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Fußball
Jung, gewaltbereit, rechtsradikal: Der SSV Ulm und seine Problem-Hooligans
Zwei Jahre nach einem Bericht über rechtsextreme Ulmer Hooligans marschiert dort eine neue, junge Generation auf. Der Verein scheut die Konfrontation mit den Problemfans und setzt stattdessen auf Diplomatie. Ist das genug?
Florian Lang
 |  aktualisiert: 29.03.2024 02:50 Uhr

Irgendwann ist den fünf jungen Männern das Geschimpfe über die unerwünschten Gäste im Ort nicht mehr genug. Sie trinken sich Mut an und fahren zu dem Grundstück in Dellmensingen bei Ulm, auf dem eine Roma-Familie mit Erlaubnis des Eigentümers campiert. „Haut ab, ihr Zigeuner“, brüllen sie. Schließlich wirft einer von ihnen eine brennende Fackel in Richtung eines der Wohnwagen, in dem eine Mutter mit ihrem neun Monate alten Kind schläft.

Der rassistische Übergriff im Mai 2019 schlägt in der Donau-Alb-Region hohe Wellen. Den Tätern wird von der Staatsanwaltschaft versuchter Mord vorgeworfen, doch nachdem Sachverständige aussagen, dass zu keiner Zeit Gefahr für Leib und Leben bestand, werden vier von ihnen wegen gemeinschaftlicher Nötigung zu Jugendstrafen zwischen zehn Monaten und einem Jahr und vier Monaten verurteilt. 

Vier der fünf Täter waren seinerzeit in der Hooligan-Szene des SSV Ulm aktiv. Fünf Jahre später steht zumindest Robin D. noch immer im Ulmer Fan-Block. Er und seine Kameraden von der Donaucrew 08, darunter weitere Personen aus dem Umfeld der Täter von Dellmensingen, sind Teil einer neuen, äußerst gewaltbereiten und bestens vernetzten Generation neonazistischer Hooligans, die für Angst unter denjenigen Fans sorgt, die sich gegen ihre Ideologie zur Wehr setzen. Zwei Jahre, nachdem sich der SSV Ulm nach einem ARD-Beitrag gegen den Vorwurf der Tatenlosigkeit wehren musste, steht der Verein für seinen Umgang mit jungen Nazi-Hooligans wieder in der Kritik. Die Frage ist: Wo beginnt die gesellschaftliche Verantwortung des Profifußballs – und wo endet sie? 

Rechtsextreme Hooligans organisieren sich semiprofessionell im Kampfsport

Über zwei Jahre hinweg hat das linksaktivistische Blog "Recherche Ulm" unzählige Posts in den sozialen Medien dokumentiert, Fan-Märsche vor und nach Spielen im Bild festgehalten und Querverbindungen zwischen den Hooligans, der AfD, der Identitären Bewegung und der Allgäuer Neonazi-Szene nachverfolgt. Eine Auswertung zeichnet das Bild einer Gemeinschaft, die sich als gewalttätiger Arm der politischen Rechten versteht und intensiv Kampfsport betreibt, um sowohl für die arrangierten Kämpfe zwischen Hooligans, den sogenannten Ackerkämpfen, als auch für den politischen Umsturz, von dem die Rechtsextremen fantasieren, bereit zu sein. 

Damit stehen die jungen Ulmer Hooligans exemplarisch für eine Entwicklung, die Extremismusforscher seit Jahren beobachten und mit der viele deutsche Vereine mit rechtsradikalen Fan-Szenen zu kämpfen haben. Selbst große Vereine wie Borussia Dortmund haben seit Jahrzehnten Probleme mit rechtsextremen Fan-Gruppierungen. Militante Neonazis und Hooligans organisieren sich in einer semiprofessionellen Kampfsportszene, betreiben Studios, in denen sie sich vorbereiten und neue Mitglieder rekrutieren, und vernetzen sich europaweit über soziale Medien und Kampfsport-Events, wie den "European Fight Nights". Mit szeneeigenen Musik- und Modelabels wird Geld in die Strukturen gepumpt, die damit immer weiter professionalisiert werden. 

Online lässt sich die Fußballgewalt verfolgen. Der Telegram-Kanal "Gruppa OF" informiert seine gut 130.000 Follower über Kämpfe zwischen rivalisierenden Hooligan-Gruppen, oft mit Fotos oder Video-Ausschnitten der Schlägereien. Auch über die Ulmer Hooligans berichtet der Kanal regelmäßig, zuletzt Ende Januar, als Duisburger Hooligans nach einem Überfall auf die Ulmer Fan-Artikel mitnahmen und szenetypisch verkehrt herum im Stadion präsentierten. 

Der schwedische Youtube-Kanal "King of the Streets" zeigt seinen 1,3 Millionen Abonnenten Käfigkämpfe zwischen einzelnen Hooligans. In den professionell produzierten Videos werden sie mit Kampfnamen und Vereinszugehörigkeit angekündigt. Am ehesten lassen sich die Wettbewerbe mit MMA-Kämpfen vergleichen, nur roher, blutiger und nicht zu Ende, solange noch einer der Kämpfer steht. 

