengymnasium kam. Zunächst war alles wie üblich, ab der 6. Klasse wurde dann plötzlich das G8 ausprobiert. Wir waren die Versuchskaninchen. Während wir eigentlich schon mittendrin waren, überlegte man erst, nach welchem Lehrplan wir künftig unterrichtet werden sollten. Ich kann mich noch daran erinnern, dass Lehrerinnen und Lehrer nicht so recht wussten, welche Themen sie mit uns behandeln sollten. Wirklich ausgelassen wurde letztlich zwar nichts Nennenswertes. Dafür zogen wir den Stoff einfach in kürzerer Zeit durch. Das bemerkte ich zum Beispiel, als ich bei einer Klassenfahrt nicht dabei sein konnte und deswegen in einer G9-Klasse untergebracht war. Meine eigene Klasse hatte meist ein flotteres Tempo. Ich denke, im G9 gab es einfach mehr Zeit, um Stoff zu wiederholen und Fragen zu stellen.
Zu Beginn des G8 gab es das Problem, dass wir gar keine Bücher zur Verfügung hatten. Neue gab es noch nicht. Und die alten durften die Lehrerinnen und Lehrer nicht mehr verwenden. Wenn wir auf Prüfungen lernten, war das eine einzige Zettelwirtschaft. Bestehend aus Kopien und Unterlagen unserer Lehrer, teils noch aus deren Studienzeit.
Neben dem ganzen Chaos blieben auch viele meiner Freundinnen während der Zeit sitzen oder wechselten sogar die Schule. An irgendeinem Punkt waren alle meine sieben oder acht Freundinnen weg. Besser wurde die Situation erst, als in meinem Jahrgang so wenige Schülerinnen übrig waren, dass aus vier Klassen drei gemacht wurden. Das Verhältnis zu meinen neuen Mitschülerinnen wurde dann enger.
Zunächst war alles wie üblich, ab der 6. Klasse wurde dann plötzlich das G8 ausprobiert. Wir waren die Versuchskaninchen.
Als besonders unfair empfinde ich bis heute, dass mein Jahrgang plötzlich gezwungen war, in Mathematik Abitur zu schreiben. Zuvor konnte das Fach wahlweise geprüft werden. Mir und vielen anderen zog das den Schnitt der Abiturnote ganz schön herunter. Manche konnten beispielsweise nicht mehr Medizin studieren, wofür man ja bekanntlich eine sehr gute Abiturnote benötigt. Auf mich traf das zunächst nicht zu. Meine Note war nicht schlecht und ich ging nach Passau, um dort Deutsch und Englisch auf Lehramt zu studieren. Das Referendariat machte ich danach nicht. Ich absolvierte stattdessen – zurück in Augsburg – ein redaktionelles Volontariat und arbeite inzwischen als Redakteurin in einem Lehrerfachverlag.
Ich persönlich hatte mit dem G8 vor allem Startschwierigkeiten. Ansonsten haben unsere Lehrerinnen und Lehrer einen tollen Job gemacht. Nach dem Abitur hatte ich auch nicht den Eindruck, zu jung für das Studium zu sein. Es ist so oder so eine große Entscheidung, die man für den weiteren Lebensweg zu treffen hat, ob nun ein Jahr früher oder später. Dass das G9 nun wieder eingeführt wird, ist sicherlich für manche nicht schlecht. Es kann aber auch Vorteile haben, bereits ein Jahr früher Geld zu verdienen.
Alexandra Sinhart, 26 Jahre, aus Augsburg-Hochzoll
Ich habe 2016 in Aichach Abitur gemacht. In der Oberstufe haben wir sehr häufig von Lehrkräften diesen Satz gehört: "Dafür haben wir leider keine Zeit, aber ihr müsst es trotzdem im Abitur können." Es blieb wenig Zeit für Vertiefung, es war sehr viel Eigenstudium. Das war zwar für alle zukünftigen Studierenden eine gute Übung. Aber es wurde uns nie wirklich nähergebracht, wie wir uns selbst Inhalte langfristig beibringen. Ich war in einer Ganztagsklasse mit viel Unterricht am Nachmittag, daneben hatte ich Nachhilfe. An freien Nachmittagen und Wochenenden habe ich mit meinem Vater Mathe wiederholt, mir Lernvideos auf Youtube angesehen. Die gesamte Zeit zum Abitur hin habe ich als sehr gehetzt und stressig empfunden.
Ich wünsche mir für die G9-Abiturienten mehr Vertiefungs- und Übungsmöglichkeiten bei individuellen Schwächen.
Ich war danach ein wenig ziellos. Zum Glück wusste ich, dass ein Studium direkt im Anschluss ans Abitur keinen Sinn für mich ergeben hätte. Ich war für ein Jahr als Au-pair in Großbritannien und habe dort meine Englischkenntnisse stark verbessert. Danach bin ich in eine Ausbildung zur Tiermedizinischen Fachangestellten gegangen, die ich durch mein Abitur auf zweieinhalb Jahre verkürzen konnte. Studiert habe ich seitdem nur ein Semester während der Coronazeit, weil ich das gerne einmal ausprobieren wollte. Danach bin ich wieder zurück in meinen erlernten Beruf gegangen. Denn die Arbeit hat mir viel mehr Spaß gemacht als das stumpfe Sitzen vor dem PC während dem Corona-Studium. Heute arbeite ich in einer leitenden Position und bin ein Allrounder in der Tiermedizin.
Ich wünsche mir für die G9-Abiturienten mehr Vertiefungs- und Übungsmöglichkeiten bei individuellen Schwächen. Das hätte mir sehr geholfen, Mathe nicht so sehr zu fürchten, wie ich es getan habe. Zudem wünsche ich mir für die Schülerinnen und Schüler mehr Freizeit und die Möglichkeit, sich durch Wahlfächer besser auszuleben.