Auf diesem Niveau kämpft keiner der Ulmer Hooligans, doch Kampfsportler und rechtsradikal sind sie laut Informationen von "Recherche Ulm" beinahe alle. Viele von ihnen folgen rechtsextremen Instagram-Kanälen und trainieren in und kämpfen teilweise für verschiedene Kampfsportstudios in der Region. Sie zeigen sich selbst beim "Pumpen für Deutschland" im Trainingsraum oder grüßen auf Urlaubsfotos vom Obersalzberg. Auf Gruppenfotos sind ihre Gesichter meist mit Totenkopf-Emojis unkenntlich gemacht und Bilder von Ackerkämpfen kommentieren sie unter anderem mit den Worten "Mehr Hass!" und "Alles für Ulm", möglicherweise in Anlehnung an die verbotene SA-Losung "Alles für Deutschland". 

Anton, der aus Sicherheitsgründen anonym bleiben möchte, ist Hardcore-Fan des SSV Ulm und seit über 30 Jahren bei so gut wie jedem Spiel dabei. Er kennt auch die Ulmer Hooligan-Szene genau. "Es gab schon immer Nazis unter den SSV-Hools, aber mit dem Aufkommen der Donaucrew ist es extrem geworden", sagt er. Spätestens seit der Flüchtlingskrise seien öfter rassistische Sprechchöre zu hören gewesen und Fans in Kleidung bekannter Neonazi-Marken aufgetaucht. Auch das Auftreten der Hooligans gegenüber den eigenen Fans sei aggressiver geworden. "Jetzt steht da das Umfeld der Täter von Dellmensingen zusammen mit Marcel Patzke von der AfD, der die Nazi-Hools per Handschlag begrüßt, wenn er im Stadion ist, dazu Identitäre und Leute der Allgäuer Neonazi-Truppe "Voice of Anger". Es hat sich eine komplett neue Riege etabliert – eigentlich nur noch junge Nazis", sagt Anton. 

Die meisten Hooligans schindeten vor allem durch ihr geschlossenes Auftreten und ihre austrainierte Präsenz Eindruck, doch einige Mitglieder der Donaucrew, wie Maximilian F., seien auch im Verhalten "brutal auffällig". F. hat auf seiner Brust einen Wehrmachtshelm und darunter das Eiserne Kreuz tätowiert, das er gerne oberkörperfrei präsentiert, wie nach dem Platzsturm der Ulmer Fans nach dem Aufstieg in die dritte Liga. Auf Fan-Märschen trägt er Nazi-Marken wie Label 23 und tritt gegen SSV-Fans, die sich gegen seine Ideologie aussprechen, äußerst aggressiv auf. Immer wieder komme es zu Einschüchterungsversuchen, laut aussprechen würden es jedoch die wenigsten, aus Angst, wie Anton sagt. 

Nach Informationen von "Recherche Ulm" soll F. so gut wie immer dabei sein, wenn in Ulm und Umgebung Rechte demonstrieren und gute Beziehungen zur AfD haben. Auf einem Foto, das bei der Hochzeit des Neu-Ulmer AfD-Politikers Marcel Patzke entstand, posiert F. gemeinsam mit Patzke und dem Landtagsabgeordneten Franz Schmid, der enge Verbindungen zur Identitären Bewegung pflegt und darüber hinaus als reich an Kontakten in die rechtsextreme Szene gilt.

Wer sich mit den Nazi-Hooligans anlegt, muss damit rechnen, von ihnen ins Visier genommen zu werden. Im Dezember waren Fans aus dem Umfeld der Hooligans, die mit zum Auswärtsspiel bei Viktoria Köln gereist waren, durch rassistische Gesänge aufgefallen. Ein Ulmer Fan, der mittlerweile in Köln lebt, konfrontierte die Gruppe und musste flüchten, bevor die Situation eskalierte. Ursprünglich plante der Mann, den Vorfall zur Anzeige zu bringen, doch nachdem im Internet nach seinem Wohnort geforscht wurde, entschied er sich, den Fall nicht weiterzuverfolgen. 

So bedrohlich wie die Situation für manche Fans ist, müsste sie nach den Worten Antons nicht sein. "Das sind 20 bis 40 Leute, denn die Ulmer Ultras und die restlichen Fans sind sicher nicht rechts. So mächtig ist die Gruppe also nicht und die Vereinsstrukturen sind mittlerweile viel besser. Klar, für den Einzelnen besteht das Risiko, nachts mal abgepasst und verprügelt zu werden, aber das eigentliche Problem ist, dass der Verein sich wegduckt und meiner Ansicht nach die Nazis auch schützt." 

Der SSV Ulm setzt im Umgang mit Hooligans auf Dialog statt Konfrontation

Was Anton als Wegducken interpretiert, betrachtet der SSV Ulm als Erfolg versprechende Strategie. Sebastian Basler, Leiter der Abteilung Sicherheit & Fans beim SSV, beobachtet die Szene selbst genau. Er ist nach eigenen Worten im Austausch mit den Hooligans und über deren Aktivitäten bestens informiert. "Klar hat man Rechte im Stadion, die hat jeder. Wichtig ist, dass man in den Dialog gehen kann, dass man nicht von vornherein sagt: Euch wollen wir hier nicht." Fans, die mit Nazi-Symbolik oder Ähnlichem auffallen, würde man ermahnen und den Ausschluss androhen. 

Der Sicherheitschef spricht sich gegen Stadionverbote aus, auch in Bezug auf Vorfälle wie in Dellmensingen. "Es wäre willkürlich, sie bei uns nicht mehr zu wollen. Wir würden den Rechtsstaat damit unterwandern, denn in Deutschland gilt, dass man nicht zweimal für dasselbe Vergehen bestraft werden kann." Außerdem seien Stadionverbote juristisch leicht anfechtbar und das Wissen darum gerade in rechten Kreisen weitverbreitet. Der Grundsatz, den Basler ins Feld führt, gilt jedoch nur für Strafverfahren vor Gericht. Örtliche Stadionverbote kann jeder Verein auf Grundlage des Hausrechts und der Stadionordnung verhängen, sie müssen laut DFB-Richtlinien lediglich sachlich begründet sein. Bundesweite Stadionverbote hingegen können als Eingriff in die Grundrechte interpretiert werden, dementsprechend häufig fechten betroffene Fans sie an. 

Der Rechtsanwalt und ehemalige Grünen-Politiker Thomas Oelmayer sitzt im Vorstand des SSV Ulm Fußball und war bereits nach dem ARD-Bericht für die angebliche Untätigkeit des Vereins kritisiert worden. Oelmayer sagte damals, dass ihm die Personalien der Täter fehlten, und war selbst ins Visier der Rechten geraten, nachdem er sich mit Sinti und Roma-Verbänden ausgetauscht hatte. "Auf einem Zettel in meinem Briefkasten stand 'Hängt den Oelmayer auf!', den Zettel habe ich heute noch", berichtet Oelmayer. Der 70-Jährige sieht den Fußball als Spiegel der Gesellschaft, schon "rein optisch" könne man den wachsenden Rechtsextremismus ausmachen. "Wir entwickeln unsere Strukturen ständig weiter und positionieren uns klar gegen Rechtsextremismus. Aber wir können als Verein keine gesellschaftlichen Probleme lösen oder für alles geradestehen", sagt Oelmayer. 

Der SSV Ulm unterstützt die Anti-AfD-Demos und rief seine Anhänger zur Teilnahme auf. Auch nach dem Vorfall in Köln positionierte sich der Verein in einer Stellungnahme gegen Rechtsextremismus. Konkrete Maßnahmen wie örtliche Stadionverbote für das Tragen neonazistischer Marken oder für das öffentliche Präsentieren des Wehrmachts-Tattoos blieben jedoch aus. Dabei hinterließen rechte Hooligans auch unter den entsprechenden Erklärungen auf den Social-Media-Kanälen des Vereins zynische Botschaften. "Wir machen etwas dagegen, und zwar mit Dialog und Ermahnung. Die letzten Monate haben gezeigt, dass diese Vorgehensweise funktioniert", meint Basler. 

Das Foto mit dem Tattoo sei ihm bekannt, die Person auch, und man habe ein Gespräch mit dem Mann geführt, sagt Basler. "Das Wehrmachtshelm-Tattoo kann man rechts zuordnen, muss man aber nicht. Deshalb gab es kein Stadionverbot." Der Vorfall habe sich aber seitdem nicht wiederholt. Um die Gefahr für Fans, die sich gegen die Rechtsextremen wehren, weiß jedoch auch Basler. "Die Bedrohungslage für manche Fans will ich gar nicht beschönigen, aber wenn ich Krieg mit denen anfange, dann muss ich Gesicht zeigen und das aushalten. Dass dann mal ein Zettel im Briefkasten landet oder nach dem Wohnort geforscht wird, ist mir klar." Der Verein würde aber jeden einzelnen Fan dabei unterstützen, auch nach dem Vorfall in Köln habe man alles getan, um die Schuldigen zu finden. 

Anton findet den Umgang seines Herzensvereins mit den Hooligans feige: "Es widert mich an. Was muss denn passieren, damit sie etwas unternehmen?" Große Hoffnungen setzt er dagegen in ein DFB-Fanprojekt, das in Ulm seit Jahren diskutiert wird aber bis jetzt laut Verein nicht finanzierbar war. Dabei setzen sich unabhängige Sozialarbeiter bei den Vereinen für die Gewaltprävention und die Stärkung der Demokratie ein und sollen außerdem unabhängige Vermittler zwischen Fans, Polizei und Verein sein. Im November soll das Fanprojekt nach Angaben Oelmayers starten. Dann spielt der SSV Ulm nach seinem derzeitigen Höhenflug vielleicht sogar in der 2. Bundesliga.

 
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